Speziell in der Romandie könnten die Hersteller von Süssgetränken aufgrund von politischen Vorstössen schon bald in den sauren Apfel beissen: So plant etwa der Waadtländer Gesundheitsminister Pierre-Yves Maillard (SP), ein politisches Schwergewicht innerhalb seiner Partei, mit einer Steuer auf zuckerhaltige Getränke in der Höhe von 30 Rappen pro Liter die Zahnarztkosten von Kindern und Jugendlichen querzufinanzieren.
Das Neuenburger Parlament hat das Thema auf die Bundesebene gebracht. Per Standesinitiative verlangt es die Einführung einer Steuer auf sämtliche zuckerhaltige Lebensmittel. Bald werden sich also die eidgenössischen Räte mit der Frage befassen. In dieselbe Kerbe schlägt eine Interpellation der Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle vom letzten Herbst.
Dagegen wehrt sich die Süssgetränke-Industrie. In Bundesbern ist sie unter dem Label der «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke – für einen aktiven Lebensstil und bewussten Trinkgenuss» (IGEG) aktiv. Dieser Zusammenschluss von Branchenvertretern und Parlamentariern verschiedener Parteien wurde 2013 gegründet.
Am Dienstag nun blies die Gruppe zum Kampf – ausgerüstet mit einer nigelnagelneuen Studie. In Bern präsentierte die IGEG die Ergebnisse des «Monitor Ernährung und Bewegung». Das Forschungsinstitut GFS Bern führt die jährlich erhobene Umfrage im Auftrag der IGEG zum vierten Mal in Folge durch. Die wichtigste Erkenntnis daraus: Eine Zuckersteuer ist beim Schweizer Stimmvolk weiterhin nicht mehrheitsfähig – 67 Prozent sprechen sich dagegen aus.
Auch das GFS stellt aber fest, dass der Trend gegen die Zucker-Lobby läuft: So gewinnt das Ja-Lager leicht an Zustimmung, im Vergleich zum letzten Jahr sei der Anstieg deutlich. Bereits 30 Prozent befürworten die Einführung einer Zuckersteuer. Aus den Ergebnissen ziehen die Süssgetränkehersteller ihre Lehren, um das zu verhindern. So sieht ihr Schlachtplan aus – und das sagt Zuckersteuer-Befürworterin Laurence Fehlmann Rielle dazu.
«Wir Produzenten achten darauf, dass wir den Konsumenten eine Auswahl bieten», sagt Marcel Kreber, Sekretär der IGEG. Es stünden ausreichend kalorien- oder zuckerreduzierte Alternativen zur Verfügung. Diesem Befund stimmen laut GFS-Umfrage 86 Prozent der Bevölkerung voll oder eher zu. Für die Getränkehersteller ist klar: «Der Konsument braucht aber auch die Wahlfreiheit, die stärker zuckerhaltige Alternative zu wählen», sagt Kreber.
Das will SP-Nationalrätin Fehlmann Rielle nicht gelten lassen. Eine Steuer verhindere keinesfalls die Wahlfreiheit, wie das die Zuckerlobby behaupte: «Mir geht es darum, ein besseres Gleichgewicht zu erreichen. Wenn die ungesunde Alternative mit mehr Zucker ein bisschen teurer ist, macht sich der Konsument mehr Gedanken». Trotzdem bleibe ihm die Möglichkeit, sich für ein Lebensmittel mit mehr Zucker zu entscheiden.
Branchenvertreter Kreber zeigt sich «besorgt, wenn wie im Waadtland ein einziges zuckerhaltiges Nahrungsmittel wie die Erfrischungsgetränke stigmatisiert werden, obwohl der Zucker in Kuchen und Schokolade die genau gleiche Wirkung hat». Diesem Argument folgen laut Umfrage 62 Prozent der Bevölkerung. Für Kreber lassen sich komplexe gesundheitliche Fragen politisch nicht mit der Stigmatisierung und Besteuerung einzelner Lebensmittel lösen. Nur drei Prozent der täglichen Kalorienzufuhr gingen durchschnittlich aufs Konto von Erfrischungsgetränken.
Hier gibt es Berührungspunkte mit SP-Frau Fehlmann Rielle. Sie will im Gegensatz zum Waadtländer Vorstoss eine Steuer auf alle mit Zucker angereicherten Lebensmittel, nicht bloss Getränke. Zur Bekämpfung der von Kreber angesprochenen komplexen gesundheitlichen Fragen wie Diabetes, Übergewicht, Karies und Herzkrankheiten braucht es Fehlmann Rielles Ansicht nach auch zielgerichtete Massnahmen. Dazu gehört für sie eine Steuer, die zu einer effektiven Reduktion des Zuckerkonsums führe.
Aus politischer Sicht empfiehlt BDP-Nationalrat Lorenz Hess, Präsident der IGEG, der Branche folgende Schlussfolgerung aus dem GFS-Bericht: «Die Konsumenten wollen umfassend über Inhaltsstoffe und Nährwerte informiert sein.» Laut Marcel Kreber geschehe das bereits: «Wir deklarieren Zutaten und Zuckergehalt transparent.» Der «Schlachtplan» der Branche gegen die Zuckersteuer bestehe in erster Linie aus transparenter Information.
Diesbezüglich interessiere man sich auch für Entwicklungen im Ausland: «Wenn etwa in der EU über die Einführung eines ‹Ampelsystems› bei der Deklaration der Nährwerte auf Produkten diskutiert wird, schauen wir genau hin.» Eine Ampelkennzeichnung würden laut Umfrage zwei Drittel der Bevölkerung befürworten.
Für Gesundheitspolitikerin Fehlmann Rielle gehen die Bemühungen der Branche nicht weit genug. Es müsse klar gekennzeichnet werden, ob es sich beim Zucker in Lebensmitteln um natürlich vorkommenden Zucker oder angereicherten Zucker handelt. In ihrer Interpellation an den Bundesrat forderte sie die Einführung des Warnhinweises «Zuckerzusatz» auf entsprechenden Produkten.
Wie die IGEG in ihrer Medienmitteilung schreibt, sinkt der Konsum von Erfrischungsgetränken in der Schweiz. Tatsächlich lag der Verbrauch 2016 hierzulande auf dem tiefsten Wert seit 2007. In den letzten neun Jahren sank der Pro-Kopf-Konsum um zehn Liter auf 69 Liter pro Jahr. Kalorienreduzierte Produkte wie Cola Zero kommen auf dem Markt gut an.
Allein aufgrund eines Umdenkens bei den Konsumenten verschwindet für Fehlmann Rielle die Thematik nicht: «Das Problem ist, dass wir eine Nahrungsmittel-Lobby haben, die aus wirtschaftlichen Gründen keine solche Steuer will.» Von sinkenden Verkaufszahlen bei stark zuckerhaltigen Produkten profitiere die Gesamtgesellschaft gesundheitlich: «Die Industrie verdient aber gut an solchen Produkten und wehrt sich deshalb dagegen.»
Gemäss Umfrage befürworten in der Romandie 39 Prozent die Einführung einer Steuer auf zucker-, salz- oder fetthaltige Lebensmittel. «Das nehmen wir ernst», sagt Marcel Kreber. Er sei aber fest davon überzeugt, dass die Eigenverantwortung des Konsumenten in der Schweiz auch zukünftig mehrheitsfähig bleiben werde.
Davon gehen auch die Studienautoren aus. Themenübergreifend gehe der Trend aber hin zu mehr Zustimmung zu staatlichen Interventionen. Diese Entwicklung sei für die Lebensmittelbranche kritisch zu werten. Für GFS-Projektleiterin Cloé Jans bleibt die Eigenverantwortung des Konsumenten aber der zentrale Wert, von dem ausgehend die ganze Fragestellung beurteilt wird.
Auch SP-Nationalrätin Fehlmann Rielle bleibt realistisch: «Mir ist bewusst, dass eine solche neue Steuer derzeit nicht besonders populär ist – aber wir müssen trotzdem darüber diskutieren.»