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Warum die Politik Schweizer Kunden nicht vom günstigeren Ausland abhalten kann

Shoppers get their VAT refunded at the shopping center Lago in Constance, Germany, pictured on September 3, 2011. (KEYSTONE/Martin Ruetschi)

Leute lassen sich im Einkaufszentrum Lago in Konstanz, Deu ...
Durch den Einkaufstourismus entgehen dem Fiskus laut der Schweizer Steuerverwaltung eine halbe Milliarde Franken an Mehrwertsteuereinnahmen.Bild: KEYSTONE

Warum die Politik Schweizer Kunden nicht vom günstigeren Ausland abhalten kann

Nach Massnahmen gegen den Einkaufstourismus sucht das Parlament seit Jahren. Am Dienstag hat es abermals eine neue Idee abgewürgt – vorerst vielleicht zum letzten Mal.
07.06.2017, 06:5007.06.2017, 07:31
Anna Wanner / Nordwestschweiz
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Der Glarner Ständerat Werner Hösli hat am Dienstag einen neuen Versuch gestartet, den boomenden Einkaufstourismus zu bremsen. So verlangte er in einem Vorstoss, den Freibetrag bei Auslandeinkäufen von 300 auf 50 Franken zu senken. Wer also für mehr als 50 Franken im Ausland einkauft, müsste künftig bei der Rückkehr in die Schweiz Mehrwertsteuern auf die Einkäufe bezahlen. Heute ist das nur bei einem Betrag über 300 Franken der Fall.

Ständeräte aller Couleur verwiesen auf die Probleme des Einkaufstourismus in ihrer Region und stimmten auf das Lamento ein. Im Tessin gingen neben Steuereinnahmen auch Stellen im Detailhandel verloren, sagte Filippo Lombardi (CVP/TI). Im Grenzort Kreuzlingen sei das Bild bedrückend, schilderte Brigitte Häberli-Koller (CVP/TG): «Jedes zweite Geschäft muss schliessen.»

Jetzt auf

Trotzdem entschied das Plenum auf Antrag von Martin Schmid (FDP/GR) einstimmig, die Vorlage an die zuständige Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) zurückzuweisen. Das Thema sei «wichtig», so Schmid. Die Effizienz und Effektivität des Vorschlags müsse jedoch geprüft werden. Und da die Kommission derzeit Massnahmen diskutiere, um gegen die Hochpreisinsel Schweiz vorzugehen, sei Werner Höslis Idee dort gut aufgehoben.

Die halbe Milliarde, die fehlt

ZU DEN NEUESTEN ZAHLEN DER SCHWEIZER WIRTSCHAFT STELLEN WIR IHNEN AM MITTWOCH 2. MAERZ 2016 FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG. - Einkaufstouristen kaufen im deutschen Einkaufszentrum Lago ein, am Sa ...
Bild: KEYSTONE

Seit mehr als zehn Jahren geht das nun so. Das Thema brennt den Parlamentariern unter den Nägeln. Eine gescheite Lösung haben sie bisher jedoch nicht gefunden. Der Druck steigt nun aber, gegen den Einkaufstourismus endlich etwas zu unternehmen. Denn längst wirkt sich das Abwandern der Konsumenten nicht nur auf Detailhändler in Grenznähe aus. Konsumenten aus allen Kantonen nehmen lange Anfahrtswege auf sich, um von günstigen Preisen im Ausland zu profitieren. Hunderte Millionen an Umsatz, Wertschöpfung und Steuern wandern zu unseren Nachbarn ab.

Betroffen fühlen sich neben den Detaillisten unterdessen auch Gastronomen und Hoteliers – und die Gemeinden, Kantone und der Bund: Dem Fiskus entgehe eine halbe Milliarde Franken an Mehrwertsteuereinnahmen, sagte Serge Gaillard, Direktor der Schweizer Steuerverwaltung, unlängst der «Schweiz am Wochenende».

Viele Gründe gegen eine Idee

Die Suche nach Massnahmen geht nun also weiter. Denn eine Senkung des Freibetrags von 300 auf 50 Franken hat der Bundesrat bereits in mehreren (fast identischen Vorstössen) abgelehnt. Die Gründe:

  • Bei den Konsumenten stosse eine Änderung auf Unverständnis: Der Bundesrat müsse sich vorwerfen lassen, die Hochpreisinsel noch zusätzlich abzuschotten.
  • Unverhältnismässiger administrativer Mehraufwand an der Grenze sei die Folge.
  • Die Ursache des Einkaufstourismus bleibe bestehen: Die Frankenstärke und der Preisunterschied zum Ausland.
  • Eine tiefere Wertfreigrenze führe dazu, dass Einkaufstouristen noch häufiger ins Ausland fahren, um zu kleineren Beträgen einzukaufen. Die Folge: mehr Verkehr und mehr Stau an der Grenze.
  • Verzollungen und Schmuggel würden zunehmen, was wiederum die Ressourcen des Grenzwachtkorps weiter einschränke.

«Schweiz-Zuschlag» soll weg

Ständerat Werner Hösli zeigte sich gestern nach der Debatte überraschenderweise «froh» über die Rückweisung. Er wolle zwar den Detailhandel besser schützen und eine Ungerechtigkeit korrigieren: Dass Einkaufstouristen keine Mehrwertsteuern bezahlen müssten, jene, die im Dorfladen einkaufen, hingegen schon. Doch mit welchen Massnahmen die Situation verbessert werde, sei für ihn offen. «Es ist nicht verboten, eine bessere Lösung zu finden.»

Nur: welche?

Als Alternative wartet einzig die parlamentarische Initiative von Alt-Ständerat Hans Altherr (FDP/AR) auf eine Wiederbelebung. Dieser wollte das Kartellrecht so anpassen, dass hiesige Firmen im Einkauf nicht mehr benachteiligt wären. Laut Altherr sind KMU, Restaurants, Hotels, aber auch Spitäler, Universitäten oder die SBB auf ausländische Produktionsmittel, Vorprodukte oder Vorleistungen angewiesen, müssen dafür in vielen Fällen jedoch weitaus mehr bezahlen als vergleichbare Nachfrager im Ausland. Die sogenannten «Schweiz-Zuschläge» gehörten abgeschafft. Sowohl Stände- als auch Nationalrat stimmten seinem Begehren 2015 zu. Seither sei nichts passiert, so Ständerat Hannes Germann (SVP/SH). Er hoffe, dass der Vorstoss von Hösli der Initiative nun neuen Schub verleihe.

Herumtrödeln wird verunmöglicht

Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo (SP/LU) will nicht mehr länger zuwarten. «Wir sehen vom Wirtschaftsdepartement her keinen erkennbaren Willen, das Thema weiter voranzutreiben», sagt sie. Dort sei man der Meinung, der Markt regle alles. Weil auch die WAK «herumtrödelt», hat Birrer-Heimo das Heft selbst in die Hand genommen: Der Konsumentenschutz sammelt Unterschriften für die «Fairpreis-Initiative» gegen die Hochpreisinsel Schweiz.

Inhaltlich deckt diese sich weitgehend mit der Initiative Altherr. Denn Birrer-Heimo ist überzeugt: «Solange die Preise für Markenkleider und Kosmetika in Deutschland, Frankreich und Italien deutlich günstiger sind, gehen die Konsumenten im Ausland einkaufen.» Deshalb müssten in der Schweiz die Preise purzeln. Dem Druck des Konsumentenschutzes kann das Parlament nicht mehr lange aus dem Weg gehen. Ende Mai vermeldete der Verband: 60'000 der nötigen 100'000 Unterschriften seien bereits zusammen.

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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
07.06.2017 08:43registriert Juli 2014
Gerne würde ich dann auch etwas über Massnahmen erfahren gegen die Steuerflucht von Unternehmen und reichen Privatpersonen, die Milliarden(!) von Franken auf Steuerinseln verschwinden lassen, weil ihnen die Schweiz zu teuer ist.
Und gerne würde ich auch etwas über Massnahmen gegen Unternehmen hören, die Arbeit in Billiglohnländer auslagern, weil ihnen die Schweiz zu teuer ist.

Wenn unser Parlament solche Massnahmen beschliesst, weiss ich, für Unternehmen und Reiche gilt derselbe Massstab wie für uns Konsumenten. So lange das nicht geschieht, könnt ihr mich mal, liebe Parlamentarier.
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kupus@kombajn
07.06.2017 08:12registriert Dezember 2016
Ich kaufe auch in D ein, aber nur Produkte, welche ich entweder in der Schweiz nur mit dem Schweiz-Zuschlag oder gar nicht bekomme. Z.B. rezeptfreie Medikamente (in der Schweiz bis zu 4 Mal teurer), Kleider, Kosmetikartikel, Reinigungs-/Waschmittel. Mir muss keiner erzählen, dass sich bis zu 4 Mal höhere Preise durch höhere Kosten in der Schweiz rechtfertigen lassen. Selbst wenn ich es mir leisten kann, kaufe ich diese Artikel schon aus Prinzip nicht in der Schweiz. Dass es sogar CH-Produkte gibt, welche in D billiger als bei uns sind, spricht eine deutliche Sprache. Wir werden geschröpft.
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Kreasty
07.06.2017 08:49registriert Mai 2016
Ich erinnere mich vor ca. 15 Jahren da bin ich immer mit meinem Opa von Konstanz nach Kreuzlingen in die Migros gegangen zum Mittagessen und dann Einkaufen.
Wie sich das Blatt doch wenden kann....
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