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Interview

«Masturbieren? Unmöglich!» – Ein Winter-Rekrut über seine RS

Führungsstaffelsoldat
Symbolbild: Führungsstaffelsoldaten bei der Arbeit. Bild: schweizer armee
Interview

«Masturbieren? Unmöglich!» Ein Winter-Rekrut erzählt von seinen ersten RS-Wochen

Vor dreieinhalb Wochen sind 7600 Rekruten in die Winter-RS gestartet. Einer davon erzählt watson anonym, was er da so erlebt. Der Treuhänder hat das Büro gegen das Feld getauscht und ist jetzt Führungsstaffelsoldat. Ein Gespräch über Kameradschaft, Adrenalin und Masturbation. 
24.11.2016, 02:0024.11.2016, 06:03
Rafaela Roth
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Hallo, es ist Sonntagabend, wie geht es dir? 
Rekrut: Ich will nicht sagen, «ich bin depressiv», aber immer sonntags gegen Abend kommt es einem natürlich wieder hoch, dass man sich bald von Familie und Freundin verabschieden und in die Kaserne zurück muss.

So schlimm?
Es kommt einfach wieder eine brutal anstrengende Woche auf mich zu. Wir sind jeden Tag 17 Stunden auf den Beinen, immer draussen und der Muskelkater will gar nicht mehr weggehen. Am Wochenende ist dann erstmal Erholung angesagt.

Man sagt ja: Eure Generation ist verweichlicht. 
Glaube ich nicht. Das Militär ist einfach echt anstrengend. Zudem ist es eine riesige Umstellung vom Büro aufs Feld. Die Tage im Militär sind extrem lang, man ist nie alleine, kann nichts selber entscheiden.

Was hast du für einen Job im Militär? 
Ich bin Führungsstaffelsoldat, Infanterie. Wir sind für das Funken zwischen den Fronten und den Befehlsgebern zuständig.

«Wie in ein anderes Universum, indem man komische Dinge tut und überflutet wird mit neuen Informationen und einer anderen Sprache.»

Alles klar. Erinnerst du dich an deinen ersten Tag?
Es ist, als tauche man in eine komplett neue Welt ein, wie in ein anderes Universum, indem man komische Dinge tut und überflutet wird mit neuen Informationen und einer anderen Sprache. Auch der Drill ist ungewohnt und das Zeitmanagement. Man hat plötzlich für nichts mehr Zeit, alles ist genauestens geregelt.

Hältst du es aus ohne Handy? Das ist unsere Generation ja auch: handysüchtig! 
Unser Zugführer ist recht kulant bezüglich Handy. Solange wir nicht gerade am Trainieren sind, dürfen wir es benutzen. Im Schiessstand whatsappen sollte man aber nicht.

Schon passiert?
Ja, das ist vorgekommen. Der musste einen Sechseinhalber schreiben.

Einen Sechseinhalber?
Ja, das ist ein Reim aus sechs Zeilen, in dem du beschreiben musst, warum du das gemacht hast.

Wie lautete seiner?
Den kann ich nicht erzählen, sonst weiss jeder, wer ich bin.

«Diese Lektion hab' ich gelernt und halte mein Handy zukünftig weit entfernt.»

Erfindest du einen? 
Das Handy während dem Schiessen darf ich nicht geniessen, sonst gibt es Ärger und der Zugführer lässt mich sterben. Diese Lektion hab' ich gelernt und halte mein Handy zukünftig weit entfernt.

Haha. Das ist keine schlimme Strafe.
Ja, bis jetzt habe ich keine schlimmen erlebt. Sie sind meistens körperlich. Man muss rumrennen, Liegestützen machen oder sie stellen dich in die «Achtung»-Position mit der Nase einen Zentimeter vor dem Schrank. Da stehst du und darfst dich nicht bewegen, bis sie dich wieder ins Bett lassen. Aber Schlimmeres als solche Sachen dürfen sie ja gar nicht mehr.

«Die meinen es meistens selber gar nicht so todernst.»

Dürfen sie nicht?
Nein, sie dürfen nicht mehr schikanieren. Die meinen es meistens selber gar nicht so todernst.

Die meinen das gar nicht ernst?
Die Gruppen- und Zugführer sind recht menschlich, die sind ja teilweise auch fast gleich alt wie wir. Sie sind bestimmt, wenn sie bestimmt sein müssen. Aber sonst kann man ganz normal mit ihnen reden. Nur die Höheren sind schlimm – je höher, desto schlimmer.

Wie schlimm sind die?
Die haben einen ganz anderen Ton drauf, immer aggressiv und von oben herab. Die machen auch die Inspektionen, sind sehr pingelig und streng.

Sie müssen so sein.
Ja, zum Glück hat man nicht so oft mit ihnen zu tun.

Wie ist es, sich dauernd «anbellen» lassen zu müssen?
In der ersten Woche ist es schlimm und ungewohnt, dann nimmt es aber ab. Man lernt Disziplin und macht immer weniger Fehler. Wir haben einen guten Zugführer, der brüllt einen nicht an.

Und wie geht es deinen Füssen in den Militärstiefeln?
Das eine Paar habe ich eingelaufen, die sind jetzt gut. Das zweite noch nicht. Es ist echt die Hölle: Druckstellen überall, Blasen an den Zehen. Da muss man drei Wochen durch, dann werden sie bequem.

Drei Wochen durch die Hölle? Was sind das nur für Schuhe!
Du hast sicher schon gehört, dass die Passform aus den 50er Jahren ist, also ...

«Wie Klumpfüsse sehen die Winterkampfstiefel aus. Solange es nicht richtig kalt ist, ziehe ich die nicht an.»

Stimmt. Und jetzt wollen sie solche von Näherinnen aus Rumänien kaufen, die für zwei Franken pro Stunde arbeiten.
Bis die neuen kommen, bin ich eh nicht mehr da.

Sind die Stiefel wenigstens warm? 
Null! Wir haben zwar noch Winterkampfstiefel gefasst, aber die sind gefühlte 50 Kilo schwer und sehen übertrieben scheisse aus.

Wie denn?
Wie die Schuhe, die man kriegt, wenn man den Fuss im Gips hat. Wie Klumpfüsse sehen sie aus. Solange es nicht richtig kalt ist, ziehe ich die nicht an.

Wie habt ihr es unter euch Rekruten? Stellt ihr Betten aufeinander und kackt euch gegenseitig aufs Gewehr?
Was?

Solche Geschichten hat mein Vater erzählt.
(Lacht) Bis jetzt habe ich noch nichts solches erlebt. Ich muss sagen, wir haben sehr coole Leute im Zug und eine super Kameradschaft. Alle helfen einander. Von Piesacken und Mobbing habe ich noch gar nichts mitgekriegt.

Ihr seid immer so nett zueinander?
Ja, es ist echt cool. Wir helfen einander, wo wir helfen können. In der ersten Woche beispielsweise hatte ich an einem Tag zu wenig Wasser getrunken. Normalerweise trinke ich drei bis vier Liter am Tag. Wir hatten eine Sporteinheit und ich war so unterzuckert, dass mir schwarz vor den Augen wurde. Da kamen gleich drei Kameraden zu mir, gaben mir Erdnüsse, Wasser und Traubenzucker. Ich denke, das wird einem auch im Zivilen helfen: Mal seine eigenen Bedürfnisse zurückstecken und jemandem helfen. 

Cool. Gibt es etwas, das komplett anders ist, als du es dir vorgestellt hast?
Das Essen! Ich hätte nie gedacht, dass es so gut ist. Wir haben einen echt guten Koch in der Kaserne.

Was? Kann deine Mutter vielleicht nicht so gut kochen? 
Ich wohne nicht mehr bei meiner Mutter. Ich muss selber kochen. 

Okay, du scheinst ein echt zufriedener Rekrut zu sein. Nichts, das dir nicht gefällt? 
Am Infotag und bei der Rekrutierung machen sie dir das Militär halt mit 15-minütigen Action-Filmchen schmackhaft. In der Realität ist die Ausbildung aber dann viel trockener. Alles ist theoretisch. Selbst die hochrangigen Armeemitglieder haben ja noch nie einen Krieg miterlebt und kennen das alles nicht aus eigener Erfahrung. Wir versuchen alle bloss, uns da reinzuversetzen. Man ist enttäuscht, weil man alles nur theoretisch macht und nichts in die Praxis umsetzen kann.

«Natürlich will ich keinen Krieg. Aber es wäre schon cool, mal ein paar Sachen praktisch anzuwenden.»

Du hättest lieber mal einen Krieg, um alles in die Praxis umzusetzen?
Natürlich will ich keinen Krieg. Aber es wäre schon cool, mal ein paar Sachen praktisch anzuwenden.

Zum Beispiel?
Mal auf ein lebendiges Ziel schiessen, oder so. Es muss ja kein Mensch sein.

Du willst auf ein Tier schiessen?
Nein, so will ich das jetzt auch nicht sagen, aber man schiesst halt immer bloss auf eine langweilige Zielscheibe. Ein bisschen Action wäre schon cool, etwas, das sich bewegt zum Beispiel. 

In was für Szenarien müsst ihr euch reinversetzen?
Wie man in einen Hinterhalt gerät, beispielsweise. Wie man sich verteidigen muss, wenn die Gegner beginnen, auf einen zu schiessen. Mit Platzpatronen wird das schon realer, man kriegt das Feeling vom Schiessen. Da jubelt der kleine Bub in einem. 

Du konntest dich also reinversetzen. 
Ja, als wir mit den Platzpatronen übten, schon. Wir wurden vom Feind angegriffen, man muss sich wehren, durchkämpfen und spürt das Adrenalin. Ich fühlte mich wie in einem Film. Das ist schon geil. Aber eben: Das waren zehn Minuten eines 17-Stunden-Tages.

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Wie gehst du damit um, keine Privatsphäre zu haben?
Das nagt schon. Man ist nie alleine, ausser beim Scheissen. Ruhe gibt es keine.

Kannst du überhaupt noch masturbieren?
Unmöglich! Keine Chance. Wann sollte man? Mit elf Schnäuzen im Zimmer fange ich doch nicht an, die Palme zu wedeln. Das muss ich nicht haben.

Hat es schon einer gewagt?
Bis jetzt noch nicht. Wir machen zwar ständig Witze darüber. Aber getan hat es noch niemand.

«Wenn du in der Dusche masturbierst, kommt schnell das Gerücht auf, du seist schwul.»

Unter der Dusche?
Das sind Massenduschen. Wenn du in der Dusche masturbierst, kommt schnell das Gerücht auf, du seist schwul. Das geht nicht. Man muss sich am Wochenende austoben.

Hart.
Ja, das sagst du richtig. Es wäre ja entspannend. Es geht aber halt einfach nicht.

Hättest du überhaupt die Energie dazu?
Es gibt schon Abende, an denen ich zu müde wäre, aber es ginge schon. Es ist die Privatsphäre, die fehlt. Auf der Toilette ist es auch nicht gerade schön, wenn rechts und links einer am Kacken ist.

Wie bekommt dir die körperliche Anstrengung?
Ich bin relativ fit, ich spiele viel Fussball. Nur momentan habe ich eine Bänderzerrung, die ich operieren sollte. Die behindert mich ein bisschen. Abends habe ich jeweils starke Schmerzen und einige Dinge kann ich bereits jetzt nicht mitmachen. 

Wirst du die RS so überhaupt durchhalten?
Ich weiss es noch nicht. Das hängt vom Militärarzt ab. Ich brauche eine Dispens für die langen Märsche am Schluss, die kann ich unmöglich machen. Ich habe jetzt schon jeweils abends starke Schmerzen. 

Du leidest fürs Vaterland!
Natürlich! (Lacht) Nein, ich mache das eher für mich selber. Es ist eine Kopfsache. Ich will das durchziehen. Ich bin da relativ stur. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich das durch. 

Würdest du auch fürs Vaterland in den Krieg ziehen?
Ja in meiner Funktion schon. Ich bin ja nicht an der Front, kein Kanonenfutter, sondern an einem relativ sicheren Ort und mache Funk- und Kartenarbeiten. Aber wünschen tue ich mir das wirklich nicht. 

Wie fühlst du dich, wenn du an die kommenden Wochen denkst?
Nicht besonders, ich denke es wird wahrscheinlich jetzt immer ein wenig dasselbe sein. In sieben Wochen kommt dann die Prüfung.

Denkst du, es wird langweilig? 
Ja, es wird bestimmt langweilig. Das haben sie uns auch schon gesagt. Ab Woche zehn macht man nicht mehr allzu viel. Und dann kommt das normale Militärleben mit Rumsitzen und Nichtstun. Das heisst dann VBA, eigentlich Verbandsausbildung, hier sagt man jedoch: Versucht Beschäftigt Auszusehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Jetzt du? Wie erlebst oder erlebtest du deine RS? Erzähl es uns in der Kommentarspalte! 

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110 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Donald
23.11.2016 13:37registriert Januar 2014
Es ist auch typisch Militär, dass viele "Geschichten" erzählt werden. Ein Sechseinhalber ist ein Meldeformular 6.005. Aber in dieser RS erzählen sie offenbar, dass man ein sechszeiliges Gedicht schreiben muss. Ich wüde gerne die Szene sehen, wenn einer von so einem Rekruten wirklich ein Formular 6.005 will, aber ein Gedicht vorgesetzt bekommt xD
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insomnium
23.11.2016 13:01registriert November 2016
Welcher Spassvogel hat dem beigebracht, dass ein 6.5er ein Gedicht sei? :D
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Prof.Farnsworth
23.11.2016 12:26registriert Oktober 2015
Führungsstaffelsoldat und Muskelkater? WOW!
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110
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