Wenn in der Schweiz über eine Vorlage abgestimmt wird, sind die Fronten meist klar. Das betrifft nicht nur die politischen Parteien. Einzelne Abweichler gibt es immer, doch in der Regel bemühen sich die betroffenen Branchen oder Organisationen um Geschlossenheit.
Bei der Energiestrategie 2050, über die am 21. Mai abgestimmt wird, kann davon keine Rede sein. Selten hat eine Vorlage für so viel Zoff innerhalb von Verbänden und Interessengruppen gesorgt. Selbst Organisationen mit vermeintlich ähnlicher Stossrichtung nehmen eine gegensätzliche Haltung ein. Auch intern tun sich Gräben auf, etwa zwischen Verbänden und ihren Präsidenten.
Auf den ersten Blick sind die Fronten klar: Die SVP hat das Referendum gegen das Energiegesetz ergriffen. Auf der anderen Seite stehen Linke, Grüne und Grünliberale. Die CVP schart mit wenigen Ausnahme geschlossen hinter die Vorlage ihrer Bundesrätin Doris Leuthard. Die BDP dürfte an ihre Delegiertenversammlung am Samstag ebenfalls die Ja-Parole beschliessen.
Tief gespalten sind hingegen die Freisinnigen. Die Delegierten votierten nur knapp mit 175 zu 163 Stimmen für ein Ja. Die Jungfreisinnigen sind ebenso dagegen wie mehrere Kantonalsektionen, darunter jene im «Energiekanton» Aargau. Prominente FDP-Politiker engagieren sich auf beiden Seiten. Parteipräsidentin Petra Gössi lehnt das Gesetz ab, auch der frühere Bundesrat Pascal Couchepin äusserte sich kritisch. Der Zürcher Ständerat Ruedi Noser hingegen wirbt für ein Ja.
Die Energiewende betrifft direkt die Interessen der Wirtschaft. Die aber ist dermassen zerstritten, dass der Dachverband Economiesuisse auf eine Parole zur Abstimmung verzichtet hat. Für ein Ja plädieren vor allem jene Wirtschaftsvertreter, die von der Energiewende profitieren können, etwa die Cleantech-Branche. Auch der Gewerbeverband hat die Ja-Parole gefasst.
Auf der Gegenseite kämpfen Branchen, die vor steigenden Energiekosten und Versorgungslücken vorab im Winter warnen. Dazu gehören die Verbände der energieintensiven Maschinen- und der Pharmaindustrie sowie GastroSuisse. Der Bauernverband hingegen lehnt das Referendum der SVP ab. Die Landwirte wollen von den Fördergeldern für Solar- oder Biogasanlagen profitieren.
Teilweise gehen die Meinungen innerhalb einzelner Branchen auseinander. Das betrifft insbesondere das Baugewerbe. Der Schweizerische Baumeisterverband empfiehlt ein Nein, während bauenschweiz, die Dachorganisation der Schweizerischen Bauwirtschaft, die Annahme propagiert. Viele Bauunternehmen hoffen auf Aufträge für Gebäudesanierungen.
Die direkt betroffene Branche hat ebenfalls keine einheitliche Linie. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) unterstützt die Vorlage. Die Stromkonzerne selbst aber stehen höchstens lauwarm hinter der Energiestrategie. Sie hoffen auf die beschlossenen Subventionen für die Wasserkraft, die unter den tiefen Preisen auf dem europäischen Strommarkt leidet.
Für die Ablehnung plädiert der Dachverband Schweizer Verteilnetzbetreiber (DSV), er fürchtet um die Versorgungssicherheit. Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid hingegen hofft gemäss der NZZ auf eine Annahme, weil mit dem Gesetz die Bewilligungsfristen für den Bau neuer Stromanlagen verkürzt und die Beschwerdemöglichkeiten eingeschränkt werden.
Gegensätzlich verhalten sich auch die Interessenvertreter der fossilen Energien. Die Erdöl-Vereinigung lehnt die Energiestrategie ab, während der Verband der Schweizerischen Gasindustrie keine Parole beschlossen, aber wiederholt Sympathien für das Gesetz gezeigt hat. Er setzt nicht zuletzt auf neue Power-to-Gas-Technologien zur Speicherung von Solar- und Windstrom.
Und noch ein Beispiel für eine interne Spaltung: Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) ist für ein Ja, seine Mitglieder können mit Investitionsbeiträgen und einer Marktprämie rechnen. Von seinem Präsidenten aber darf sich der Verband keine Hilfe erhoffen: Albert Rösti war als SVP-Präsident die treibende Kraft hinter dem Referendum seiner Partei.
Wenigstens die Umweltverbände sollten geschlossen hinter einer Vorlage stehen, die eine verstärkte Förderung der erneuerbaren Energien anstrebt. Möchte man zumindest meinen. Tatsächlich plädieren gewichtige Natur- und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, WWF Schweiz, Pro Natura, Heimatschutz und VCS für ein Ja.
Doch selbst im Öko-Lager gibt es Widerstand. Am Dienstag trat ein Umweltkomitee gegen das Energiegesetz vor den Medien. Treibende Kraft ist der Verband Freie Landschaft Schweiz, der den Bau von Industrie-Windkraftwerken verhindern will. Prominente Mitglieder sind der Musiker Chris von Rohr und Philippe Roch, der frühere Direktor des Bundesamtes für Umwelt (BAFU).
Ein weiterer Name sticht ins Auge: Der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri, der es bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu nationaler Bekanntheit gebracht hat, gehört ebenfalls dem Nein-Komitee an. Das Pikante daran: Wie Albert Rösti ist er Präsident einer Vereinigung, die die Energiestrategie befürwortet – der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.
Die Kakophonie trägt sicherlich nicht dazu bei, die Meinungsbildung des Stimmvolks zu erleichtern. Die ersten Umfragen von SRG und Tamedia deuten auf eine Annahme hin. Aber noch ist der Mist nicht geführt. Bis zur Abstimmung dauert es noch einen Monat.