Vergangenen Freitag loggt sich Daniel in der Aula der Universität Fribourg ins Uni-interne WLAN ein. Der Politikwissenschaftsstudent forscht im Rahmen eines Seminars zu Aufständen in autokratischen Regimes. Dafür will er das bekannte Tor-Netzwerk nutzen, eine Software zur Verschlüsselung digitaler Kommunikation. Der Zugriff auf die Website wird ihm jedoch verweigert – Torproject wird von der Uni Fribourg als sicherheitsgefährdend eingestuft.
Am gleichen Abend geht Daniel zuhause über das VPN der Universität ins Netz. Er will sein Fahrrad reparieren lassen und sucht nach einer Velowerkstatt. Als er die URL fahrraddoktor.ch ins Suchfeld eingibt, erscheint die gleiche Meldung:
Die Website wird als «adult» eingestuft – pornografisch. Ein hinreichend absurder Vorwurf, handelt es sich doch tatsächlich um eine – wenn auch noch in der Entstehung begriffene – Webseite eines Velo-Mechanikers.
Der Politikwissenschaftsstudent Daniel ist fiktiv, Beispiele und Konsequenzen sind real. Wer an der Uni Fribourg gewisse Webseiten ansteuert, steht schnell vor einer Schranke. Bis hierhin und nicht weiter.
Der Fall weckt Erinnerungen an den Sommer 2014. Damals wurde bekannt, dass die Universität Zürich auf ihrem Netz einen sogenannten Pornofilter einsetzt. Der Filter beliess es aber nicht bei pornographischen Websites, sondern setzte etwa auch den Mamablog des «Tages-Anzeiger» auf den Index. Nach wütenden Protesten der Studentenschaft und kritischen Artikeln in der Presse krebste die Universität schliesslich zurück.
Aus der Ecke der kritischen Jurist*innen ertönen nun happige Vorwürfe an die Adresse der Uni-Leitung: Die Universität Fribourg betreibe eine «Netzzensur nach saudischen und chinesischen Massstäben», schreibt die linksgerichtete Hochschulgruppe in einer gemeinsamen Medienmitteilung mit dem Chaos Computer Club. Die Zugangsbeschränkungen der Universität würden mutmasslich Grundrechte wie etwa den Schutz der Privatsphäre oder die Meinungs- und Informationsfreiheit verletzen.
Florian Dietschi von den kritischen Jurist*innen Fribourg/Bern sieht in der Massnahme der Uni-Leitung eine klare Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit: «Es geht nicht an, dass der Staat mit Hilfe privater Unternehmen vorschreibt, auf welchen Seiten geforscht werden darf und auf welchen nicht.» Zudem sieht er die Gefahr einer Nonchalance beim Surfen: «Wenn die Uni Seiten wie Torproject sperrt, die zu sicherem Surfen anleiten, dann torpediert sie jegliche Bemühungen um Netzsicherheit. Das Argument der Universität, mit den Zugangsbeschränkungen mehr Sicherheit zu gewährleisten, wird so ad absurdum geführt.»
Medienrechtsanwalt und MAZ-Dozent Andreas Meili beurteilt die Zugangsbeschränkungen der Uni Fribourg kritisch: «Eine Sperrung des Zugangs zu Webseiten ist grundsätzlich eine Zensurmassnahme und geeignet, die Kommunikationsgrundrechte zu verletzen». Allerdings gelten die Zensurmassnahmen nicht absolut. Ob der Zugriff auf eine Website, die nicht gegen strafrechtliche Bestimmungen verstösst, blockiert werden soll, sei im Einzelfall zu prüfen.
Die Universität Fribourg weist den Zensur-Vorwurf von sich. Als staatliche Institution habe man Fürsorgepflichten zum Schutze ihrer Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit zu wahren, sagt Marius Widmer, Leiter der Medienstelle. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden dabei respektiert. Auch die «Einzelfälle» habe man im Blick, versichert die Universität Fribourg. «Alle NutzerInnen können jederzeit eine Neubeurteilung verlangen, wenn ihrer Meinung nach eine Seite fälschlicherweise blockiert wird», betont Mediensprecher Widmer.
Ob es sich dabei wirklich nur um Einzelfälle handelt, ist unklar. Wie die Beispiele des Torproject und der Fahrrad-Reparatur zeigen, ist der Software-Filter der Uni fehleranfällig. Auch andere unverdächtige Webseiten bleiben im Filter hängen, darunter etwa die Seite eines Jung-Branchenverbands im Raum Basel oder das Portal einer Barfuss-Community.
In der Fehleranfälligkeit der Filtersoftware sieht Medienrechtsanwalt Martin Steiger das Hauptproblem. Es sei durchaus möglich, einen solchen Filter rechtskonform auszugestalten. «Das heisst aber noch lange nicht, dass er den beabsichtigten Zweck erfüllt.» Die Massnahme der Universität zeige vielmehr die Hilflosigkeit im Umgang mit kritischen Informationen und Schadsoftware im Netz.
Mit der Einführung der Netzsperre geht die Uni Fribourg einen Schritt weiter als andere Schweizer Hochschulen. «Die Universität Basel nutzt wie andere Schweizer Hochschulen die Kobik-Filterliste gegen Kinderpornografie», schreibt die Uni Basel auf Anfrage. Weitere Massnahmen seien weder aktiv noch geplant. Bei der Uni Bern tönt es ähnlich: «Aktuell kategorisiert oder blockiert die Universität Bern keine Webseiten». Es seien auch keine solchen Schritte geplant.
Auch die Uni Zürich beabsichtigt keine über die Kobik-Filterliste hinausgehenden Beschränkungen – der Shitstorm nach der Einführung des Pornofilters sitzt der Uni wohl noch immer tief in den Knochen. Einzig die Universität Luzern wendet ein ähnliches System an: «Wir blockieren spezifische IP-Adressen, wenn wir wissen, dass von diesen aus Malware verteilt wird», gibt die Medienstelle Auskunft. Eigene Filter werden hingegen nicht eingesetzt.
Zur Praxis der Uni Fribourg will keine der angeschriebenen Universitäten Stellung nehmen. Man äussere sich nicht zum Vorgehen anderer Hochschulen, heisst es unisono.
Welche Software die Universität Fribourg zur Filtrierung einsetzt, ist nicht klar. Hernani Marques, Computerlinguist und Mitbegründer des Chaos Computer Clubs Schweiz, vermutet ein Programm der auf Cyber-Security spezialisierten US-Firma Palo-Alto-Networks. Entsprechende Tests hätten das mit «99-prozentiger Wahrscheinlichkeit» ergeben. Die Universität Fribourg liess eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Auch auf die Frage, ob die Firewall der Universität gegen die Richtlinien des internationalen Hochschulnetzwerkes Eduroam verstösst, will die Universität keine Antwort geben. Eduroam ist ein internationales Hochschulprojekt, das Studenten ermöglicht, das WLAN von Partneruniversitäten kostenfrei zu nutzen. Die Uni Fribourg ist Teil des Eduroam-Netzwerkes.
Für Hernani Marques steht fest: Der regulierte Internetzugang an der Uni Fribourg beeinträchtigt nicht nur die Forschungsfreiheit, er öffnet auch dem Missbrauch Tür und Tor: «Mit der Überwachung der Internetuser wendet die Uni eine Methode an, die sonst nur in autoritären Staaten praktiziert wird». Der Chaos Computer Club fordere deshalb die Abschaffung der Blockade.
Anstatt gewisse Seiten zu blockieren, plädieren Steiger und Marques für eine Art Gentleman's Agreement zwischen der Uni und den Studenten: «Es gibt verhältnismässigere Mittel, um die Sicherheit im Netz zu gewährleisten.» Steiger verweist auf die üblicherweise vorhandenen Richtlinien, die die BenutzerInnen des Uni-Netzes auf gewisse Regeln verpflichten. «Wird dagegen verstossen, so kann die Uni die betreffenden BenutzerInnen zur Verantwortung ziehen.»
Die Offensive der Netzaktivisten kommt nicht von ungefähr. Bei der Verhandlung des neuen Geldspielgesetzes entschied das Parlament vergangene Woche, zum ersten Mal überhaupt eine schweizweite Netzsperre einzuführen. Damit soll der Zugang zu ausländischen Casinos blockiert werden. Und weitere Sperren sind in Planung: Noch in diesem Jahr will der Bundesrat über Anpassungen des Urheberrechts und des Fernmeldegesetzes entscheiden.
Wieso die Filtersoftware der Uni Fribourg die Website fahrraddoktor.ch in die Schmuddelecke versorgt hat, darüber kann nur spekuliert werden. Möglicherweise wurde dem Mechaniker die semantische Nähe zwischen Fahrrad- und Porno-Vokabular zum Verhängnis: «Montageständer» tönt für einen Software-Algorithmus offenbar eher nach erigiertem Glied als nach Reparaturwerkzeug – ein Schreibfehler («Lust» anstatt «Luft») liess bei der Filtersoftware die Porno-Alarmglocken wohl endgültig schellen.