Schweiz
EU

Amnesty wirft Italien Misshandlung von Migranten vor – jetzt soll die Schweiz handeln

Fluechtlinge stehen an fuer ein Mahlzeit, die von freiwilligen Helfern der Tessiner Hilfsgruppe Associazione Firdaus verteilt wird in einem Park in der Naehe des Bahnhof Como aufgenommen am Donnerstag ...
Italien ist überfordert: Flüchtlinge in Como warten auf die Essensausgabe.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Amnesty wirft Italien Misshandlung von Migranten vor – jetzt soll die Schweiz handeln

03.11.2016, 03:4403.11.2016, 06:09
Mehr «Schweiz»

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International legt der italienischen Polizei schwere Misshandlungen von Flüchtlingen zur Last. Sicherheitskräfte hätten Migranten mit Schlägen und Elektroschockgeräten zur Abgabe von Fingerabdrücken gezwungen.

Die Misshandlungen «liefen in einigen Fällen auf Folter hinaus», heisst es in einer Untersuchung, die Amnesty am Donnerstag vorlegte. Schläge, Elektroschocks sowie sexuelle Erniedrigung gehörten dabei zu den dokumentierten Fällen, schrieb die Organisation.

Mit diesen Mitteln wolle Italien die strengen EU-Richtlinien zur Registrierung von neu ankommenden Migranten umsetzen. Zudem warf Amnesty den italienischen Behörden auch unerlaubte Abschiebungen von Migranten vor. Der Bericht basiert auf Befragung von 170 Migranten.

«An die Grenze des Legalen getrieben»

Unter anderem sollen Flüchtlinge in den Hotspots in Haftzellen gesperrt worden sein, wenn sie ihre Fingerabdrücke nicht abgeben wollten. Die Fingerabdrücke werden gespeichert, um sicherzustellen, dass die Flüchtlinge nicht in einem anderen EU-Land Asyl beantragen. Manche Flüchtlinge wehren sich deshalb dagegen, den Fingerabdruck abzugeben.

epa05600891 Migrants disembark from Norwegian ship Siem Pilot, which has been deployed for rescue operations, upon arrival in Palermo, Sicily, Italy, 24 October 2016. The Norwegian ship Siem Pilot arr ...
Nicht alle wollen ihre Fingerabdrücke abgeben: Flüchtlinge bei der Ankunft in Palermo. Bild: EPA/ANSA

«Die EU-Chefs haben die italienischen Behörden an die Grenzen des Legalen – und darüber hinaus – getrieben», kritisierte der Amnesty-Italienexperte Matteo de Bellis. «Als Konsequenz werden die traumatisierten Menschen fehlerhaften Verfahren und in einigen Fällen abstossenden Misshandlungen durch die Polizei ausgesetzt.»

Elektroschock eingesetzt

Insgesamt dokumentierte Amnesty im Zuge der Untersuchung 24 Fälle von Misshandlungen. In 16 davon habe die Polizei Flüchtlinge geschlagen. In mehreren Fällen sei auch ein Elektroschockgerät zum Einsatz gekommen, in einem Fall gegen einen 16-jährigen Sudanesen. Ein 27-Jähriger habe berichtet, er habe sich ausziehen müssen und sei an den Genitalien gequält worden.

Amnesty könne nicht jedes Detail der Berichte auf Echtheit überprüfen, betonte de Bellis. «Wir können aber mit Gewissheit sagen, dass es ein Problem mit dem übermässigen Einsatz von Gewalt durch die Polizei gibt.»

Migrants queue waiting to enter the refectory at a refugee hub in Milan, Italy, Friday, Oct. 21, 2016. About 500 people live in this overcrowded refugee reception center, managed by 'Progetto Arc ...
Migranten vor einer überfüllten Flüchtlingsunterkunft in Mailand: Bis zu 500 Personen sollen hier leben. Bild: Luca Bruno/AP/KEYSTONE

Appell an die Schweiz

Amnesty fordert insbesondere von der Schweiz Solidarität: Aufgrund der hohen Anzahl an Flüchtlingen und Migrantinnen, die in Italien ankommen, müsse sie selbst mehr Asylverfahren durchführen und ihre Dublin-Überstellungen reduzieren.

Denn fast die Hälfte aller Rückführungen nach Italien kommen aus der Schweiz: Von den 2436 Personen, die im vergangenen Jahr nach Italien überstellt wurden, stammten demnach 1196 aus der Schweiz.

Seit Anfang des Jahres wurden den italienischen Behörden zufolge bereits mehr als 153'000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet und nach Italien gebracht – so viele wie im gesamten Vorjahr. Im Rekordjahr 2014 lag die Gesamtzahl bei 170'000 Flüchtlingen. Nach UNO-Angaben kamen seit Jahresbeginn mehr als 3700 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt ums Leben. (sda/afp/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
79 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wilhelm Dingo
03.11.2016 06:48registriert Dezember 2014
Warum veröffentlicht AI einen Bericht welcher nur Aussagen von Flüchtlingen enthält? Und ...wenn sie ihre Fingerabdrücke nicht abgeben wollten... dann werden sie halt ein wenig härter angefasst. Das ist in Zürich nicht anders.
9619
Melden
Zum Kommentar
avatar
gnp286
03.11.2016 05:28registriert Oktober 2016
Gewalt gegen diese Menschen kann ich ja nicht gutheissen, aber warum geben die Leute die Fingerabdrücke nicht? Die Alternative zu Fingerabdrücke geben wäre ja eigentlich festgehalten zu werden bis das passiert, oder?
848
Melden
Zum Kommentar
avatar
Watson - die Weltwoche der SP
03.11.2016 06:30registriert September 2016
"Amnesty fordert insbesondere von der Schweiz Solidarität: Aufgrund der hohen Anzahl an Flüchtlingen und Migrantinnen, die in Italien ankommen, müsse sie selbst mehr Asylverfahren durchführen und ihre Dublin-Überstellungen reduzieren."

Nein, das Schengen/Dublin abkommen ist einzuhalten, es pochen ja auch sonst immer alle darauf, dass wir die Staatsverträge einhalten.
829
Melden
Zum Kommentar
79
«20-Franken-Drinks in Rooftop-Bar»: Junge Grüne ergreifen Referendum gegen UBS-Hochhaus

Die Jungen Grünen wollen verhindern, dass die UBS in Zürich-Altstetten ein 110 Meter hohes Hochhaus baut. Sie ergreifen gegen den vom Gemeinderat bewilligten Gestaltungsplan «Areal VZA1» das Referendum. Dafür benötigen sie 2000 Unterschriften.

Zur Story