«Ich mag dieses Gesicht nicht mehr», sagt Jane Birkin, und wir alle denken: «What?!» Aber es ist so. «Ich schaue mir meine Filme nie an. Selbst wenn ich mal denke: In diesem Film war ich wirklich wunderbar, ist die Realität am Ende entsetzlich. Auch meine Stimme: Dünn und viel zu hoch.»
Das sagt die Stimme, die wie keine andere ab Mitte der 60er-Jahre Freiheit, Freizügigkeit und Grazie bedeutete. Die Stimme, die Millionen von Platten verkaufte. Die Stimme aus dem Chanson «Je t'aime, ... moi non plus» mit Serge Gainsbourg. Ein britischer Taxifahrer gestand ihr einmal, dies sei der Soundtrack bei der Zeugung seiner fünf Kinder gewesen. Der Skandalsong von 1969, in England zensiert und vom Papst verboten. Damals, als jeder Mann der Welt der Tarzan dieser Jane sein wollte.
In Locarno ist Jane Birkin mit dem Kurzfilm «La femme et le TGV» zu Gast. Nach der wahren Geschichte der Schweizerin Sonja Schmid, verfilmt vom 27-jährigen Zürcher Timo von Gunten. Bis 2013, bis der TGV von Bern nach Paris nicht mehr über Neuenburg, sondern über Basel fuhr, winkte Sonja Schmid aus Ferenbalm-Gurbrü mit einem Schweizerfähnchen dem vorbeifahrenden TGV. 16 Jahre lang. 16 der bewinkten Zugführer lernte sie auch persönlich kennen. Klar, dass man daraus einen Film machen kann.
Jane Birkins Winkerin ist ganz anders als Sonja Schmid, verschroben, älter, verwitwet, Konditorin und Vogelbesitzerin, eine Art in die Jahre gekommene Amélie du Montmartre. Und so ist auch der Film: sehr süss, ein bisschen zum surrealen Kitsch neigend, aber unglaublich rund und bekömmlich. Camembert und Truffes spielen denn auch grosse, runde Nebenrollen.
Jane Birkin wird sich den Film trotzdem nicht anschauen. Aus Prinzip. Obwohl sie die Dreharbeiten geliebt hat: «Ich habe seit Jahren nicht mehr getanzt! Ich bin seit Jahren nicht mehr gerannt! Timo hat mich dazu gebracht, er ist sehr gut darin.»
Ihr Alter trägt die gleiche Zahl wie das Filmfestival Locarno, 69, gerade ist sie erkältet und leidend, sie war im Spital, wegen etwas Unbedeutendem, «aber dann bin ich über meine Füsse gestolpert, ich tu das dauernd, ich fall oft hin, und habe mir eine Rippe gebrochen. Jetzt ist sogar die Birkin Bag zu schwer für mich.» Wenn sie in Amerika am Zoll steht, wird sie gefragt: «Birkin? Wie die Tasche?»
Und noch einmal erzählt sie uns die Schöpfung der Birkin Bag, eine der grossen Legenden der französischen Modegeschichte. 1984 traf sie im Flugzeug den Chef von Hermès, der machte sich lustig über ihre vollgestopfte Basttasche, sie sagte: «Na ja, eure Kelly Bag (nach Grace Kelly) ist einfach viel zu klein, ich zeichne dir schnell, was ich brauche.» Der Hermès-Chef ging mit der Zeichnung nach Hause und schuf den Fashion-Fetisch Birkin Bag, für den es auch heute noch mehrmonatige Wartefristen gibt.
Frau Birkin, wissen Sie eigentlich, wie unfassbar frustrierend es ist, Ihnen zuzuhören? «Oh, it's so lovely of you to say that!» Lovely ist eins ihrer Lieblingsworte. Gerade hat sie von ihren perfekten Töchtern geschwärmt. Von Charlotte Gainsbourg – «Ich halte sie für die beste Schauspielerin ihrer Generation, irgendwann werden das auch die USA merken!» Von Lou Doillon – «Sie malt jetzt auch, sie sagt: Ich bin neu geboren!» Von Kate Barry (sie verstarb 2013) – «Alle wichtigen französischen Schauspielerinnen liessen sich nur noch von ihr fotografieren.»
Aber über allem ist natürlich einer: Serge Gainsbourg. Der Mann, der nach der grossen Liebe bis zu seinem letzten Atemzug ihr Freund blieb. Der drei Tage vor seinem Tod zu Cartier ging und ihr den teuersten, grössten Diamantring kaufte, als Altersvorsorge. Ihm verdankt die Britin, deren Familie Frankreich schon immer liebte – ihr Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der Résistance – ihre französische Karriere. Ihre Karriere als Vorzeige-Französin. Er war ihr Partner bei ihrem ersten Vorsprechen in Frankreich, danach schleppte sie ihn ab.
Kurz zuvor hatte sie versucht, in Hollywood zu arbeiten. Doch Hollywood sagte, nur, wenn sie ihre Brüste vergrössern und ihre Beine an drei Stellen brechen und anders zusammenwachsen lassen würde. Aber selbst dann würde für sie bloss eine TV-Rolle drinliegen.
Frankreich war sofort verknallt in den Körper der 20-jährigen Engländerin und behielt sie bei sich. Bis 1980 war sie das begehrteste Auszieh-Mädchen des französischen Films. Dann heiratete sie ihren dritten Mann, Jacques Doillon, und der knöpfte sie zu. Ab da wurde sie ernst genommen. Vorher war sie bloss populär. Vorher war sie die Frau von Serge Gainsbourg.
Seither ist sie seine Nachlassverwalterin. Singt seine Lieder. Spricht manchmal auch bloss seine Worte. Selbst wenn sie krank ist. «Ich war im Spital, ich sagte zum Arzt: Ich muss auftreten, das ist gar keine Frage! Stellen Sie sich doch an den Bühnenrand, seien Sie da, aber ich werde dieses Konzert nicht absagen.»
War sie Gainsbourgs Muse oder Marionette, will ein Mann von ihr wissen. «Ich hab mich nie als Marionette gefühlt. Er hat erst süsse Songs für mich geschrieben, charmante. Aber als ich ihn verlassen habe, waren die neuen Songs auf schmerzhafte Weise er selbst. Ich erkannte, dass er mir Trennungs-Lieder zu singen gab, die ich in ihm wachgerufen hatte. Als ich sie zum ersten Mal sang, schnitt ich meine Haare ab, trug Jungskleider und kein Make-up. Er bat mich, wenigstens Lippenstift aufzulegen, aber ich wollte hinter seiner Musik verschwinden.»
17 Alben hat sie aufgenommen und bis heute in 88 Filmen gespielt, «höchstens zehn davon sind gut». Für ihre Musik hat sie viele Preise erhalten, «für meine Filme keinen einzigen, bis jetzt. Ausser ich hab was vergessen. Es ist sehr nett, dass ich jetzt in Locarno einen Leoparden für mein Lebenswerk erhalte.» Heisst das jetzt, dass ihre Filmkarriere beendet ist? «Ich denke nicht, dass ich noch mehr Filme machen muss.» Und so bleibt ihre Rolle als rennende, tanzende und winkende TGV-verrückte Schweizerin vielleicht ihre letzte.