Es war ein bisschen wie am ersten Tag in der Schule. Alexander möchte gerne neben Christoph sitzen, Christoph möchte aber nicht neben Alexander sitzen («Er kommt aus einem anderen Dorf, ich kenne ihn gar nicht!»).
Lehrer Jonas seufzt, weil er aber ein verständnisvoller Lehrer ist und Christoph damit drohte, nicht mehr in den Unterricht zu kommen, setzt er die beiden auseinander – dazu muss man wissen, dass Christoph zwar aufmüpfig ist, aber eben auch einer der besten Schüler von Lehrer Jonas. Auf einen wie Christoph möchten auch die anderen Schüler nicht verzichten; er ist Klassenclown und Pausenplatzrowdy in Personalunion – ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Klasse.
Blöderweise hat Lehrer Jonas mit seiner Nachgiebigkeit gegenüber Christoph einen Präzedenzfall geschaffen. Jetzt gefällt es auch Schüler Peter – als Klassenbester sitzt er im Prüfstand – nicht mehr auf seinem Platz. Lehrer Jonas seufzt, weil er aber weiss, dass Peters Beiträge immer konstruktiv sind und er als Lehrer das Gleichbehandlungsgebot beachten muss gibt er widerwillig nach – und ändert die Sitzordnung ein zweites Mal.
Leidtragende ist Schülerin Tiana, die nun Alexanders Platz geerbt hat und kaum noch zu Wort kommt. Sooft sie auch die Hand hochhält – Christoph kommt ihr zuvor oder fällt ihr ins Wort. Nur Schüler Eric behält die Ruhe. Und Alexander. Aber der ist ja aus dem anderen Dorf und somit eigentlich eh fehl am Platz.
Diese «Arena» war nicht nur launiges Klassenzimmer-Geplänkel. Sie war auch Anschauungsunterricht dafür, was passiert, wenn man versucht, Populisten des Populismus zu überführen. Sie antworten mit Floskeln – und retten sich in politische Plattitüden.
Im Falle Blochers war das verständlich: Die Blut-und-Boden-Rhetorik, die AfD-Gauland im Leutschenbach präsentierte, passte so gar nicht zum (Selbst-) Bild der grössten Schweizer Partei, die zwar auch mit Überfremdungs-Ängsten Stimmen macht, diese aber nicht auf ein ausgeprägtes ideologisches Fundament stellt. Gaulands Partei, die AfD, tut hingegen genau das. Die Fragen der nationalen Identität, der deutschen Kultur und des deutschen Volkes umtreiben die Spitze und das Fussvolk der «Alternative für Deutschland» spätestens seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise im Herbst 2015.
Blocher distanzierte sich vehement von Gauland («Er ist Deutscher, uns muss niemand erklären, wie die Schweiz funktioniert. Und überhaupt, als Ausländer kann man die Schweiz nie wirklich verstehen!»). Nie habe die SVP eine Zusammenarbeit mit anderen europäischen Rechtsparteien angestrebt und wenn sich einzelne Exponenten wie Oskar Freysinger an Sausen von europäischen Nationalkonservativen blicken lassen, dann sei das halt so. Punkt.
Gauland, dessen Arme für eine Verbrüderung vermutlich offen stünden, reagierte mit einem gequälten Lächeln, und es war nicht das erste Mal, in dem man meinte, der Blick des AfD-Vizes gehe sehnsüchtig in Richtung Fluchtwegschild.
Die Versuchsanordnung, Christoph Blocher und Alexander Gauland als Brüder im Geiste zu entlarven, gelang dennoch. Und zwar, weil Nussbaumer und Moser gebetsmühlenartig das System Blocher darlegten: Man nehme ein echtes oder imaginiertes gesellschaftliches Problem, bausche es auf, präsentiere eine halbgare Lösung, überlasse den anderen die Knochenarbeit des Feintunings und schreie auf, wenn die schlussendlich präsentierte Lösung nicht haargenau dem entspricht, was den Leuten versprochen wurde. Auch die Feindbilder, so Moser, entsprächen sich weitgehend: Muslime, Migranten, die Elite.
Das ist Populismus in Reinkultur, wie er nicht nur in der Schweiz von der SVP, sondern auch in Deutschland von der AfD praktiziert wird. Und damit war der Bogen geschlagen zur Masseneinwanderungs-Initiative, die als Paradebeispiel für kaum oder nur mangelhaft umsetzbare Volksentscheide angeführt wurde. «Totengräber der Demokratie» nannte SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz diejenigen Nationalräte, die sich dem Diktat der Volkspartei zur Umsetzung der MEI widersetzt und die MEI verwässert hatten. Das Schweizer System der halbdirekten Demokratie sei an diesem Tag zu Grabe getragen worden.
Angst ist ein schlechter Ratgeber, sagt der Volksmund. Was aber, wenn nun der Volksmund selber Angst hat? Dann, so Gaulands Lösung, müsse man dem Volk eben besser aufs Maul schauen.
Die Kernfrage, die in dieser «Arena» im Raum stand, lautete also: Was tun mit den Ängsten des Volks? Und vor allem, was tun, wenn die Ängste gar nicht real sind, sondern auf diffuser Mischung aus Unbehagen und düsteren Zukunftsprophezeiungen fussen? Was tun mit der vielbeschworenen «Abstiegsangst der Mittelschicht»?
Die Stimme aus dem Publikum kam da wie gerufen, sie war fast schon zu modellhaft: Es sei halt schon so mit dieser Masseneinwanderung, da mache man sich halt Sorgen um die Sicherheit, und auch, dass es mit den Arbeitsplätzen eng wird, klagte Michael, von Beruf Betreuer.
Michael war der typische Vertreter der besorgten Bürger. Die «Im-Moment-geht-es-uns-ja-eigentlich-gut-aber-was-wenn-dereinst»-Fraktion, die die AfD ganz unverhohlen umwirbt.
Peter Schneider, als Psychoanalytiker bestens vertraut mit den inneren Nöten der Menschen, konterte Gauland: Angst könne keine politische Maxime sein. Das führe – und damit läutete Schneider die Totenglocke fast noch heftiger als Amstutz – zum Tod der Politik.
Zusammengefasst: Was man auch immer für eine Meinung vertritt, solch komplexe Probleme kann man nicht mit einfachen Parolen zusammenfassen oder gar lösen.