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Schweizer Diplomatie statt Sanktionen bei Todesstrafe Türkei

FILE – In this November 2005 file photo, Larry Greene, public information director of the Southern Ohio Correctional Facility, demonstrates how a curtain is pulled between the death chamber and witnes ...
Die Schweiz will keine Sanktionen, aber trotzdem nicht wegsehen, was hinter dem Vorhang geschieht.Bild: Kiichiro Sato/AP/KEYSTONE

Todesstrafe: Warum die Schweiz keine Sanktionen gegen die Türkei verhängen wird

Diplomatie statt Sanktionen: Erdogan will die Todesstrafe zurück – doch die Schweiz sollte lieber nicht mit wirtschaftlichen Vergeltungsmassnahmen reagieren.
20.04.2017, 04:0420.04.2017, 07:11
Sven altermatt / Aargauer Zeitung
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Sie wurden gehängt, erschossen, geköpft oder bekamen die Giftspritze: Mindestens 1032 Menschen sind im vergangenen Jahr von Staaten hingerichtet worden. Damit wurden über ein Drittel weniger Hinrichtungen registriert als 2015, wie Zahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigen.

Bis 2016 haben 104 Länder die Todesstrafe abgeschafft.
Jetzt auf

Gleichzeitig ist die Zahl der Todesurteile drastisch gestiegen, von 1998 auf 3117. Wie ein Hoffnungsschimmer wirkt da, dass die Todesstrafe in immer mehr Ländern abgeschafft wird.

Doch es reicht ein Blick in die Türkei, damit sich der helle Schein wieder trübt: Kaum hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan das Referendum über die Verfassungsreform gewonnen, setzte er die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Tagesordnung.

Gestern hat sich erstmals auch die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard dazu geäussert. In einem Interview mit dem Westschweizer Radio bezeichnete sie die Todesstrafe als «rote Linie», deren Überschreiten man gegenüber der Türkei nicht akzeptieren würde.

Was würde die Schweiz tun?

Auf die Frage jedoch, ob die Schweiz allenfalls Wirtschaftssanktionen ergreifen würde, wollte Leuthard nicht näher eingehen. Beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) heisst es auf Anfrage, aus Sicht der Schweiz stünde eine Wiedereinführung der Todesstrafe «im klaren Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Türkei».

Diese Haltung habe man den türkischen Behörden wiederholt dargelegt. EDA-Sprecher Pierre-Alain Eltschinger: «Angaben darüber, ob und allenfalls welche Konsequenzen ergriffen werden könnten, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch verfrüht.»

Die Krux mit der Todesstrafe

Müsste die Schweiz mit Wirtschaftssanktionen auf die Wiedereinführung der Todesstrafe reagieren? Fachleute halten dies nicht für zweckdienlich.

Für Patrick Walder, Experte zum Thema Todesstrafe bei Amnesty Schweiz, ist klar: «Es ist keine praktikable Lösung, mit Wirtschaftssanktionen auf die Verletzung von Menschenrechten zu antworten. Welchem Land sollte man Sanktionen auferlegen, welchem nicht?»

Zudem würden Sanktionen oft vor allem der Bevölkerung schaden und nicht der Regierung. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch der beratende Ausschuss des UNO-Menschenrechtsrats.

Das Gremium untersuchte 2015, wie sich wirtschaftliche Sanktionen auf Staaten auswirken. Die Massnahmen führten zu Instabilität und zu einer Verletzung grundlegender Menschenrechte, so der Untersuchungsbericht. Betroffen seien besonders «die schwächsten in einer Gesellschaft» wie Frauen, Kinder und alte Menschen.

2016 gab es weltweit
1032 Hinrichtungen.
(ohne China)

Tatsächlich haben viele Staaten in Europa ein ambivalentes Verhältnis zur Todesstrafe: Einerseits ist in der europäischen Menschenrechtskonvention ein vollständiges Verbot festgeschrieben, parallel dazu werden die diplomatischen Bestrebungen zur Abschaffung der Todesstrafe verstärkt. Andererseits gehören Länder mit Todesstrafe wie China oder die USA zu den wichtigsten Handelspartnern.

Burkhalter setzt auf Diplomatie

Unter Aussenminister Didier Burkhalter engagiert sich die Schweiz auf diplomatischem Weg verstärkt für die Abschaffung der Todesstrafe.

Mit sachlichen Informationen wolle man «den Boden bereiten für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage» – ohne Sanktionen. Länder sollen aufgefordert werden, auf die Todesstrafe zu verzichten oder diese wenigstens auszusetzen.

Wenn das nicht möglich ist, will das EDA darauf hinwirken, dass die Tatbestände, die mit dem Tod bestraft werden, eingeschränkt werden. Bei Amnesty International stossen diese Bestrebungen auf Anerkennung. «Die offizielle Schweiz ist vergleichsweise stark engagiert», sagt Todesstrafe-Experte Walder.

Allerdings erhoffe man sich, dass das Thema in Gesprächen mit Ländern wie China auch wirklich offensiv angesprochen wird. Als «ehrgeizig» bezeichnet er das Ziel des Bundesrats, die Todesstrafe bis im Jahr 2025 weltweit abzuschaffen. Erneut genügt ein Blick in die Türkei, um diese Einschätzung zu bestätigen.

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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Theor
20.04.2017 05:11registriert Dezember 2015
tl;dr

Es wird gar nichts gemacht, weils dem eigenen Geldfluss schadet. Und begründet wird es mit schönen Worten.
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Obey
20.04.2017 05:50registriert Januar 2016
Kennt die Frau Bundespräsidentin eigentlich kein Schamgefühl mehr?
Schamlos wird wieder einmal billigster Opportunismus betrieben.
Als im Januar das Chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping die Schweiz besuchte, fabulierte sie noch irgendetwas von gemeinsamen Werten und liess in vorauseilendem Gehorchsam tibetische Jugendliche unter Gewalt vom Bundesplatz vertreiben und festnehmen. Und jetzt soll die Todesstrafe welche China so ausgiebig betreibt plötzlich eine rote Linie sein?Ich mag die AKP und den Düktator überhaupt nicht, aber solche Aussagen wie von Leuthard sind zynisch und kontraproduktiv
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Züriläckerli
20.04.2017 06:39registriert Februar 2017
Natürlich bleibt es bei einer völlig unverbindlichen Floskel des Bedauerns. Darin ist Mutter Helvetia sehr geübt! Händchenreibend, immer auf beste Handelsbeziehungen achten eine "Note" aussprechen.
Doch wehe, wenn die Amis oder die EU wieder mal mit einer "Liste" drohen, welche Farbe sie auch immer haben mag. Sofort kuscht Helvetia. Vielleicht droht ja eine Beeinträchtigung unseres Reichtums. Ist Mutter Helvetia käuflich geworden?
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