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Hinter dem MEI-Referendum steht eine seltsame Truppe

Ingrid Sigg des Referendumskomitees "Buergerrechtsbewegung Schweiz", zweite von rechts, spricht an der Seite von Nenad Stojanovic des Referendumskomitees "Referendum Subito", Sandr ...
Die vier «Aufrechten»: Nenad Stojanović, Sandra Bieri, Ingrid Sigg und Willi Vollenweider (von links).Bild: KEYSTONE

Linke, Rechte, Empörte: Die seltsame Truppe hinter dem MEI-Referendum

Vier Kleingruppen mit sehr unterschiedlichen Motiven und beschränkten Ressourcen wollen die MEI-Umsetzung vors Stimmvolk bringen. Es ist eine Herkulesaufgabe: Bislang wurden erst rund 1000 Unterschriften gesammelt.
25.01.2017, 08:5926.01.2017, 09:44
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Die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) hat viele verärgert. Von den Kernelementen im Verfassungsartikel 121a – Kontingente, Höchstzahlen, Inländervorrang – ist kaum etwas geblieben. Die vom Parlament in der Wintersession verabschiedete Revision des Ausländergesetzes enthält nur noch eine Art sektoriellen Arbeitslosenvorrang. Weiter wollten insbesondere FDP und SP aus Rücksicht auf die bilateralen Verträge nicht gehen.

Trotz des Unmuts, den auch manche Befürworter der Bilateralen empfinden, wollte keine grössere Partei oder Organisation das Referendum ergreifen – nicht einmal SVP und AUNS, die lautstark gegen den «Verfassungsbruch» des Parlaments wettern. Sie wollen stattdessen eine Volksinitiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lancieren. Es war der «Einzelkämpfer» Nenad Stojanović, SP-Mitglied aus dem Kanton Tessin und Politikwissenschaftler an der Universität Luzern, der am 28. Dezember 2016 mit einem Tweet die Unterschriftensammlung lancierte.

Nun hat Stojanović drei weitere Komitees als Mitstreiter gewonnen. Es war ein seltsames und heterogenes Trüppchen, das sich am Dienstag den Medien präsentierte. Die Zeit drängt, denn seit Beginn der 100-tägigen Sammelfrist sind bereits vier Wochen vergangen. Eingegangen sind aber erst 1050 der benötigten 50'000 Unterschriften. «Wir brauchen dringend – und schnell! – eine breitere Unterstützung durch die Bevölkerung», betonte Stojanović.

Nicht Nein, sondern Ja

In der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen und verbündet sich der Sozialdemokrat und selbst ernannte «Jugo-Tessiner» mit Leuten, die nicht auf seiner Wellenlänge liegen. Für sein Referendum führte Nenad Stojanović grundsätzliche Erwägungen an: Ohne Abstimmung werde man das Feld «den populistischen Parteien überlassen». Eine Ablehnung des Gesetzes, die mit einem Referendum normalerweise angestrebt wird, will er aber nicht, im Gegenteil. Er würde mit Ja votieren.

Weltanschaulich am nächsten liegt ihm vermutlich die Bürgerrechtsbewegung (BRB) Schweiz, eine Facebook-Gruppe, die laut Eigenbeschreib «den Rechtsstaat und unsere Demokratie verteidigt, gegen die Rechtpopulisten, Nationalkonservativen und Rechtsextremen in unserem Land». Ihre Beteiligung am Referendum begründete Co-Präsidentin Ingrid Sigg mit den «schwer wiegenden Diskrepanzen zwischen Initiative und Umsetzung». Bei einem Verzicht auf das Referendum schaffe man «einen irreparablen Präzedenzfall für die Zukunft der direkten Demokratie».

«Marignano der direkten Demokratie»

Nicht klar verorten lässt sich das Komitee «Nein zu Verfassungsbruch». Name und Bildsprache auf seiner Website erinnern an SVP-Vorbilder, doch Präsidentin Sandra Bieri, eine Studentin der Informationswissenschaften aus dem Kanton Zug, bezeichnete sich vor den Medien als «ganz einfache Bürgerin, parteipolitisch ungebunden». Sie wolle ein klares Zeichen ans Establishment setzen, «dass in wichtigen Fragen das Volk nicht übergangen werden darf». Ein Ja zum Gesetz würde sie «selbstverständlich» akzeptieren, sagte Bieri im Gespräch mit watson.

Zwei Unterschriftenboegen liegen auf einem Tisch, an einer Medienkonferenz zur Lancierung der national koordinierten Unterschriftensammlung fuer das Referendum gegen die Umsetzung der Masseneinwanderu ...
Deftige Wortwahl auf Vollenweiders Unterschriftenbogen (rechts).Bild: KEYSTONE

Eindeutig ist die Positionierung von Willi Vollenweider, parteiloser Zuger Kantonsrat und Präsident der stramm armeefreundlichen Gruppe Giardino. Er war Mitglied der SVP, mit der er sich wegen der jüngsten Armeereform überworfen hat, gegen die er mit Giardino erfolglos das Referendum ergriffen hatte. Rhetorisch fuhr er das schärfste Geschütz auf: Er rief zum «demokratischen Volksaufstand» auf. Der Parlamentsentscheid sei das «Marignano der direkten Demokratie».

Beschränkte Ressourcen

Vollenweider warnte vor dem Aufkommen radikaler Bewegungen: «Zutiefst frustrierte, verzweifelte Wutbürger werden mental in den Untergrund abtauchen und ihren Widerstand nicht bloss verbal zum Ausdruck bringen.» Auf seinem Unterschriftenbogen bezeichnet er das Bundeshaus als «Haus des Volksverrats!». Und gegenüber Radio SRF deutete Vollenweider an, dass er eine Annahme des Gesetzes nur schwer akzeptieren könnte. Die MEI sei dann «immer noch nicht umgesetzt».

Man kann sich schwer vorstellen, dass der kultivierte Nenad Stojanović und der Haudrauf Willi Vollenweider gemeinsam in die Ferien fahren werden. Sie bilden eine reine Zweckgemeinschaft mit prekären Erfolgschancen. Alle vier Komitees verfügen über beschränkte personelle und finanzielle Ressourcen. Vollenweider unterstützt das Referendum nicht mit der Gruppe Giardino, sondern dem Komitee Bürgerbewegung.ch. Die Facebook-Gruppe BRB hat theoretisch rund 700 Mitglieder, die meisten wurden jedoch ungefragt hinzugefügt.

Gespaltene SVP-Basis

Der Vergleich mit anderen «Einzelkämpfern» hinkt, etwa dem Impfgegner Daniel Trappitsch, der zwei Referenden gegen das Tierseuchen- und das Epidemiegesetz zustande brachte. Er wurde beim Unterschriftensammeln durch ein Netzwerk aus Esoterikern und Verschwörungstheoretikern unterstützt. 

Was hältst du von der Aktion des SP-Mannes?

Beim MEI-Referendum gibt es keinen Support dieser Art. Die SVP fürchtet ein Ja zur Vorlage des Parlaments, sie will den «Verfassungsbruch» bewirtschaften, möglichst bis zu den Wahlen 2019. Nenad Stojanović wurde an die SVP-Delegiertenversammlung eingeladen, erlebte aber eine knallharte Abfuhr.

Martin Alder, Mediensprecher der «Viererbande», erklärte im Gespräch, er habe vor SVP-Versammlungen referiert. Die Basis sei im Zwiespalt, viele würden das Referendum gerne unterschreiben. «Dann aber schreitet ein Funktionär ein und verhindert es.» Auch das Sammeln auf der Strasse sei schwierig, räumte Sandra Bieri ein. Es sei nicht einfach, den Leuten die Materie zu vermitteln. Der Kampfbegriff «Verfassungsbruch» scheint nicht so recht zu zünden.

Grosse Hürde Beglaubigung

Auf die vier Komitees wartet eine Herkulesaufgabe. Sie müssen bis 7. April fast 50'000 Unterschriften sammeln und beglaubigen lassen. Dabei marschieren sie weitgehend getrennt. Ihre Hoffnung setzen sie auf die sozialen Medien, doch das haben andere schon erfolglos getan. Und das Beglaubigen der Unterschriften bei den Wohngemeinden ist ein Aufwand, den man leicht unterschätzt – man frage nur die Initianten des gescheiterten BÜPF-Referendums.

An sich ist es eine gute Idee, das Stimmvolk zur MEI-Umsetzung zu befragen. Ein durchaus mögliches Ja könnte die Diskussion um die Zuwanderung und die Bilateralen ein wenig entspannen und gleichzeitig die Strategie der SVP durchkreuzen. Doch es fällt schwer, dem Grüppchen der vier Aufrechten eine echte Chance zu geben. Es sei denn, es geschieht ein Wunder und sie erhalten namhafte Unterstützung – doch danach sieht es nicht aus.

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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kupus@kombajn
25.01.2017 09:20registriert Dezember 2016
Ich unterstütze das MEI-Referendum voll und ganz, und zwar aus denselben Gründen wie Nenad Stojanović. Der Status quo ist für unsere Demokratie weitaus gefährlicher, als die wortgetreue Umsetzung der MEI. Wasser auf die Mühlen der Populisten!
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Spooky
25.01.2017 09:24registriert November 2015
Jetzt werden wir also darüber abstimmen, ob eine Abstimmung umgesetzt wurde, oder nicht.

Ich liebe die Schweiz !!! So etwas gibt es nur bei uns (ohne Ironie).
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amore
25.01.2017 11:19registriert Februar 2014
Es freut mich sehr, dass mal nicht eine Partei ein Referendum ergreift, sondern Leute wie Du und ich. Die Mehrheit der Stimmberechtigten sind nämlich in keiner Partei eingeschrieben. Gerade mal ca. 10% gehören einer Partei an.
Es schadet gar nicht, wenn die Parteien verunsichert, empört, enttäuscht sind oder Unverständnis kund tun.
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