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Zu Besuch beim Christkind in Wienacht

Wie Willi Würzer aus Wienacht AR zum Christkind für Kinder aus der ganzen Welt wurde

In Appenzell Ausserrhoden gibt es einen Ort, der heisst Wienacht. Und dort wohnt das Christkindli. Zumindest glauben das viele Kinder in der ganzen Welt. Sie schicken ihre Wünsche per Post nach Wienacht – und erhalten sogar Antwort.
15.12.2016, 12:1816.12.2016, 00:12
Felix Burch
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Emily Engkent
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Irgendwann haben wir alle aufgehört an das Christkind zu glauben. Das ist nicht nur schade, sondern vor allem falsch. Denn es existiert und es hat sogar einen Schweizer Pass. 

Hoch über dem Bodensee, in einem Dörfchen, das an einem Hang klebt, wohnt es. Wienacht heisst der Ort.

Etwas oberhalb des Dorfkerns liegt die ehemalige Poststelle und über dieser sitzt es – wie jeden Tag im Dezember – an seinem Tisch und liest. Es liest Briefe, die es immer von Mitte November bis kurz vor Weihnachten aus aller Welt erhält. Alle sind sie mit «An das Christkind, 9405 Wienacht» adressiert. 

Wienacht-Tobel
Wer an das Christkind schreibt, schreibt nach Wienacht in Appenzell Ausserrhoden. bild: watson
Wienacht-Tobel
Das Christkind wird immer mit «Du» angesprochen.bild: watson

Spricht es, klingt es äusserst irdisch. Und irdisch ist auch der ganze Rest. Willi Würzer heisst das Christkind mit bürgerlichem Namen. Er trägt oft und gerne karierte Hemden und braucht eine Brille zum lesen. Auch heute hat Würzer einen ganzen Stapel aus dem Briefkasten geholt. Er liest jeden einzelnen der Briefe, sortiert sie, beantwortet sie und bewahrt sie alle auf. «Mittlerweile dürften es etwa 5000 sein», sagt Würzer. Immer wieder huscht ein Lächeln über seine Lippen oder er nickt zufrieden: 

«Mein Wunschzettel: Ich wünsche mir ein schönes Fest, ich wünsche mir eine grüne Katze oder eine ganz normale Katze. Ich wünsche mir ein neues iPad, ich wünsche mir keinen Schnee, ich wünsche mir eine Starwars-Figur.» Jonas
Wienacht-Tobel
Kinder zeichnen oft und gerne für das Christkind. bild: watson

Gegen 200 solcher Schreiben, «Christchindli-Post», wie er es nennt, bekommt Würzer seit über 30 Jahren. An diesem Tag sind Briefe dabei aus Taiwan, aus Hongkong und aus Deutschland. Die meisten aber kommen aus der Schweiz. «Mit der Zeit und durch verschiedene Medienberichte sind wir weit über die Grenzen des Appenzellerlandes berühmt geworden.»

Wienacht-Tobel.
Aus Prospekten ausschneiden, was man sich vom Christkind wünscht.
«Liebes Christkind. Wie siehst du aus? Hast du streng? Ich wünsche mir...» Stefan

Immer mehr Briefe holt Würzer aus dem Schrank. Bunt sind sie. Und die meisten kommen von Kindern. Sie schneiden aus Katalogen ihre Wünsche aus und kleben diese auf Papier. Viele zeichnen, einige schreiben selber, bei anderen ist der Verfasser das Mami oder der Papi. 

Wienacht-Tobel
In diesem unscheinbaren Haus wohnt das Christkind.bild: watson
Woher das Dorf seinen Namen hat
Der Weiler Wienacht-Tobel gehört zur Gemeinde Lutzenberg im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Rund 400 Menschen wohnen hier. Woher der Name kommt, darüber gibt es verschiedene Versionen. Eine besagt, früher hätten die Menschen, wenn sie über den Ort gesprochen hätten, gesagt, dass es dort oben, wo es praktisch nur Wald hatte, «Wiä Nacht» aussehe. Eine andere Überlieferung sagt, der Name habe etwas mit Wein – früher «Wien» ausgesporchen – zu tun. In Wienacht gibt es bis heute die einzigen Rebberge im Halbkanton. (feb) 
«Liebes Christkind du hast sicher viel Arbeit. Jahr für Jahr. Ich wünsche mir, was ich dir auf das Papier geklebt habe. Vielen Dank und bleib gesund.» Elisa

Würzer sagt, die schönen Zeilen der Kinder gäben ihm viel. Doch nicht immer seien die Wunschzettel fröhlich. «Briefe von Kindern, deren Eltern krank sind, gehen mir am nächsten.»

Willi Würzer
Willi Würzer in seiner Stube.bild: watson
«Liebes Christchindli. Bitte mach, dass mein Mami wieder gesund wird und dass wir alle zusammen Weihnachten feiern können.» Angelika 

1967 hat Würzer die Leitung der Poststelle in Wienacht-Tobel, wie die Gemeinde genau heisst, übernommen. 2003 wurde sie geschlossen, Würzer kurz zuvor pensioniert. Trotzdem landet die Weihnachtspost weiter in seinem Postfach und Würzer führte einfach weiter, was er immer tat vor Weihnachten: Er liest und beantwortet «Christchindli-Briefe». 

Die Briefe haben sich über all die Jahre laut Würzer wenig verändert. «Noch immer sind fast alle von Hand verfasst.» Die Wünsche hingegen sind nicht mehr dieselben. Waren es früher hauptsächlich Holzspielsachen, wünschen sich die Kinder heute fast nur noch «Technik» – iPads, iPhones, ganze Computer. 

«Liebes Christkindli. Ich hoffe, du verstehtst mini Zeichnig. Aber du bisch jo sChristchindli, du verstohsch alles. Dicke Kuss.» Rolf
Wienacht-Tobel
Was sich dieses Kind wohl wünscht?bild: watson

Ihre Wünsche erfüllen kann Würzer nicht. Aber er könne dazu beitragen, dass die Kinder «an so etwas Wunderbares wie das Christkind etwas länger glauben». Alle, die einen Absender auf den Wunschzettel schreiben, bekommen eine Antwort von Würzer. Zusammen mit einem befreundeten Pfarrer schreibt er jedes Jahr eine Geschichte mit weihnächtlichem Hintergrund. Zum Beispiel über Tiere im Wald. Diese druckt er aus, versieht sie mit einem persönlichen Gruss vom Christkind und verschickt sie in alle Welt. 

Wienacht-Tobel
Diese persönliche Widmung bekommen alle, die nach Wienacht schreiben. bild: watson

Das wünscht sich das Christkind

Würzer schrieb tausende Male im Namen des Christkindes. Wie stellt er selber sich das Christkind vor? Der pensionierte Posthalter überlegt lange: «Früher habe ich daran geglaubt», sagt er schliesslich. Er habe, wie die Kinder heute, Kataloge ausgeschnitten, seinen Wunschzettel am Abend auf das Fenstersims gelegt und gehofft, dass das Christchindli diesen hole und die Wünsche darauf in Erfüllung gingen. 

«Lieber Weihnachtsmann. Ich bin froh, dass es dich gibt. Viele Kinder glauben, dass es dich gar nicht gibt. Aber ich glaube, dass es dich wirklich gibt. Ich wünsche allen eine schöne und friedliche Weihnacht rund um den Globus. Auch in den armen Ländern.» 
Wienacht-Tobel
Post aus Übersee ist keine Seltenheitbild: watson

Ganz ohne Wünsche ist er auch heute noch nicht. Dass er jeden Tag aufstehen könne, das wünsche er sich. Und Gesundheit sowie, dass er weiter gewissen Menschen helfen könne. «Materielle Wünsche hat man im Alter kaum noch.»

«Hallo Weihnachtsmann. Ich wollte dich fragen, wie deine Telefonnummer ist. Ich habe schon über dich gehört, aber nur gehört. Würde dich gerne mal treffen. Ich kann gut zeichnen. Delfine, aber nicht nur.»

Würzer legt einen soeben gelesenen Brief auf den Stapel vor sich. Er blickt aus dem Fenster, scheint einen Punkt am Horizont zu fixieren. Von seiner Stube aus sieht er auf den Bodensee bis ans Deutsche Ufer. Es ist still. In der 400-Seelen-Gemeinde ist es ruhiger geworden in den letzten Jahren. Auch deshalb ist Würzers Arbeit wichtig für den Ort. Das Geld für die Marken der «Christchindli-Antworten» übernimmt der Verkehrsverein. Damit Wienacht nicht vergessen geht, damit das Christkind für immer am Leben bleibt. 

Wienacht-Tobel
Ein bescheidenes Kind. Es wünscht sich selber nichts.bild: watson

Was sich 39 Kinder aus aller Welt zu Weihnachten wünschen

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Was sich 39 Kinder aus aller Welt zu Weihnachten wünschen
Anna Krylova, 7, aus Zagoryansky, in der Nähe von Moskau wünscht sich eine Lalaloopsy-Puppe.
quelle: x90080 / grigory dukor
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7 Kommentare
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SagittariusA*
15.12.2016 12:38registriert Februar 2014
Tolle Geschichte auch wenn es scheinbar das Christchindli nicht wirklich gibt?!
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shakra
15.12.2016 14:06registriert Januar 2014
Awww so schön, hoffentlich hat er bereits einen "Gehilfen" in Ausbildung, so dass die Kinder aus aller Welt noch ganze lange eine Antwort auf ihre Briefe erhalten :-)
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Erasmus von Ottendamm
15.12.2016 13:48registriert August 2016
Wahnsinnig berührende Geschichte. Für Kinder ist es bestimmt etwas grossartiges, wenn sie 'Beweise' für das Christkind haben. Bitte noch mehr Geschichten über so tolle Leute wie Willi Würzer!
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