Der April 2016 stand im Zeichen des grossen Sesselrückens bei den bürgerlichen Parteien. SVP, FDP und CVP wählten neue Parteipräsidenten. Während Petra Gössi (FDP) und Gerhard Pfister (CVP) mangels Gegenkandidaten unbestritten waren, wurde Albert Rösti (SVP) faktisch per Ukas aus Herrliberg ernannt. Die Delegierten durften seine «Wahl» einstimmig absegnen.
Ein Jahr nach Amtsantritt sind die ersten Zeugnisnoten fällig. In Sachen Benehmen ist wenig auszusetzen. Bei der Zusammenarbeit hapert es dagegen bedenklich. Der «bürgerliche Schulterschluss» ist im hiesigen System mehr Wunschdenken als Realität. Dennoch überrascht die Heftigkeit, mit der man sich teilweise gegenseitig das Leben schwer machte.
Bei Geschäften wie der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative oder der Altersvorsorge kam es zu bitteren bis verletzenden Streitereien unter den Bürgerlichen. Und bei der wichtigsten Vorlage, das sie gemeinsam vertraten – der Unternehmenssteuerreform III –, verpasste ihnen das Stimmvolk einen deftigen Nasenstüber. Grosse Profiteurin des bürgerlichen Zwists ist die SP.
Wie aber kann man die konkrete Arbeit von Gössi, Pfister und Rösti beurteilen? Eines sei vorweggenommen: Geglänzt haben die drei bislang nicht.
Der erste Gedanke nach ihrer Wahl: Kann das gut gehen? Gössis Vorgänger Philipp Müller hatte in Bern eine mit launigen Sprüchen gespickte, von den FDP-Delegierten frenetisch bejubelte Abschiedsrede gehalten. Die erste Ansprache der Schwyzer Nationalrätin als Präsidentin fiel deutlich ab, der Mangel an Esprit und Charisma im Vergleich mit dem politischen Naturtalent Müller war eklatant.
Petra Gössi aber lernte schnell. Schon an der nächsten Delegiertenversammlung in Windisch im Juni wirkte ihr Auftritt wesentlich pointierter und lebendiger. Die Präsenz in der Öffentlichkeit ist trotz allem nicht ihre Stärke. Die 41-Jährige steht nicht gerne im Mittelpunkt, lieber agiert sie im Hintergrund. Sie zieht die Fäden und überlässt bei Sachfragen die Bühne den Fachleuten.
Parteipräsidenten sind aber auch Aushängeschilder. Und gemessen werden sie an den Resultaten. Sie stimmen bislang, die FDP hat bei den kantonalen Wahlen 2016 weiter zugelegt. Den Grundstein dafür legte Philipp Müller. Er hat sich das ewige Verdienst erworben, den Freisinn nach Jahren des Niedergangs wieder zum erfolgreichen Brand gemacht zu haben.
An dieser Vorgabe wird Petra Gössi gemessen. Kann sie aus dem langen Schatten des Vorgängers heraustreten und die Erfolgsserie fortsetzen? Kann sie die Zuversicht bewahren, die heute an der FDP-Basis herrscht? Noch sind die Zweifel daran nicht verflogen.
Im Vorfeld seiner Wahl fehlte es nicht an warnenden Stimmen. Ist der wirtschaftsliberale Zuger, der am rechten Rand seiner Fraktion politisiert, der richtige Mann für das Präsidium einer Partei, die traditionell ein breites Spektrum abdeckt? Seine Wahl war am Ende unbestritten, auch weil niemand sonst den aufwändigen Job wollte, der viel Zeit und Ressourcen beansprucht.
Nach einem Jahr lässt sich sagen: Gerhard Pfister hat vieles richtig gemacht. Die CVP tritt in Bern so geschlossen auf wie nie zuvor. Der Präsident leistete dazu seinen Beitrag, indem er Positionen mittrug, die kaum seinen Überzeugungen entsprechen. Etwa den 70-Franken-Kompromiss bei der Altersvorsorge oder den Vorstoss für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub.
Teilweise sorgte die «Profilneurose» der Christdemokraten für Irritationen, insbesondere bei der MEI-Umsetzung. Und bei den Wahlen hat sie sich bislang nicht ausbezahlt, im Gegenteil. Die CVP hält weiterhin viele Regierungsmandate. In den kantonalen Parlamenten aber zeigt sich stets das gleiche trübe Bild: Die CVP verliert und verliert und verliert. 23 Sitze waren es allein 2016.
In der Not klammert man sich an vereinzelte Lichtblicke. Bei den Wahlen in Solothurn Mitte März musste die CVP wegen Proporzpech zwei Sitze abgeben, beim Wähleranteil aber konnte sie erstmals seit Jahren leicht zulegen, um 0,6 Prozent. Für einen Turnaround genügt dies nicht, doch Pfister ist unverdrossen optimistisch. Er würde die CVP-Aktie zum Kauf empfehlen, sagte er der «Aargauer Zeitung» im Interview: «Jeder Börsenguru rät, einzusteigen, wenn der Preis tief ist.»
Für den Job als Parteipräsident hat sich der Berner Oberländer als Leiter des Wahlkampfs 2015 empfohlen. Seither aber läuft es weder Rösti noch der Partei wirklich rund. Die SVP hat seit den Wahlen einige schmerzhafte Niederlagen erlitten, darunter drei im «Kerngeschäft» Asyl- und Ausländerpolitik. Und im Wallis wurde ihr welsches Aushängeschild Oskar Freysinger abgewählt.
Das Formtief ist nicht allein Rösti anzulasten. Aber die Kritik an seiner Person nimmt zu. Albert Rösti ist ein sehr angenehmer Mensch, mit dem man sich gerne unterhält. Eigentlich ist er der geborene Konsens-Politiker. Vorgänger Toni Brunner schaffte den Spagat zwischen jovialem Sprücheklopfer und giftigem Wadenbeisser. Rösti behagt die Rolle des Hardliners wenig.
An seinen Überzeugungen liegt das nicht, er ist ein zu 100 Prozent linientreuer SVPler. Als Präsident sollte der ETH-Agronom die Partei attraktiver für enttäuschte Mitte-Wähler machen und gleichzeitig Allianzen mit FDP und CVP schmieden. Beides ist bislang wenig bis gar nicht geglückt. Auch fällt es ihm schwer, sich neben den «Alphatieren» in seiner Partei zu profilieren.
Die bislang grösste Bewährungsprobe steht für Albert Rösti erst noch bevor: Die Abstimmung über die Energiestrategie 2050 am 21. Mai. Sie ist für ihn eine Sache des persönlichen Prestiges. Er ist nicht nur der Präsident, sondern auch der führende Energiepolitiker seiner Partei im Nationalrat. Entsprechend stark hat er sich für das Referendum ins Zeug gelegt. Scheitert er, und das ist alles andere als unmöglich, werden die Zweifel an Röstis Tauglichkeit als SVP-Boss zunehmen.
Fazit: Ein Jahr ist zu wenig, um ein definitives Urteil abgeben zu können. Aber keiner der drei Neuen hat bislang richtig überzeugt. Sie haben Luft nach oben. Abgerechnet wird wohl erst nach den Wahlen 2019. Bis dann haben Gössi, Pfister und Rösti noch viel Arbeit vor sich.