Schweiz
Gesellschaft & Politik

Lisa Bosia Mirra steht wegen Schlepperei vor Bundesstrafgericht

Die Angeklagte Lisa Bosia Mirra, Mitte, und ihr Verteidiger Pascal Delprete, links, vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona anlasesslich des Prozessbeggins gegen die Tessiner SP-Grossraetin Mirra weg ...
Lisa Bosia Mirra am Donnerstag auf dem Weg zum Bundesstrafgericht in Bellinzona.Bild: TI-PRESS

Schlepperin oder Heldin? SP-Fluchthelferin steht vor Gericht

Die Tessiner SP-Frau Lisa Bosia Mirra schleuste Flüchtlinge über die Schweizer Grenze. Nun befindet das Bundesstrafgericht mit dem Fall. Die Richter müssen ein wegweisendes Urteil fällen: Gibt es legitime Gründe dafür, Fluchthilfe zu leisten?
21.09.2017, 15:5322.09.2017, 06:44
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Sind Freiwillige, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa unterstützen, Lebensretter oder Handlanger der Schlepper? Die Diskussion, die im Zusammenhang mit NGOs auf dem Mittelmeer schon seit geraumer Zeit hitzig geführt wird, erreicht nun auch die Schweiz.

Heute findet im Tessin der Prozess gegen die SP-Politikerin Lisa Bosia Mirra statt, der vorgeworfen wird, minderjährige Flüchtlinge in die Schweiz geschleust zu haben. Im April dieses Jahres wurde sie erstinstanzlich wegen Schlepperei verurteilt. Sie legte Rekurs ein – nun befindet das Bundesstrafgericht darüber. 

Das Urteil, das in einer Woche erwartet wird, dürfte wegweisend sein. Es geht um die Frage: Gibt es legitime Gründe dafür, Fluchthilfe zu leisten?

Schreiben vom Papst soll es richten

Für die Staatsanwaltschaft lautet die Antwort Nein. Sie fordert für Bosia Mirra eine Geldstrafe und eine Busse von insgesamt 10'000 Franken. In der Anklageschrift heisst es, Bosia Mirra habe in mindestens neun Fällen Flüchtlingen geholfen, illegal in die Schweiz einzureisen. 24 Personen aus Eritrea und Syrien soll sie über die Grenze gebracht haben. Einige habe sie bei sich zu Hause untergebracht, anderen habe sie Zugbillette für die Weiterreise nach Deutschland bezahlt.

Lisa Bosia Mirra macht geltend, dass sie aus rein humanitären Gründen gehandelt habe – und deshalb freizusprechen sei. Ein breit aufgestelltes Komitee unterstützt sie dabei. Angeführt von zwei Journalisten und einem Anwalt hat die Gruppierung im Internet eine «Rechtsbeobachtungsstelle» eingerichtet. Folgende Dokumente sollen ihre Argumentation stützen:

  • Auf 35 Seiten berichtet Lisa Bosia Mirra in einem «Memorandum», einer Art Tagebuch, aus ihrem Leben, von ihren Aktivitäten als Flüchtlingshelferin und von ihren Motiven für ihr Engagement.
  • Die Tessiner Psychotherapeutin Fiorenza Bernardoni beurteilt in einem Gutachten Bosia Mirras Persönlichkeit. Sie schreibt, das illegale Verhalten von Frau Bosia müsse als «Ausdruck einer ernsthaften Erschöpfung und Verteidigung» gesehen werden. Dass sie sich nun vor Gericht zu verantworten habe, sei «Ergebnis einer Kluft zwischen würdigen Idealen und einer ungerechten Realität, die ein Leiden verursacht, an dem Menschen buchstäblich zerbrechen.»
  • Die Rechsbeobachtungsstelle beruft sich weiter auf ein Schreiben von Papst Franziskus, das dieser letztes Jahr vor Weihnachten verfasst hat. Darin bezeichnet er unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als besonders verletzliche Menschen ohne Stimme. «Flüchtlinge aufzunehmen ist ein Muss», so Franziskus.
  • In seiner Verteidigungsschrift nennt der Anwalt auch eine ganze Reihe an Zeugen, die sich hinter die Sozialdemokratin stellen werden. Darunter finden sich illustre Namen, etwa Denise Graf von Amnesty International oder der frühere Staatsanwalt Paolo Bernasconi.

Schon nach Bosia Mirras Festnahme vor Jahresfrist schlug sich Ex-Staatsanwalt Paolo Bernasconi, der als «Mafiajäger» Bekanntheit erlangt hatte, öffentlichkeitswirksam auf die Seite der SP-Frau. In den Medien bezeichnete er sie als «Mutter Teresa von Como» und verwies auf einen Fall aus den 70er-Jahren. Damals gestand ein protestantischer Pfarrer aus dem Tessin, 400 chilenischen Flüchtlingen bei der illegalen Einreise in die Schweiz geholfen zu haben. Die Tessiner Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren damals ein, weil der Geistliche aus humanitären Gründen geholfen habe.

«Die Geschichte wird auch Lisa freisprechen.»
Juso-Chefin Tamara Funiciello

Zu den Unterstützerinnen von Bosia Mirra zählt auch Juso-Chefin Tamara Funiciello. Sie feierte Bosia Mirra nach ihrer Festnahme als «Heldin» und forderte die Bevölkerung auf, es ihr gleich zu tun. Seither stehen die beiden Frauen in Kontakt. Wie Funiciello auf Anfrage sagt, hofft sie, dass die Tessiner Richter mit einem möglichst milden Urteil ein Zeichen setzen. Sie beruft sich auf Bertolt Brecht: «Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zu Pflicht.»

Tamara Funiciello, Kandidatin als neue JUSO-Praesidentin, vor der Delegiertenversammlung der JUSO in Zuerich am Samstag, 18. Juni 2016. Am 18. Juni tritt Fabian Molina als JUSO-Praesident zurueck. Sam ...
Tamara Funiciello.Bild: KEYSTONE

Es dürfe nicht sein, dass täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, während sich die Sicherheitspolitiker in Europa auf die Schulter klopften, weil die Flüchtlingszahlen sinken. Funiciello vergleicht Borio Mirra mit dem St. Galler Grenzbeamten Paul Grüninger, der im Zweiten Weltkrieg hunderte Flüchtlinge vor der Verfolgung durch die Nazis gerettet hatte. «Die Geschichte wird auch Lisa freisprechen», ist sie sich sicher.

«Es ist ja nicht so, als ob diese Leute an Leib und Leben gefährdet wären. Ob sie sich in der Schweiz oder in Italien aufhalten, ist für ihr Wohlergehen unerheblich.»
Heinz Brand, Migrationspolitiker der SVP

Für Heinz Brand, SVP-Nationalrat und Präsident der Staatspolitischen Kommission, ist diese Argumentation bedenklich. «Wenn eine Politikerin dazu aufruft, das Gesetz zu brechen, deutet das auf eine bedenkliche Grundhaltung hin. Sie stellt damit direkt und grundsätzlich unseren Rechtsstaat infrage.»

Nationalrat Heinz Brand, aufgenommen an einer Medienkonferenz der SVP Graubuenden, am Montag, 20. April 2015, in Chur. Wie die Partei bekannt gab, will sie im Oktober mit zwei Listen mit Magdalena Mar ...
Heinz Brand.Bild: KEYSTONE

Aus Brands Sicht gibt es keine Entschuldigung dafür, Migranten illegal über die Grenze zu bringen. «Es ist ja nicht so, dass diese Leute unmittelbar an Leib und Leben gefährdet wären. Ob sie sich in der Schweiz oder in Italien aufhalten, ist für ihr Wohlergehen unerheblich.» Um potenzielle Nachahmer abzuschrecken, sei es wichtig, dass die Richter solche Taten konsequent  sanktionierten.

Findest du es legitim, Flüchtlinge illegal über die Schweizer Grenze zu schleusen?

24 Schweizer Fluchthelfer erwischt

Ob der Wirbel um Bosia Mirras Festnahme in der Schweiz Nachahmer auf den Plan gerufen hat, lässt sich nur schwer überprüfen. Fakt ist: Dieses Jahr wurden von Januar bis Ende August bereits 24 Personen mit Schweizer Pass erwischt, die Flüchtlinge über die Grenze schmuggeln wollten – mehr als von jeder anderen Nationalität. Ob es sich um Personen handelte, die aus humanitären Motiven handelten oder um solche, die sich damit persönlich bereichern wollten, geht aus der Statistik nicht hervor.

Bekannt ist, dass es in anderen Ländern aktive Fluchthilfe-Szenen gibt. In Deutschland etwa geben sich linke Aktivisten auf einschlägigen Seiten und im Internet Tipps, wie die Grenzüberquerung am besten gelingt. So raten sie etwa, Sonnenblenden am Auto zu montieren, damit die Polizei Personen auf der Rückbank nicht erkennt. Auch Deutschlandfahnen für die Rückspiegel sollen sich demnach gut machen – als Tarnung.

Schweizer schauen nicht länger zu wie Flüchtlinge ertrinken

Video: Angelina Graf

Hunderte Flüchtlinge stranden am Bahnhof von Como (I)

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Hunderte Flüchtlinge stranden am Bahnhof von Como (I)
Touristen passieren am Boden schlafende Flüchtlinge, welche sich am Bahnhof von Como niedergelassen haben und auf eine Weiterreise in die Schweiz warten.
quelle: keystone/ti-press / francesca agosta
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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nuka Cola
21.09.2017 18:30registriert September 2016
Also mein Senf dazu: Sollte sie beispielsweise in Italien jemand antreffen, der todeskrank oder verletzt ist, und in dann in ein 30 Minuten entferntes CH Krankenhaus bringt, anstelle in ein 90 Minuten entferntes Italienisches, dann könnte man von akuter humanitärer Hilfe sprechen.

Doch sie hat Leuten zur Flucht aus einem sicheren Land geholfen.

Ein leicht tieferer Lebensstandard in Italien rechtfertigt aber keine Deckung einer Straftat mit "humanitärer Hilfe".

Sie macht die Gesamtsituation allen Flüchtlingen schwerer, da diese so gebundenen Kapazitäten dort fehlen wo sie helfen sollten.
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Maria B.
21.09.2017 16:37registriert Februar 2015
Da unsere Gesetze, auch die Asylregelung, sich in Einklang mit den Menschenrechten, aber auch mit jenen anderer europäischen Usanzen stehen, ist die Frau keine Heldin, sondern ganz klar Straftäterin.

Da würde Strassburg nicht anders entscheiden, wie es das BG nun wohl unweigerlich tun muss.

Kommt hinzu, dass die Schlepperin sich insofern nicht auf "unmittelbar am Leben bedrohte Menschen" und somit auf ihre humanitäre Motivation berufen kann, da sie problemlos im sicheren Italien hätten bleiben können.

Auch half sie wohl vorwiegend nur reinen Wirtschaftsmigranten, diese grosse "Heldin" ;-)!
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Str ant (Darkling)
21.09.2017 16:59registriert Juli 2015
Die Frage ist wohl eher da alle vor dem Gesetz gleich sind. Ist sie gleicher als andere ?
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