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Gesundheit

Antibabypille «Yasmin» und der Fall Céline: Interview mit der Mutter

Claudia Pfleger erzählt, wie es ihrer Tochter heute geht.
Claudia Pfleger erzählt, wie es ihrer Tochter heute geht.screenshot tele züri

Der Fall Céline: «Das waren die letzten Worte, die ich von meiner Tochter gehört habe»

2008 erschütterte der Fall Céline die Schweiz: Die damals 16-Jährige nimmt die Antibabypille «Yasmin» vom Pharmakonzern Bayer ein. Kurz darauf erleidet sie eine schwere Lungenembolie und ist seither schwerstbehindert. Ihre Familie zog den Fall bis vor Bundesgericht. Dieses wies die Klage 2015 ab. Wie geht es Céline heute?
16.06.2017, 08:4016.06.2017, 10:16
Chantal Gisler / az Aargauer Zeitung
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Fast zehn Jahre ist es her. Hautnah musste Claudia Pfleger 2008 miterleben, wie das Leben ihrer Tochter Céline innerhalb von Sekunden zerstört wurde.

In der Sendung «TalkTäglich» auf Tele Züri erinnert sie sich: «Am Morgen habe ich Céline geweckt, wie sonst auch immer. Sie wollte das so. Ich lief mit ihr ins Badezimmer, sie nahm ihre Zahnspange heraus. Dann sagte sie, sie fühle sich komisch, sie habe einen Muskelkater.»

Jetzt auf

Damals wusste Mutter Claudia nicht, dass sich eine Lungenembolie so anfühlt. «Ich konnte nur noch wenige Worte mit ihr wechseln. Plötzlich wurde sie ganz weiss und klappte bewusstlos zusammen. Sie hatte leicht starre Augen. Ich wusste sofort, dass es etwas Schlimmes sein musste.»

Claudia Pfleger erzählt vom Tag, als Céline zusammenbrach und was die letzten Worte ihrer Tochter waren.Video: © Tele Züri

Die Mutter reagierte, rief den Notarzt. Im ersten Moment habe sie die Situation gar nicht begreifen können. Auch heute könne sie kaum fassen, was damals passiert ist. «Das waren die letzten Worte, die ich bis heute von meiner Tochter gehört habe.»

Die Diagnose: Beidseitige schwere Lungenembolie mit Herzstillstand. Diese führte zu einem Sauerstoffmangel, der eine schwere Hirnschädigung zur Folge hatte. Die junge Frau ist heute spastisch gelähmt und schwer invalid. Schnell war die Ursache gefunden. «Mehrere Ärzte bestätigten, dass nur die Antibabypille Schuld daran sein kann», erzählt Pfleger.

Ähnliche Fälle in den USA

Die Familie verklagte die Firma Bayer auf Schadenersatz von 5,3 Millionen Franken und eine Genugtuung von 400'000 Franken, zog die Klage bis vor Bundesgericht. Doch der Pharmariese gewann. 

Doch auch heute ist Claudia Pfleger überzeugt: «Ich bin mir sicher, dass man das hätte verhindern können, wenn ich das Wissen von heute damals schon gehabt hätte», erklärt Pfleger. Bereits vor 2008 gab es in den USA ähnliche Fälle, von denen man in Europa nichts gewusst hatte. Obwohl man nur selten davon hört, «bedeutet das nicht, dass es keine mehr gibt.»

Gefangen im eigenen Körper

Heute lebt die mittlerweile 27-jährige Céline in einem Heim für körperbehinderte Menschen in Schaffhausen. «Mir war es wichtig, dass sie in die Nähe ihrer Familie kommt, dorthin, wo sie aufgewachsen ist», erklärt Pfleger.

Körperlich sei sie auf dem Stand eines Kleinkindes, ihr Verstand arbeite jedoch weitgehend normal: «Sie ist gefangen im eigenen Körper.» Sie könne sich nicht mitteilen, sehe schlecht.

Claudia Pfleger spricht darüber, wie ihr grösster Wunsch, dass Céline wieder sprechen kann, zerschlagen wurde.Video: © Tele Züri

«Es war lange der Wunsch der Familie, dass sie wieder sprechen kann», erzählt Pfleger. Céline mache zwar Fortschritte, aber nicht in diese Richtung. Die Chance, dass sie jemals wieder sprechen kann, sei minimal.

«Es war hart, das zu akzeptieren.» Dennoch ist Claudia Pfleger unglaublich stolz auf ihre Tochter. «Sie meistert die Situation gut und hat gelernt, damit zu leben. Obwohl, sie hatte ja keine Wahl.»  

Antibabypillen genau prüfen

In einem Buch hat Célines Mutter die ganze Geschichte aufgeschrieben. Damit möchte sie Eltern und Jugendliche auf die Risiken aufmerksam machen, sie sensibilisieren und dazu animieren, Nebenwirkungen und Risiken genau abzuklären. «Man sollte sich die Pillen wirklich genau anschauen und auch über Alternativen nachdenken.»

In Italien sei beispielsweise ein Test obligatorisch, der Frauen zeigt, ob sie emboliegefährdet sind. Wieso sich das in der Schweiz nicht durchgesetzt hat, ist für Pfleger unverständlich. 

«Der Fall ist jetzt zwar abgeschlossen – für uns ist es aber nie abgeschlossen.»Video: © Tele Züri

Vor Gericht ist der Fall abgeschlossen, aber für die Familie wird er es nie sein. «Die älteste Tochter heiratet bald. Aber für Céline wird das nie möglich sein, denn sie ist in den Zustand eines Kleinkindes zurückversetzt.» Dennoch gibt es für die Familie auch schöne Momente. «Die Solidarität für Céline war riesig und dafür sind wir unglaublich dankbar.»

Hier kannst du die ganze Sendung mit Célines Mutter anschauen:

2008 erlitt Céline eine schwere Lungenembolie nach der Einnahme der Antibabypille «Yasmin». Seither ist sie schwerstbehindert. Die Klage gegen Bayer wurde vor Bundesgericht abgewiesen. Video: © TeleZüri
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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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so wie so
16.06.2017 09:25registriert Juli 2015
Für mich ist es nach wie vor unverantwortlich, dass die Pille wie Tic Tacs verteilt werden. Mir wurde mit 14 ganz selbstverständlich die Pille verschrieben, da ich eine unregelmässige Periode und Anke hatte.Nach 10 Jahren Kopfschmerzen, Gewichtsproblemen, fehlende Lust auf Sex und Depressionen habe ich die Hormone abgesetzt. Nach 1. 5 Jahren waren alle Beschwerden restlos verschwunden. Ich wurde nie über diese Risiken aufgeklärt. Dabei habe ich min 5 Kolleginnen, die das gleiche oder ähnliches erlebt haben. In meinen Körper werden nie mehr künstliche Hormone kommen. Frauen, informiert euch.
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chicadeltren
16.06.2017 09:49registriert Dezember 2015
Sorry, aber es ist klar, dass der "Pharmamulti" hier nicht Schuld ist. Lungenembolien sind bekannte Nebenwirkungen der Anti-Baby-Pille, man geht das Risiko freiwillig und nach dem Gespräch mit einem Arzt ein, wo durchaus Risikofaktoren abgeklärt werden! Eine 35-jährige Raucherin bekommt z.B. keine Pille! ABER WICHTIG: Das Risiko einer Thrombose und in der Folge Lungenembolie ist in einer Schwangerschaft viel höher als mit der Pille! Wichtiger als die Pille zu bashen, wäre Aufklärungsarbeit bezüglich Symptomen von Thrombosen.
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miss_gürps
16.06.2017 12:25registriert Oktober 2014
Diese Geschichte erinnert mich wieder daran, dass ich schleunigst eine Patientenverfügung erstellen sollte.
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