Als das Scheitern der Rentenreform feststand, fuhr er nach Hause, warf eine Wäsche in die Maschine, putzte die WG-Küche. So jedenfalls erzählt es Andri Silberschmidt, Chef der Jungfreisinnigen, am Tag danach. Kein Wort davon, dass er gerade den grössten Sieg seiner politischen Karriere eingefahren hatte.
«Ich sehe keinen Grund, euphorisch zu sein», wiederholt er, was er am Vortag schon mantraartig in die Mikrofone diktiert hatte. Schliesslich seien die Probleme der Altersvorsorge mit dem Nein an der Urne nicht gelöst.
Mit seinen 23 Jahren beherrscht Silberschmidt das Spiel mit den Medien bereits meisterhaft. Den Ritterschlag erteilte ihm am Sonntag der neue SRF-Politologe Lukas Golder: Zur besten Sendezeit machte er die Jungfreisinnigen in seiner Abstimmungsanalyse für das Scheitern der Rentenreform verantwortlich. Sie hätten «ihre Sommerferien geopfert», um genau im richtigen Moment anzugreifen, konstatierte er.
Die Saat, die Silberschmidts Truppe in der Sommerhitze ausgebracht hatte, ging auf: Das Argument, wonach die Jungen zu viel für die Rentenreform bezahlten, war fortan aus keiner Debatte zum Thema mehr wegzudenken.
«Wir wussten, dass wir unsere Kampagne vor den grossen Komitees lancieren müssen, wenn wir gehört werden wollen», bekräftigt Silberschmidt im Gespräch mit watson. Also gingen die Jungfreisinnigen bereits im Mai auf die Strasse, verteilten Nuggis («damit auch unsere Kinder auch noch eine Rente bekommen») und Zuckerwatte («weil auch die Reform versucht, die über 45-Jährigen mit Zückerchen zu ködern»).
Die Bildsprache und das Auftreten der Partei verfingen. Selbst der «Tages-Anzeiger» zeigte sich vom Vibe der Jungpartei («so aufgekratzt und fröhlich und vibrierend») beeindruckt und attestierte ihr ein Formhoch.
Andri Silberschmidt selber investierte nach eigenen Angaben rund vier Stunden pro Tag in den Kampf gegen die Rentenreform. Neben seinem 90-Prozent-Job bei der Zürcher Kantonalbank. Und dem Pop-up-Store, den er im Frühsommer zusammen mit einem Kollegen an der Zürcher Europaallee eröffnet hat. Spezialität: «Sushi-Burritos» – ein Marketing-Gag, den die Medien dankbar aufnahmen.
Dazu kommt das Master-Studium in Finanzmanagement, das Silberschmidt vor wenigen Wochen an einer Londoner Fernuniversität aufgenommen hat. Bleibt da noch Zeit für ein Privatleben? «Ja, durchaus», sagt Silberschmidt und lacht. Seine Freundin sehe er mehrmals pro Woche, auch Sport treibe er regelmässig. «Was eher nicht drinliegt, ist, mir zu Hause Serien reinzuziehen. Zeit so unfruchtbar zu verbringen, ist aber ohnehin nicht mein Ding.»
Der Ehrgeiz packte Silberschmidt im Alter von 15. Damals schmiss er das Gymnasium zugunsten einer Banker-Lehre hin. Und aus dem Kiffer mit Baggy Pants wurde ein Musterlehrling im Anzug. «Der Filialleiter hatte zu mir gesagt: Überleg dir mal, welchen Eindruck du machst, wenn du mit deinen langen Haaren vor dem Kundeneingang rauchst.» Das sei ein Schlüsselmoment für ihn gewesen.
Der zweite erfolgte, als er unter allen Lehrlingen auserkoren wurde, eine Rede an der 1.-August-Feier der Stadt Zürich zu halten. Er, der nach eigenen Angaben weder aus einem besonders politischen noch aus einem FDP-nahen Elternhaus stammt, machte sich intensiv Gedanken darüber, wie er sich die ideale Schweiz vorstellt. Und trug seine Ideen vor 3000 Menschen vor. Da wusste er: «Ich will in die Politik.»
So gründete er mit 18 die Jungfreisinnige Sektion im Bezirk Hinwil. Bereits im Jahr darauf übernahm er die Leitung der Zürcher Kantonalpartei, im April letzten Jahres dann wurde er Chef aller Jungfreisinnigen im Land.
Einer, der seither regelmässig die Klingen mit Silberschmidt kreuzt, ist Luzian Franzini, Co-Präsident der Jungen Grünen. Er sagt: «Andri ist ein hervorragender Verkäufer – und er überlässt nichts dem Zufall.» So habe er sich im Abstimmungskampf um die Rentenreform betont bodenständig gegeben und sein Studenten-Image gepflegt. «Wer ihm zuhörte, hätte fast vergessen können, dass er Fonds-Manager mit besten Kontakten in die Wirtschaftselite ist.»
Tatsächlich war die Verwandlung auch äusserlich sichtbar. Sonst meist adrett in Hemd und Anzug unterwegs, tauchte Silberschmidt im Kampf gegen die Rentenreform immer öfter im schlichten schwarzen T-Shirt auf – in der «Arena» genauso wie in der «Tagesschau». Darauf angesprochen, meint er: «Ich verbringe meine Freizeit auch sonst nicht im Anzug.» Um nachzuschieben: Natürlich habe er sich beim Griff in den Kleiderschrank etwas überlegt.
Eine Verschnaufpause gönnt sich Silberschmidt nach dem strapaziösen Abstimmungskampf nicht. Die nächsten Missionen warten bereits: Bis Ende Jahr sollen die Unterschriften für ein Referendum gegen das Geldspielgesetz beisammen sein. Auch für die No-Billag-Initiative engagieren sich die Jungfreisinnigen an vorderster Front.
Und dann ist da noch die eigene Politkarriere, die es voranzutreiben gilt. Nächstes Jahr lautet das Ziel Zürcher Gemeinderat, 2019 dann Nationalrat. Ein Journalist machte Silberschmidts Bundeshaus-Ambitionen am Abstimmungssonntag unautorisiert publik. «Damit hat er mir wohl keinen Gefallen getan», meint Silberschmidt trocken.