Homosexuelle leben nicht nur in Tschetschenien gefährlich. Zwar müssen sie in Mitteleuropa keine Verfolgung durch den Staat fürchten, aber auch hierzulande werden immer wieder Schwule angegriffen – meistens von Männern in Gruppen.
So ereignete sich auch letzte Woche ein Vorfall im niederländischen Arnhem. Ein Paar verliess händchenhaltend einen Nachtclub, woraufhin es von einer Gruppe «marokkanischer» Jugendlicher angegriffen wurde. Der eine Mann verlor dabei vier Zähne, der andere erlitt eine Rippenverletzung.
Dutch politicians protest against homophobia by holding hands #allemannenhandinhand #handinhand #love #pride pic.twitter.com/MniMyH2oRn
— Eef (@eefo4u) 3. April 2017
Dass Attribut «marokkanisch» weist auf ein anderes kulturelles Wertesystem hin. Viele der Asylsuchenden kommen aus vornehmlich muslimischen Ländern, in denen Homosexualität nicht akzeptiert wird und als krankhaft gilt. Kinder werden grösstenteils zur absoluten Ablehnung aller von der normativen Heterosexualität abweichenden sexuellen Identitäten erzogen.
Auf der Flucht, aber vor allem auch in den Asylunterkünften prallen dann zwei Welten aufeinander: Zusammen mit teils homophoben Männern leben Homosexuelle, die in der Schweiz Asyl suchen, weil sie in ihrem Heimatland aufgrund ihrer Sexualität oder ihrer Lebensweise verfolgt oder sogar mit dem Tod bedroht werden.
So auch Salim*. Der 23-Jährige aus dem Jemen hatte seine Homosexualität geheim gehalten, bis er vor ein paar Jahren seinem «absoluten Traummann» begegnete. Der junge Mann mit den dunklen Augen kaufte im Laden seines Vaters Gebäck – und um Salim war es geschehen. Die beiden wurden ein Paar. Obwohl Salim seiner Familie immer wieder erzählte, er habe sich in eine Frau verliebt, schöpfte sein Bruder Verdacht.
Eines Nachts klopfte Salims Cousin an sein Zimmer und warnte ihn: Der Bruder habe zusammen mit dem Onkel Salims Tod beschlossen. Das Attentat sollte am nächsten Morgen verübt werden. Salim wusste, dass seine Familie nicht scherzte. Er packte ein paar Dinge, schrieb seinem Freund eine SMS und verschwand – nach Europa.
Jemen ist eines der sieben Länder, das Homosexuelle mit Berufung auf die Scharia mit der Todesstrafe bedroht. Beim ersten homosexuellen ‹Vergehen› drohen Männern, die noch nicht verheiratet sind 100 Peitschenhiebe sowie bis zu einem Jahr Gefängnis. Verheiratete und Wiederholungstäter werden gesteinigt. Laut einem Sprecher des Menschenrechtsministeriums in Sanaa gibt es im Jemen schlichtweg keine Homosexuelle.
Derzeit kommen die meisten Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, aus Eritrea, Syrien und Guinea. In allen drei Ländern ist Homosexualität illegal, gesellschaftlich tabuisiert und wird mit Gefängnis bestraft. «Dass unter den Asylsuchenden vermehrt homophobe Männer sind, will niemand aussprechen», sagt ein freiwilliger Helfer einer Hilfsorganisation, der anonym bleiben möchte. «Man will die Schutzsuchenden nicht verunglimpfen». Aus Angst, den Hilfesuchenden an den Karren zu fahren oder gar selbst als «islamfeindlich» zu gelten.
Zur Homophobie unter Flüchtlingen äusserte sich die LGTB-Hotline, eine Anlaufstelle für Menschen, die Opfer von Hate Crime wurden, bisher nicht und die ORS Service AG, die mit der Unterbringung von Flüchtlingen betraut ist, gibt keine Auskunft über den Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen.
Pascale Navarra von Queeramnesty schätzt die Gefahr von Übergriffen, Diskriminierung, Mobbing und körperlicher Gewalt gegenüber LGBT-Flüchtlingen als sehr gross ein. «Die Toleranz gegenüber Homosexualität ist bei vielen Flüchtlingen sehr gering, oft werden religiöse oder moralische Haltungen im Exil noch stärker empfunden und gelebt», sagt sie gegenüber watson. Sehr viele Asylsuchende, die von Queeramnesty betreut werden, erleben regelmässig schwierige und zum Teil gefährliche Situationen in ihren Unterkünften, sagt sie. Transmenschen seien all dem noch viel mehr ausgesetzt, da sie den gängigen Rollenmustern in keiner Weise entsprechen.
Eine Deutsche Studie aus dem Jahr 2012, die Menschen mit türkischem Migrationshintergrund befragt hat, spricht indes eine klare Sprache: Für 51 Prozent der Befragten ist Homosexualität krankhaft, ganze 73 Prozent finden es schlimm, wenn ein Mann eine sexuelle Beziehung mit einem anderen Mann hat.
Auch für den Eritreer Abel* ist Homosexualität etwas unnatürliches. Er gehört der eritreisch-orthodoxen Kirche an. Abel lebte ein Jahr zusammen mit anderen Asylsuchenden in einem Zentrum, bis er eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. «Bevor ich in die Schweiz gekommen bin, war Homosexualität für mich ein Mythos – etwas, was nur in anderen, fernen Ländern existiert», erzählt er.
Er sei mit seiner Meinung über Homosexuelle nicht alleine gewesen. «Im Asylzentrum fanden die meisten Leute, dass schwul sein, nicht die richtige Art zu leben ist. ‹Loti› heisst Schwuchtel. Dieses Wort gebrauchen wir unter uns für Schwule», sagt er. Seit er in der Schweiz einigen homosexuellen Menschen begegnet ist, hat sich seine Meinung ein wenig verändert. «Für mich war immer klar, dass Homosexualität eine körperliche oder spirituelle Krankheit ist. Jetzt glaube ich, dass Homosexualität etwas ist, mit dem weisse Leute die Demokratie zelebrieren.»
Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) kann jeder Asylbewerber spezifische Bedürfnisse geltend machen. Insofern diese Bedürfnisse nachvollziehbar sind, werden Bewerber dann zum Beispiel in Einzelzimmern untergebracht – mit verschliessbaren Duschen. «Dies betrifft aber vor allem Transgenders», sagt Céline Kohlprath vom SEM.
«Wer zusammen mit anderen Asylsuchenden in grossen Zentren lebt, outet sich nicht», meint Salim. Viel zu gefährlich sei es, denn Anfeindungen seien einem dort sicher. Salim hatte Glück und wurde in einer Art Wohngemeinschaft zusammen mit anderen LGTB-Flüchtlingen in Zürich untergebracht. Hier kann er sich selbst sein. Er weiss noch nicht, ob er in der Schweiz bleiben darf, der Entscheid des Staatssekretariats für Migration steht noch aus.
* Die Namen wurden aufgrund des Persönlichkeitsschutzes geändert.