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Und tschüss! 5 Fälle, die zeigen, wie rasch die Durchsetzungs-Initiative zur Ausschaffung führt

Und tschüss! 5 Fälle, die zeigen, wie rasch die Durchsetzungs-Initiative zur Ausschaffung führt

07.01.2016, 16:1208.01.2016, 11:33
William Stern
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Die Durchsetzungs-Initiative, mit der die SVP die ihrer Meinung nach ungenügend umgesetzte Ausschaffungs-Initiative direkt in die Verfassung schreiben möchte, ist aus verschiedenen Gründen umstritten. Nicht zuletzt, weil sie im Vergleich zum ursprünglichen Initiativtext erheblich verschärft wurde.

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Vor allem aber führt die Initiative gemäss Wortlaut dazu, dass Ausländer – ob in der Schweiz geboren oder nicht – bereits wegen Bagatelldelikten ausgeschafft würden, ohne dass ein Richter im Einzelfall die Verhältnismässigkeit überprüfen dürfte. Notabene in ein Land, das sie unter Umständen bestenfalls aus den Erzählungen ihrer Grosseltern kennen und dessen Sprache sie nicht beherrschen. 

Wir zeigen fünf fiktive Fälle, die – geht es nach dem Wortlaut der Durchsetzungs-Initiative – mit der Annahme in der Strafrechtspraxis Realität werden könnten. 

--> Hier geht's zum vollständigen Katalog der Strafbestimmungen, die automatisch oder in Kombination mit einer Vorstrafe eine Ausschaffung nach sich ziehen.

Beschimpfung und einfache Körperverletzung

Eine einfache Körperverletzung reicht, um bei einer Vorstrafe ausgeschafft zu werden, so hart wie bei «Fight Club» muss es nicht zugehen.
Eine einfache Körperverletzung reicht, um bei einer Vorstrafe ausgeschafft zu werden, so hart wie bei «Fight Club» muss es nicht zugehen.
bild: screenshot/fightclub

Der 29-jährige Engländer David, Buchprüfer eines Wirtschaftsunternehmens und vor 12 Jahren in die Schweiz gekommen, wurde 2008 wegen einer Beschimpfung («Arschloch») zu einer Geldstrafe von zehn Tagsätzen à 100 Franken verurteilt. Nun gerät David eines trinkseligen Abends unversehens in eine Schlägerei vor einem Club und verpasst einem Kontrahenten einen leichten Faustschlag. Der Getroffene verliert in der Folge einen Teil des Schneidezahns.

David wird vom Gericht einer einfachen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Busse verurteilt. Gemäss Durchsetzungs-Initiative muss David ausgeschafft werden. Dabei ist es unerheblich, dass der Engländer in der Schweiz eine Beziehung mit der 27-jährigen Daniela unterhält und mit ihr eine gemeinsame Tochter (3 Jahre alt) hat. 

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Initativtext

«Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft verweist Ausländerinnen und Ausländer, die wegen einer der folgenden strafbaren Handlungen verurteilt werden, aus dem Gebiet der Schweiz, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre seit dem Entscheid bereits rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden sind:
a. einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) ...
Quelle: Initiativtext

Sozialmissbrauch

Der Straftatbestand des Sozialmissbrauchs, der mit der Durchsetzungs-Initiative in die Verfassung kommt, ist rigoros formuliert. 
Der Straftatbestand des Sozialmissbrauchs, der mit der Durchsetzungs-Initiative in die Verfassung kommt, ist rigoros formuliert. 
bild: screenshot/santésuisse

Die 28-jährige Nuri ist in der Schweiz geboren. Ihre Grosseltern stammen aus Indien. Sie hat ihr Heimatland noch nie besucht, Hindi kennt sie nur aus Bollywood-Filmen. Ihre Einbürgerung wurde ihr an der Gemeindeversammlung ihres Wohnorts verweigert. Nuri, gelernte Kauffrau, ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Eines davon, Eliane, musste sich aufgrund eines Geburtsfehlers vor kurzem einer aufwendigen Operation unterziehen. Nuri lässt sich die hohe Arztrechnung durch ihre Krankenkasse rückerstatten. Aufgrund eines Irrtums erhält Nuri die Rechnung doppelt zurückgezahlt. Die 28-jährige bemerkt den Irrtum, aber weil ihr jüngerer Bruder Schulden und Betreibungen am Hals hat, meldet sie die Doppelzahlung nicht und überweist ihm das Geld. Nuri wird zu einer Geldstrafe verurteilt und ausgeschafft. Dabei ist es unerheblich, dass sie keinerlei Absichten hatte, sich unrechtmässig zu bereichern.

Initiativtext

«Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft verweist Ausländerinnen und Ausländer, die wegen einer der folgenden strafbaren Handlungen verurteilt werden, unabhängig von der Höhe der Strafe aus dem Gebiet der Schweiz: Betrug (Art. 146 StGB) im Bereich der Sozialhilfe und der Sozialversicherungen sowie Sozialmissbrauch (Ziff. V.1)
V. Sozialmissbrauch: Wer für sich oder andere durch unwahre oder unvollständige Angaben, durch Verschweigen wesentlicher Tatsachen oder in anderer Weise Leistungen der Sozialhilfe oder einer Sozialversicherung unrechtmässig erwirkt oder zu erwirken versucht, wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit höherer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
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Pornografie und Betäubungsmitteldelikt

Erotikmagazine an Schweizer Kiosk 1971: Der Tatbestand der Pornografie ist ebenfalls im Initiativtext aufgeführt.
Erotikmagazine an Schweizer Kiosk 1971: Der Tatbestand der Pornografie ist ebenfalls im Initiativtext aufgeführt.
Bild: KEYSTONE

Marc (20), dessen Eltern in den 80er-Jahren aus Moldawien eingewandert sind, und der den Schweizer Pass nicht besitzt, wurde vor zwei Jahren zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er seinem Cousin (15) ein altes Pornoheft überliess. Nun steht Marc erneut vor Gericht, weil er auf seinem Balkon einige Hanfpflanzen anbaute. Das Gericht verurteilt den 20-Jährigen zu einer Geldstrafe. Marc wird ausgeschafft. Moldawien ist dem 20-jährigen Automechaniker so fremd wie dem Durchschnitts-Schweizer.

Initiativtext

«Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft verweist Ausländerinnen und Ausländer, die wegen einer der folgenden strafbaren Handlungen verurteilt werden, aus dem Gebiet der Schweiz, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre seit dem Entscheid bereits rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden sind:
l. Widerhandlung gegen Artikel 19 Absatz 1 oder 20 Absatz 1 BetmG ...

Beschimpfung und Gewalt gegen Beamte 

Ausländer, die wegen Gewalt gegen Polizisten verurteilt werden, werden bei einer Vorstrafe (innerhalb zehn Jahren) ausgeschafft – Bild: Jugendunruhen in Zürich 1980
Ausländer, die wegen Gewalt gegen Polizisten verurteilt werden, werden bei einer Vorstrafe (innerhalb zehn Jahren) ausgeschafft – Bild: Jugendunruhen in Zürich 1980
Bild: KEYSTONE

Seraja hat 2009 im Streit mit einer Nachbarin diese im Affekt als «Hure» bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft eröffnet auf Antrag ein Strafverfahren wegen Beschimpfung gegen die 30-Jährige, die im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie aus Portugal in die Schweiz gekommen ist. Zwei Jahre nach dem Streit – Seraja ist mittlerweile mit einem Schweizer verheiratet und in einem Restaurant als Servicekraft angestellt – rückt die Polizei wegen Ehestreitigkeiten aus. Als die Polizei eintrifft, haben sich die Eheleute wieder beruhigt. Dennoch möchten die Gesetzeshüter den Mann zur Abklärung auf den Posten mitnehmen. Seraja wehrt sich mit Händen und Füssen dagegen, wobei sie keine exzessive Gewalt anwendet. Die Beamten – die nicht zu Schaden kommen – drücken die 30-Jährige unsanft zu Boden und legen ihr Handschellen an.

Ein halbes Jahr später wird Seraja deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt, und wenige Monate später wird auch das Urteil wegen Beschimpfung der Nachbarin rechtskräftig. Seraja, die nun im siebten Monat schwanger ist, wird des Landes verwiesen.

Initiativtext

«Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft verweist Ausländerinnen und Ausländer, die wegen einer der folgenden strafbaren Handlungen verurteilt werden, aus dem Gebiet der Schweiz, wenn sie innerhalb der letzten zehn Jahre seit dem Entscheid bereits rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden sind:
i. Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB), Verweisungsbruch (Art. 291 StGB) ...
3. Wurde innerhalb der letzten zehn Jahre ein Strafverfahren eröffnet, das im Zeitpunkt des Entscheids gemäss Ziffer 2 noch nicht abgeschlossen ist, so wird die Landesverweisung ausgesprochen, sobald die betroffene Person rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden ist.

Hausfriedensbruch und Diebstahl

Diebstahl in Kombination mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung führt automatisch zur Ausschaffung – «Grand Theft Bike».
Diebstahl in Kombination mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung führt automatisch zur Ausschaffung – «Grand Theft Bike».
bild: fixed5311.com

Der 21-jährige François ist zusammen mit drei Kollegen auf dem Nachhauseweg von einer Party. Zwei Kollegen fordern François und Sandro im Rahmen einer Mutprobe auf, in den Garten eines Einfamilienhauses einzudringen und ein dort parkiertes Kickboard zu entwenden. Leicht angeheitert stimmen François und Sandro zu, steigen über den Zaun und nehmen das Kickboard mit. Als sie mit der Beute wieder über den Zaun steigen, knickt dieser unter dem Gewicht der beiden Männer ein. An der nächsten Strassenecke angelangt, lässt die Gruppe das Gefährt stehen.

Durch Zufall kommt die Polizei den Jungs auf die Schliche. Gegen François und Sandro wird ein Strafverfahren eröffnet («Hausfriedensbruch», «Diebstahl», «Sachbeschädigung»). François wird zu einer bedingten Geldstrafe von 500 Franken verurteilt. Zusätzlich wird der Maschinenbau-Student des Landes verwiesen. François, dessen Grosseltern während der Militärdiktatur in den 80ern aus Burkina Faso geflohen sind, ist laut Pass kein Schweizer Bürger. Sandro hingegen, den die Richter ebenfalls für schuldig befinden, erhält nur eine Geldstrafe von 500 Franken aufgebrummt. Sandro ist Schweizer.

Initiativtext

1. Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft verweist Ausländerinnen und Ausländer, die wegen einer der folgenden strafbaren Handlungen verurteilt werden, unabhängig von der Höhe der Strafe aus dem Gebiet der Schweiz:
c. Einbruchsdelikt durch kumulative Erfüllung der Straftatbestände des Diebstahls (Art. 139 StGB), der Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) und des Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) ...

Anm. Die beispielhaften Fälle wurden von Amr Abdelaziz, Rechtsanwalt im Bereich Strafrecht und Wirtschaftsrecht, durchgesehen.

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324 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gipfeligeist
07.01.2016 17:09registriert Januar 2016
Wenn ein Richter mit menschlichem Verstand zu dem Ergebnis kommt, dass der angeklagte Ausländer ein wirklich schweres Delikt ausgeübt hat (Vergewaltigung, Mord...), kann er ihn auch heute schon ausschaffen lassen. Die Durchsetzungsinitiative jedoch verhindert die Vernunft des Richters!
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tinmar
07.01.2016 17:07registriert September 2014
Fehlen noch die gelben Armbinden, damit uns jeder Eidgenosse auch gleich als Ausländer erkennen kann.
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Johannes Schwärzel
07.01.2016 17:06registriert Dezember 2015
Die Ausschaffungen sind in den meisten Fällen eine sehr harte Strafe. Sie darf deswegen nur bei schweren Straftaten ausgesprochen werden.
Alle Menschen sind gleich. Ausländer dürfen nicht härter bestraft werden als Schweizer.
Die Verhältnismässigkeit der Strafen ist für ein Rechtsstaat wichtig. Noch sind wir ein Rechtsstaat. Wenn die Initiative angenommen wird, sind wir kein Rechtsstaat mehr - sondern irgendeine Bananen-Diktatur für die Reichen - mitten in Europa.
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