Dabei wäre eine Änderung dringend nötig: Je nach Fachbereich und Leistung sind die Kosten massiv überhöht. An einem einzelnen Eingriff kann ein Arzt ein Vielfaches dessen verdienen, was die Krankenversicherer für «sachgerecht» halten. Verena Nold, Direktorin des Kassenverbands Santésuisse, nennt als Beispiel die Operation eines Grauen Stars: «Früher brauchte ein Arzt dafür drei Stunden, heute schafft er es in zwanzig Minuten.»
Abrechnen könne ein Augenarzt jedoch so, als hätte er dafür etwa zehn Mal länger gebraucht. Was er dadurch zusätzlich in die eigene Tasche steckt, bezahlt jeder über die steigenden Krankenkassenprämien.
Zwar haben längst auch Ärzte eingesehen, dass der Tarif überholt und eine Änderung angezeigt ist. Nur sind diese untereinander derart zerstritten, dass sie im vergangenen Sommer den über Jahre mit Spitälern und Unfallversicherern ausgehandelten Tarif haushoch ablehnten. Viele Facharztgruppen hatten Angst, die Tarifänderung könnte sie schlechterstellen. Einzig der Spitalverband H+ hielt am neuen Tarif fest und reichte dem Bundesrat das Werk ein.
Die Änderung ist damit nicht vollzogen: Dafür braucht es neben der Zustimmung der Regierung auch einen Versicherer als Tarifpartner. Der ursprüngliche Partner, der Kassenverband Curafutura, sprang im Sommer ab, als durchsickerte, dass der neue Tarif vier Milliarden Franken kosten könnte.
So lief die Frist des Bundesrats für die Tarifrevision ungenutzt aus. Eigentlich wäre damit die Voraussetzung erfüllt, dass der Bundesrat einschreitet und den Tarif eigenhändig anpasst. Doch Gesundheitsminister Alain Berset gewährte zum wiederholten Mal Aufschub. Bis gestern.
Die Chance, ein staatliches Eingreifen zu verhindern, blieb diesmal nicht ungenutzt. Kurz vor Ablauf der Frist preschten die Versicherungsverbände vor und reichten je einen Vorschlag zur Revision des Tarmeds ein.
Curafutura will über sofortige Eingriffe rund 600 Millionen Franken an Kosten sparen – auf Kosten der Ärzte. Die Branche schüttelt darob den Kopf: Das Vorgehen gegen den Willen der Ärzte hat sich bereits zuvor als Fehler erwiesen. Diese rechneten nach der letzten Tarifanpassung häufiger «Leistungen in Abwesenheit des Patienten» ab. Zu deutsch: Mit Aktenstudium werteten sie ihren Lohn auf.
Wenig überraschend lehnt der Ärzteverband FMH den Vorschlag ab: Die heutige Tarifstruktur werde noch stärker verzerrt. Auch H+ bedauere den plötzlichen Alleingang von Curafutura, wie Direktor Bernhard Wegmüller sagt. «Dies ist für die künftigen Arbeiten an der Gesamtrevision gefährlich.»
Doch auch was die Konkurrenz vorschlägt, stösst auf Kritik. Santésuisse hat zusammen mit den Augenärzten und Kardiologen eine Änderung des aktuellen Tarifs vorgeschlagen: Häufige Eingriffe sollen neu über Leistungspauschalen abgegolten werden. Das System soll vereinfacht und die vielen Einzelleistungen gekürzt werden. «Da die Totalrevision gescheitert ist, versuchen wir es jetzt Schritt um Schritt», rechtfertigt Verena Nold den, der in Absprache mit den jeweiligen Spezialärzten entstanden ist.
Die Einführung von Pauschalen habe nichts mit einer Revision des Tarmeds zu tun, kritisiert H+-Direktor Bernhard Wegmüller. «Pauschalen zwischen einzelnen Versicherern und Leistungserbringern sind nichts neues und wurden schon in Vergangenheit vereinbart.» Er hält an dem im Sommer eingereichten neuen Tarifwerk fest.
Damit ist es am Bundesrat, sich zu entscheiden, mit welchem der drei imperfekten Vorschläge er weiter arbeiten will. Die jeweiligen Gegner stehen heute bereits fest.