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Ecopop

Die Schweiz kann auch anders

Die Ecopop-Initiative ist im Ausland intensiv beobachtet worden.
Die Ecopop-Initiative ist im Ausland intensiv beobachtet worden.Bild: AP dapd
Eine Einschätzung aus Deutschland 

Die Schweiz kann auch anders

Aus der Volksinitiative Ecopop wird der Ecoflop: Die Schweizer haben den Plänen für weniger Zuwanderer eine deutliche Absage erteilt. Die Regierung in Bern ist erleichtert – trotzdem steht sie vor schwierigen Gesprächen mit der EU.
01.12.2014, 04:1301.12.2014, 06:38
Björn hengst
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Ein Begriff machte am Sonntag in der Schweiz schon Karriere, bevor das klare Nein zu der Volksinitiative für eine strikte Zuwanderungsbegrenzung offiziell war: Der Hashtag #Ecoflop schaffte es in die Schweizer Trendliste des sozialen Netzwerks Twitter. Für die Gegner der gescheiterten Ecopop-Initiative war es die perfekte Antwort auf das abgeschmetterte Volksbegehren. Aus Ecopop - so der aus den französischen Wörtern Ecologie (Ökologie) und Population (Bevölkerung) zusammengesetzte Name der Initiative - wurde kurzerhand das, was viele Eidgenossen jubeln liess: eine Niederlage, eine echte Pleite, in diesem Fall der #Ecoflop.

Auf jährlich 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung wollte Ecopop die Migration begrenzen. Damit wollte die Organisation die «Lebensgrundlagen und Lebensqualität» für die Schweiz langfristig sichern. Ein Ja für die Initiative hätte bedeutet, dass pro Jahr nur noch rund 16'000 Einwanderer zugelassen worden wären - zuletzt lag die Zahl der Einwanderer bei jährlich rund 80'000.

Die Schweizer Regierung und auch Wirtschaftsverbände hatten die Initiative zuvor klar abgelehnt, dennoch gab es bis zuletzt Ungewissheit - und die Sorge, dass ein Ecopop-Erfolg nicht nur der Volkswirtschaft des dringend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesenen Landes massiv schaden, sondern auch zu erneuten Verwerfungen mit der Europäischen Union führen würde. Erst vor wenigen Monaten hatte die Initiative «gegen Masseneinwanderung» das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel massiv belastet, weil durch sie die bilateralen Verträge zur Freizügigkeit zwischen Schweiz und EU infrage gestellt werden.

«Wir sind gescheitert»

Das Nein zu Ecopop (74,1 Prozent) an diesem Sonntag war so deutlich, dass auch den Initiatoren nichts anderes blieb, als ihre Niederlage einzuräumen: «Wir sind gescheitert», sagte Benno Büeler, Präsident des Initiativkomitees, SPIEGEL ONLINE. Es sei mehr Zeit erforderlich, um die breite Bevölkerung zu überzeugen, sagte Büeler. Ecopop werde sich weiter gegen eine drohende Überbevölkerung engagieren. Die jetzige Abstimmung sei nicht zu gewinnen gewesen, so Büeler: «Es gab massive Gegenpropaganda.»

Tatsächlich waren die finanzkräftigen Gegner der Initiative in den Wochen vor der Abstimmung deutlich präsenter als Ecopop: Eine Analyse kam zu dem Ergebnis, dass sich mehr als 90 Prozent der in 56 Schweizer Zeitungen zum Thema geschalteten Anzeigen gegen die Initiative aussprachen.

Entscheidender für das deutliche Nein der Schweizer dürfte aber die breite politische Front gewesen sein: Die etablierten Parteien hatten sich klar gegen die Initiative positioniert. «Nein zur Ecopop-Sackgasse», hiess es etwa bei der sozialdemokratischen SP. «Absurd und schädlich», warnte die liberale FDP. Auch die rechtspopulistische SVP, stärkste Partei im Parlament, lehnte die Initiative ab. So hatte Ueli Maurer, Mitglied der Schweizer Regierung, Ecopop als «falsch und gefährlich» bezeichnet.

Beobachter gehen davon aus, dass Ecopop vor allem deshalb so deutlich scheiterte, weil ihr nicht die Mobilisierungskraft der SVP zugutekam. Kein Wunder also, dass Ecopop-Initiator Büeler der Partei bereits vor wenigen Wochen im Abstimmungskampf «Verlogenheit» vorgeworfen hatte - die SVP, so Büeler, habe einst mit «fast identischem Wortlaut» eine Zuwanderungsbegrenzung gefordert, stelle sich nun aber gegen Ecopop. Tatsächlich ist die Ecopop-Initative aber noch viel radikaler als die umstrittene Masseneinwanderungsinitiative der SVP, die die Schweizer mit knapper Mehrheit angenommen hatten.

Regierung registriert Ergebnis «mit Genugtuung»

Entsprechend gross war am Sonntag die Erleichterung bei vielen Bürgern des Landes: «Wir sind extrem froh über dieses deutliche Resultat», sagte etwa Heinz Karrer, Präsident von Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte in einer Pressekonferenz am Sonntagabend, die Schweizer Regierung nehme das Abstimmungsergebnis zu Ecopop «mit Genugtuung zur Kenntnis».

Gleich in zwei weiteren Fällen sagten die Schweizer am Sonntag Nein: Sie wiesen Forderungen nach einer starken Erhöhung der Goldreserven und nach einer Aufhebung von Steuerprivilegien für ausländische Millionäre mit Schweizer Wohnsitz klar zurück.

Jetzt auf

Die Schweizer Regierung steht trotz des Neins zu Ecopop vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss demnächst Stellung beziehen, wie sie sich die Umsetzung der umstrittenen Masseneinwanderungsinitiative vorstellt - völlig unklar ist bislang, wie dies geschehen soll, ohne die bilateralen Verträge mit der EU zu torpedieren. Die Gespräche mit Brüssel dürften also unangenehm werden.

Vielen Schweizern wird das vorerst egal sein. Ihnen ist zunächst wichtig, dass ihr Land kein Signal der Fremdenfeindlichkeit in die Welt schickte.

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