Wenn es den Moment gibt, in dem sich Politikern die Tür zur Schatzkammer öffnet, dann war dieser für Gerhard Pfister am 18. Oktober 2015. Der Tag der Wahlen. Für Pfisters CVP setzte es eine weitere Niederlage ab. Im Fernsehen sprach der abtretende Parteichef Christophe Darbellay mit gedämpfter Stimme von einem Rechtsrutsch. Und in Zug wurde Nationalrat Pfister mit einem Glanzresultat wiedergewählt.
Hier die angezählte Symbolfigur der zerstrittenen Mitte, da der unbeugsame Konservative. Dieser Pfister, 53, könnte nun Darbellay an der Parteispitze beerben. Seine Chancen stehen so gut wie noch nie. Seit gestern hat er den Schlüssel zur Schatzkammer allein in der Hand.
Wer also ist dieser Glücksmann? Beim Gespräch sitzt Pfister in einem der schweren Sessel der «Galerie des Alpes» im Bundeshaus, sehr aufrecht, die Hände gefaltet. Eine Strähne fällt ihm in die hohe Stirn, Grübchen graben sich in die Wangen. Pfister trägt Nadelstreifen, die Initialen aufgestickt an den Hemdärmeln. Im Kopf hat er sich Stichworte zurechtgelegt für das, was er jetzt sagen will; sagen muss, weil man es von ihm erwartet.
Als wäre er die Ruhe selbst, spricht er über Politik. Wenige Stunden zuvor soll er in einer Besprechung mal wieder «den Pfister gegeben» haben, erzählt ein Parlamentskollege: Mit erhobenem Zeigefinger unterbrach er schroff ein Gespräch und erklärte das Geschilderte für Unsinn. Das Temperament ist nicht das einzig Widersprüchliche im Politikerleben des Gerhard Pfister.
Pfister ist ein kühler Analytiker. Mit Bündnisfragen mag er sich nicht lange herumschlagen, zumindest nicht öffentlich. Ein bürgerlicher Schulterschluss mit SVP und FDP? «So einfach funktioniert Politik nicht.» Es brauche wechselnde Koalitionen, sagt Pfister. Koalitionen mit einer CVP, die sich «über Themen definiert, bei denen jeder unsere Position kennt».
Als Gerhard Pfister vor dreizehn Jahren in den Nationalrat stösst, wird er bald mit Labels versehen: Er ist «der Hardliner» oder «der Unangepasste». Laut allen Rankings ist er der rechteste CVP-Parlamentarier in Bern. Pfister steht für die traditionell geprägte Christdemokratie, tief verwurzelt im katholischen Milieu. Sich selbst sieht er als Vertreter der Zuger Strömung, dieser Mischung aus Wirtschaftsliberalismus und Konservatismus.
Mit Abtreibungen kann er nichts anfangen, er ist ein Freund von Privatisierungen und die Energiewende, vorangetrieben von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard, ist für ihn eher heisse Luft. Der Parteiräson wegen hat er sie mitgetragen.
Als Parteichef, versichert Pfister, würde er die eigene Haltung noch stärker zurückstecken. In der Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, einer Sozialliberalen, findet er eine unerwartete Fürsprecherin: «Gerhard Pfister hat die Qualitäten eines Parteichefs», sagt die CVP-Vizechefin. Er könne strategisch denken, habe Führungsqualitäten und vertrete seine Meinung mit intellektuellem Rückgrat.
Tatsächlich ist Pfister wohl der scharfsinnigste CVP-Denker. Viele attestieren ihm, der Konkurrenz überlegen zu sein. Gesetzesdetails kenne er ebenso gut wie Jonathan Franzens neustes Buch.
Was ein Präsident Pfister für die CVP bedeuten würde, ist schwer abzuschätzen. Nicht weniger als eine Wertedebatte will Pfister in der Partei entfachen, mit ihm als Moderator. Der Walliser Nationalrat Yannick Buttet sagt: «Gerhard Pfister ist seit einigen Wochen mit allen sehr nett. Doch wir werden genau beobachten müssen, ob die alten Dämonen nach seiner Wahl nicht zurückkehren werden.»
Aufgewachsen ist Pfister in Oberägeri. Wie sein Vater und Grossvater ist er promovierter Philologe, wie sein Vater und sein Grossvater studierte er in Fribourg. Und wie die beiden sass er im Kantonsrat. Alle drei führten das «Institut Dr. Pfister», ein Gymnasium für Zöglinge reicher Familien. Vor vier Jahren verkaufte er die Schule.
Der Grüne Vordenker Josef Lang, der mit ihm in Kantonsrat und Nationalrat sass, sieht in Pfister die «Verkörperung der Zuger Steuerprivilegien».
Geld verdienen muss Pfister nicht mehr, zeitliche Verpflichtungen hat der kinderlos Verheiratete kaum. Er, der Mann von Geist und Kapital, scheint im Gegensatz zu seinen letzten Herausforderern bereit für ein höheres Amt.
Manche in der CVP sehen das freilich anders. Nachdem er als Präsident so gut wie gewählt ist, will ihn kaum mehr jemand namentlich kritisieren. Inhaltliche Differenzen sind das eine. Pfister gilt aber auch als Einzelgänger. «Mit Gerhard Pfister führt man keinen Smalltalk», sagt eine Parteikollegin. Und seine Schimpftiraden? «Ich bin manchmal ein verbaler Kämpfer», sagt Pfister. Natürlich würde er sich als Parteichef zügeln.
Die Frage der Stunde lautet also nicht, ob die CVP vor einem Richtungskampf steht. Sie lautet: Wie kommt es, dass Gerhard Pfister offenbar die einzige Option ist? Er verweist auf den «konservativeren Zeitgeist», lächelt und windet sich in seinem Sessel.