Auf seiner linken Schulter sitzt ein Marienchäferli. Doch John MacLaren merkt es nicht. Sein Blick streift über die 20 Frauen und Männer, die vor ihm auf dem Kieselplatz in Liegestützstellung harren. Schweissperlen stehen ihm auf der Stirn, unter dem Armee-Shirt zucken die Muskeln. «Ihr könnt zehnmal mehr leisten, als euch das euer Verstand vorgaukelt», ruft MacLaren in die Runde. Doch der Verstand ist stärker, die Truppe kann nicht mehr. Mit einem «Up!» befreit MacLaren sie aus der Stressstellung und lächelt. «Good job», sagt er. «Great job!»
John MacLaren hat zehn Jahre lang bei der amerikanischen Spezialeinheit Navy Seals gedient und war als Elitesoldat auf geheimen Missionen in Afrika, im Mittleren Osten und in Südamerika. Er hat eine der härtesten Militärausbildungen der Welt absolviert und in mehreren Kriegen an vorderster Front gekämpft. Wie viele Menschen er dabei getötet hat, das will er nicht sagen.
Klar ist: Der amerikanische Hüne mit dem massigen Kiefer und den stahlblauen Augen war eine toptrainierte Kampfmaschine, ein Mann mit der Lizenz zum Töten, ein Real-Life-James-Bond in amerikanischen Diensten, der bei seinen Einsätzen mehr Salzwasser geschluckt denn Martinis genippt und wohl mehr Geiseln befreit denn Girls erobert hat.
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— John MacLaren (@JohnMacLaren) 11. Oktober 2014
Die Navy Seals sind taffe Jungs. Das haben MacLarens Berufskollegen unlängst in Pakistan bewiesen, wo sie im Mai 2011 den Top-Terroristen Osama Bin Laden liquidierten.
MacLaren selbst war 2011 schon nicht mehr bei den Seals. Damals lancierte er gerade seine zweite Karriere: als persönlicher Berater, als «Coach Mac». Nebenher veranstaltet er noch ab und an Trainingstage wie jenen hier im Sihlwald, bei denen er Navy-Seal-Fans und anderen Draufgängern einen Einblick in den Trainingsalltag der Eliteeinheit gibt. Eingeladen wurde MacLaren vom Schweizer Uhrenhersteller Luminox, der seine Uhren seit über 20 Jahren in enger Zusammenarbeit mit den Navy Seals entwickelt. «Was ich aber wirklich liebe, ist Coaching», sagt MacLaren.
Mit seiner Firma «Optimal Human Performance» bietet er Einzelberatungen für Manager und gestresste Leistungsträger an. «Ich will ihnen helfen, ihre ‹peak performance› (Höchstleistung) zu erreichen, jeden Tag», erklärt MacLaren. Wer also an seiner Selbstsicherheit oder seinen Teamwork-Qualitäten arbeiten möchte, kann ihn buchen, für 1000 Dollar am Tag. Damit ist der Amerikaner aus Los Angeles, der seine Dienste weltweit anbietet, günstiger als die Coaching-Kollegen in der Schweiz.
Coaching, eine Art Psychotherapie für die Stresssymptome der modernen Leistungsgesellschaft, boomt hierzulande. Beraten und beraten lassen liegt im Trend. Der Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO) listet auf seiner Homepage schweizweit mehr als 1300 professionelle Coaches auf. «Die Anzahl der Berater hat in den letzten Jahren konstant zugenommen», erklärt BSO-Präsidentin Astrid Hassler.
Zugenommen hat allerdings nicht nur die Zahl der ausgebildeten Coaching-Profis, sondern auch jene der selbst ernannten Berater, die ohne seriöse Ausbildung gestressten Leistungsträgern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Verblasste Reality-TV-Sternchen, ehemalige Profisportler und Ex-Astrologinnen: Sie alle coachen – und tun der gestressten Volksseele mitunter einen Bärendienst.
So zumindest sieht das Hansjörg Künzli, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Fachgruppe Diagnostik & Beratung leitet und seit Jahren zum Thema Coaching forscht. «Beim Coaching gibt's heute faktisch keine Qualitätskontrolle», sagt Künzli im Interview mit der «Nordwestschweiz». Dass das zu problematischen Situationen führen kann, hat Künzli selber erlebt (siehe Interview rechts). Viele Berater gingen heute einfach mal rasch durch eine zweitägige Schnellbleiche und würden sich danach Coach schimpfen, beklagt Künzli. Die Szene sei gespickt mit Scharlatanen.
«Coach Mac» ist keiner dieser Scharlatane, mindestens auf dem Papier nicht. Er hat nach seiner Militärlaufbahn an der Universität von Phoenix Psychologie studiert und steht kurz vor dem Abschluss seines Beratungspsychologie-Masters. Und: «Coach Mac» hat als Navy Seal ausreichend Erfahrung im Umgang mit Stress und grosser Belastung gesammelt. Die will er weitergeben. Zum Beispiel an die 20 verschwitzten Teilnehmer des Trainingstages, die unter seiner Anleitung durch den Sihlwald rennen und kriechen und keuchen und dabei lernen sollen, dass sie nur dann ihr volles Potenzial ausschöpfen können, wenn sie sich als Teamplayer engagieren und auf die Bedürfnisse der anderen eingehen. «Nur wer folgen kann, kann führen», ruft MacLaren seinen Schützlingen zu, die gerade auf allen vieren durch die kalte Sihl robben. «Wenn das Team überlebt, dann überlebt auch ihr.»
Apropos Team: Eigentlich hätte MacLaren gar nicht hier sein sollen. Uhrenhersteller Luminox hatte seinen Seal-Kollegen und Geschäftspartner Rob Roy gebucht. Doch der war kurzfristig verhindert und MacLaren sprang ein. Seals sind ein Team, auch als Geschäftspartner. «Das Geschäft läuft gut», sagt MacLaren. Seine Kunden seien überhaupt nicht nur militärnahe Dienstleister, sondern unter anderem Finanzanalysten, Schulleiter und Elektronik-Händler.
Aber mal ehrlich, wieso sollen die ausgerechnet einen Navy Seal buchen, um entspanntere und effizientere Menschen zu werden? «Weil sich die Prinzipien, die wir als Navy Seals einverleibt haben, sehr gewinnbringend in den Arbeitsalltag übertragen lassen», sagt MacLaren. Wer als Manager nicht mit dem Team mitfühle und sich nicht auf seine Angestellten einlassen könne, der sei zum Scheitern verurteilt. «Das heisst nicht, dass ein Manager immer mit anpacken muss. Ein General steigt ja auch nicht zu seinen Soldaten in den Kampfgraben. Aber er spricht ihnen vor der Schlacht Mut zu und kann sich in sie hineinfühlen», sagt MacLaren.
Coaching-Forscher Künzli bezweifelt, dass sich diese militärischen Denkmuster ohne Probleme ins zivile Leben übertragen lassen. Künzli streitet zwar nicht ab, dass eine Beratung durch einen Ex-Navy-Seal etwas bewirken könne. «Zentral beim Coaching ist aber die reflexive Arbeit zusammen mit dem Klienten. Und die braucht Zeit und Ruhe. Dinge, die sich ein Navy Seal, der fürs Funktionieren in Extremsituationen trainiert ist, kaum leisten kann.» Über die richtige Coaching-Methodik lässt es sich streiten. Unbestritten ist aber, dass viele Menschen mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu kämpfen haben. Der Job-Stress-Index 2016 der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz etwa zeigte, dass gut ein Viertel aller Arbeitnehmer regelmässig unter Stress leidet. Wer mit dem Arbeitsalltag nicht klarkommt, dem bleiben nur zwei Optionen. Entweder man arbeitet mit Profi-Coaches, Ex-Navy-Seals oder vermeintlichen Scharlatanen an seiner Effizienz. Oder man macht's wie das Marienchäferli auf Coach Macs Schulter: einfach mal hinsetzen, innehalten, abschalten.