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Du willst nur das Beste? Voilà:
Was ist Integration?
Stefan Hodel: Wenn die Tochter einer
Flüchtlingsfamilie hier eine Lehrstelle findet, ist das gelungene Integration.
Integration ist auch, wenn man Deutsch lernt, die lokalen Bräuche kennt und
sich einen Kollegenkreis aufbaut, der nicht nur aus den eigenen Landsleuten
besteht.
Sie haben schon mehrere Flüchtlingsströme
erlebt. Einen der ersten verursachte der Bosnienkrieg. Welche Erinnerungen haben
Sie daran?
Es kamen vor allem bosnische Familien. Interessant
war, dass Bosnier immer ihre Zimmer streichen wollten hier im Haus. Das mache
man bei ihnen einmal im Jahr, sagten sie.
Wo sind die Bosnier
heute, die Sie während des Krieges beherbergten?
Die meisten sind nach Bosnien zurückgekehrt. Die Mehrheit wollte so schnell
wie möglich nach Hause. Ein älterer Mann kehrte schon während des Krieges
zurück, um zu kämpfen. Seine Frau und ein Enkel blieben hier. Ich weiss nicht,
was aus ihm geworden ist. Drei Leute sind zudem in die USA ausgewandert. Eine
Familie ging erst zurück nach Bosnien, kam aber wieder und lebt heute in der
Ostschweiz.
Die grösste Gruppe
waren aber nicht die Bosnier, sondern die kosovarischen Flüchtlinge.
Viele Kosovaren kamen bei Verwandten unter, die schon hier lebten. Das
machte vieles einfacher. Wir mussten nicht für alle eine Matratze, Dusche und
Küche bereitstellen. Deshalb konnten wir auch so viele Flüchtlinge auf einmal aufnehmen.
Schwierigkeiten bei
der Aufnahme hängen also nicht nur von der Anzahl Flüchtlinge ab.
Nein. Schwierig ist es, wenn die Leute kriminell werden. Das sind jene, die
wissen, dass sie hier keine Aussicht auf Asyl haben und deswegen selbst zu Geld
kommen müssen. Dieses Problem hatten wir vor drei Jahren mit einer Gruppe
Nordafrikanern. Bei den heutigen Flüchtlingen ist das praktisch kein Thema mehr,
weil sie bessere Chancen auf Asyl haben.
Wer aufgenommen wird,
muss sich integrieren. Was hat sich gegenüber früher verändert?
Was die Sprache angeht, ist die Integration einfacher geworden. Früher
sassen die Menschen monatelang nur herum, heute können sogar jene, die auf
ihren Asylentscheid warten, zwei bis drei Mal pro Woche in den
Deutschunterricht. Das ist gut, dann kommen sie regelmässig aus dem Haus.
Wie sieht es mit der
Arbeitsintegration aus?
In den letzten 25 Jahren lief 90 Prozent der Arbeitsintegration über das
Gastgewerbe. Das wird immer schwieriger, denn es gibt auch dort nicht endlos
Stellen. Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Am Anfang meiner Tätigkeit im
Asylbereich zogen die Menschen von Türe zu Türe und fragten mit ihren paar
Brocken Deutsch nach Arbeit. So bekommt man heute keinen Job mehr.
Fanden damals alle
eine Stelle?
Ältere Flüchtlinge blieben damals oft arbeitslos, weil sie schlecht Deutsch
sprachen. Die Eritreer, die heute da sind, sind jünger. Da hoffe ich, dass es
besser klappt.
Welchen Effort müssen
sie dazu leisten?
Das beste Beispiel sind die Tamilen. Sie haben hart gearbeitet und sich
einen guten Namen gemacht. Diesen Ruf müssen sich die heutigen Flüchtlinge erst
noch erarbeiten. Der Wille dazu hängt auch von ihrer Kultur ab.
Sind die heutigen
Flüchtlinge weniger arbeitswillig?
Früher hatten sie mehr Pfupf. Die wirtschaftliche Lage war aber auch
besser. Heute haben sie weniger Möglichkeiten. Damals konnte ich reihenweise Arbeit vermitteln. Heute bin ich froh, wenn sie nicht danach fragen, weil ich ihnen nicht helfen kann.
Wie könnte man dieses
Problem lösen?
Indem der Staat gewisse Stellen schafft, oder den Arbeitgebern Anreize
gibt, Flüchtlinge anzustellen. Erste Bemühungen gibt es heute mit
Praktikumsstellen. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass gewisse Menschen ein
Leben lang Sozialhilfe beziehen, weil es mit der Integration nicht klappt.
Integration ist
wichtig, aber je besser sie läuft, umso weniger Leute kehren nach Hause zurück.
Ein Grossteil der Flüchtlinge wird hier bleiben. Viele bekommen ja «nur» die
vorläufige Aufnahme. Die Erfahrung zeigt: Auch wer nur vorläufig aufgenommen
wird, bleibt da. Solange sich die Lage in Syrien oder Eritrea nicht bessert,
kann man diese Menschen ja auch nicht zurück schicken.
Wie hat sich die
Toleranz in der Bevölkerung entwickelt?
Heute kommen Leute zu mir, die sich freiwillig engagieren, beispielsweise
Deutsch unterrichten wollen. Das gab es früher nicht. Als wir dieses
Asylzentrum 1988 eröffneten, hat jemand Galgen und Gaskammern an die Wand
gesprayt. Derartige Auswüchse gibt es nicht mehr. Die Toleranz ist gestiegen.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Hochschularbeit an der ZHAW in Winterthur.