Nicole Hauser unterrichtet in der Zürcher Gemeinde Wädenswil eine Abschlussklasse der Sekundarschule in der höchsten Leistungsstufe. Vor dem Eintritt in die Berufslehre erarbeiten die 15- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines klassenübergreifenden Schwerpunktes das Thema Geld. Ein Bestandteil des Pflichtprogramms wird das im Kanton Zürich und in vielen anderen Kantonen erst mit der Einführung des Lehrplans 21. «Es ist gut, dass der Umgang mit Geld thematisiert wird», sagt Nicole Hauser rückblickend auf ihre 17-jährige Tä- tigkeit als Lehrerin.
Wie viel Vorwissen haben die
Jugendlichen in den Unterricht
mitgebracht?
Nicole Hauser: Manche wussten
schon viel, andere fast gar nichts.
Nach meiner Beobachtung ist der
Wissensstand stark abhängig davon,
ob eine Schülerin oder ein Schüler
im täglichen Leben schon Geld zur
Verfügung hat und den Umgang damit
lernt.
Wie viel Geld haben Ihre
Schülerinnen und Schüler
zur Verfügung?
In meiner dritten Sekundarklasse
beziehen drei von 20 Schülern einen
Jugendlohn. Sie erhalten 140 Franken
bis 180 Franken pro Monat auf
ein Konto und müssen mit dem Geld
vordefinierte Ausgaben selber bestreiten.
Demgegenüber erhalten etwa
ein Drittel der Schülerinnen und
Schüler kein regelmässiges Taschengeld.
Diese Jugendlichen müssen mit
jedem Konsumwunsch zu den Eltern
gehen, die dann situativ zahlen.
Mehr als die Hälfte erhalten ein Taschengeld
auf monatlicher Basis.
Der Betrag bewegt sich zwischen 50
Franken und 60 Franken.
Wie und wo verwalten die
Jugendlichen ihr Geld?
Einige aus meiner Klasse verfügen
schon seit einiger Zeit zusätzlich zu
ihrem Jugendkonto über eine eigene
Debitkarte. Etwa ein Drittel
der Schülerinnen und Schü-
ler haben in der jüngeren
Vergangenheit, mit
Blick auf den Beginn
der Berufslehre nach den Sommerferien,
ein Konto eröffnet. In diesen
Paketen ist oft auch schon eine Kreditkarte
integriert. Ich würde sagen,
etwa ein Viertel meiner Klasse besitzt
eine Kreditkarte. Konsum auf
Kredit ist heutzutage ein fester Bestandteil
vieler Jugendlicher auch in
unserer Schule.
Was verstehen Sie unter Konsum
auf Kredit?
Alle meine Schülerinnen und Schü-
ler haben schon selber Bestellungen
online getätigt. Meistens versuchen
sie, auf Rechnung zu kaufen – im eigenen
Namen. Nach dem Alter fragt
niemand.
Das tönt besorgniserregend.
Ja. Als Erwachsene sehe ich hier natürlich
sofort die Gefahr der Schuldenfalle
– die Jugendlichen könnten
beim Konsum überborden. Aber interessanterweise
sehen die Jungen
selber keine Gefahr darin.
Entweder fehlt ihnen das
Problembewusstsein oder
sie haben ihr Budget im Kopf.
Was ist wahrscheinlicher?
Ich habe den Eindruck, dass sie ihre
Limiten kennen und beim Konsum
mental auch präsent haben. Ich erlebe
die Jugendlichen in finanziellen
Belangen als sehr realistisch.
Fakt ist, dass Geld die Menschen
gierig machen und sie in die
Schuldenfalle treiben kann.
Wie
erleben Sie das mit Ihrer Klasse?
Ich erlebe alle meine Schülerinnen
und Schüler als sehr vernünftig. Sie
sparen durchweg. Es kommt mir
vor, als wäre Sparen eine Art Grundbedürfnis.
Es ist einfach selbstverständlich.
Wir haben Budgets erstellt.
Dort ist der Posten Sparen für
alle ein fester Bestandteil.
Wirkt sich der Besitz von eigenem
Geld auf das Finanzwissen
der Jugendlichen aus?
Das würde ich aus meiner Erfahrung
klar bestätigen. Ich merke, wie die
Jugendlichen gut Bescheid wissen,
wenn sie die Verantwortung für ihre
Finanzen selber tragen. Ich würde
sagen, diese Jugendlichen wissen etwa
gleich viel über den praktischen
Umgang mit Geld wie wir Erwachsene.
Das hätte ich selber nicht erwartet.
Und die anderen?
Jugendliche, denen die Eltern keine
finanzielle Autonomie gewähren, haben
sich nach meiner Erfahrung selber
gedanklich noch kaum mit dem
Thema Geld auseinandergesetzt.
Erkennen Sie familiäre Muster
bei der finanziellen Erziehung?
Ich kann aus meiner persönlichen
Erfahrung sagen, dass besonders
verwöhnte Jugendliche, die beispielsweise
auch im Haushalt kaum
Verantwortung übernehmen müssen,
eher wenig finanzielle Autonomie
geniessen und dementsprechend
auch weniger Finanzwissen
mitbringen. Ich vermute, dass hinter
dem Konsum dieser Jugendlichen oft
auch das Streben der Eltern nach sozialem
Status steht. Anders kann ich
mir nicht erklären, dass gerade diese
Jugendlichen oft die teuersten Anschaffungen
machen.
Jugendliche, die ein grösseres
Taschengeld erhalten, kommen
ihre Familien also nicht unbedingt
teurer zu stehen, als jene
ohne Taschengeld?
Ja, das entspricht meiner Erfahrung.
Finanzielle Erziehung wird erst im
Lehrplan 21 ein fester Bestandteil
des schulischen Programms.
Warum machen Sie mehr?
Die Schule darf das Thema Geld nicht
ausblenden. Es ist einfach zu wichtig
in unserer Gesellschaft. Ich erachte es
als unsere Aufgabe, die Jungen
möglichst breit auch auf praktische
Aspekte des späteren Erwachsenenlebens
vorzubereiten.