Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
Gemäss Kriegsreporter Kurt Pelda in der Weltwoche ist er «purer ‹IS›», gemäss dem Titelblatt des «SonntagsBlick» vom Wochenende, ist A. E. der «‹IS›-Pate von Winterthur».
Der Libyer soll der radikale Vordenker in der Winterthurer An'Nur-Moschee sein, der im «Untergrund» den Hass auf den Westen und die Ungläubigen schürt, Kontakte in die libysche «IS»-Hochburg Sirte pflegt und Jugendliche in Winterthur für den Dschihad anwirbt. Mindestens vier junge Männer und ein Mädchen sollen aus dem Umfeld seiner «‹IS›-Zelle» im Winterthurer Hegi-Quartier in Syrien untergetaucht sein.
Nun meldet sich A. E. erstmals selbst zu Wort und wirft Kurt Pelda vor, ihn mit einem anderen Prediger zu verwechseln.
Ich treffe den Imam in seiner Moschee, er begrüsst mich freundlich, wir geben uns die Hand. Sein Sohn – Gymnasiast, zweisprachig und regelmässiger watson-Leser – begleitet seinen Vater. Er übersetzt bei Verständnisschwierigkeiten.
Herr E., ihr Konterfei prangte auf der Titelseite des «SonntagsBlick», betitelt mit «Der ‹IS›-Pate von Winterthur».
A. E.: Sieht so ein «IS»-Pate aus? Ich weiss es nicht. Ich möchte betonen, wie ich es schon in vielen Predigten zuvor getan habe, dass ich die Taten und die Ideologie des «IS» grundsätzlich verurteile. Ich verachte den «IS» dafür, dass er das Bild vom Islam in ganz Europa dermassen verzerrt hat.
Sie haben also keine Verbindungen zum «IS»? Nicht die geringste?
Nein, ich habe keine Verbindungen zum «IS» und ich bin kein «IS»-Pate oder dergleichen.
Kurt Pelda ist einer der intimsten Kenner der Schweizer Islamisten-Szene. Er schrieb letzten Donnerstag in der «Weltwoche», Sie würden regelmässig die «IS»-Hochburg Sirte in Libyen besuchen. Wollen Sie behaupten, das sei nicht wahr?
Ja, das ist nicht wahr. Ich fahre zwar manchmal in meine Heimat Libyen, aber um meine kranke Mutter zu besuchen. Ich hatte sie zuvor viele Jahre lang nicht gesehen.
Die «Weltwoche» wirft Ihnen auch vor, mindestens einen Jugendlichen direkt zur Reise in den Dschihad aufgefordert zu haben.
So etwas habe ich nie gemacht.
Wieso sollte Peldas Quelle lügen?
Ich weiss es nicht. Vielleicht mag er mich nicht. Ich weiss es nicht. Ich habe noch nie mit Kurt Pelda gesprochen. Ich kannte den Journalisten überhaupt nicht. Solche Anschuldigungen müssen erst bewiesen werden. Es werden völlig falsche Dinge über mich geschrieben.
Welche falschen Dinge? Pelda spricht von vier Quellen, die seine Darstellung bestätigen.
Kurt Pelda und alle anderen Medien schreiben beispielsweise, ich sei 39. Das stimmt nicht. Sie können meine Identitätskarte sehen. Ich bin 51 Jahre alt. Dass ich Autohändler bin, wie er schreibt, stimmt auch nicht. Wenn sogar schon solch grundlegende Dinge nicht stimmen, wie soll dann der Rest stimmen, den Pelda und der «SonntagsBlick» schreiben?
Sie betreiben nicht «im grossen Stil Autohandel nach Libyen», wie die «Weltwoche» schreibt?
Nein. Ich habe früher mal ein bisschen mit Autos gehandelt. Aber jetzt schon lange nicht mehr. Ein anderer Sheikh der Moschee macht das.
Wollen Sie uns also weismachen, Sie werden verwechselt?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich eigentlich hier bin, um zu helfen und jetzt plötzlich ein «‹IS›-Pate» sein soll.
Ihnen wird aber gemäss «Weltwoche» von mehreren Personen vorgeworfen, dass Sie in Ihren Predigten in Hinterzimmern Hass gegen «die Ungläubigen» schüren.
Das stimmt nicht. Auch so etwas müsste man beweisen. Meine Predigten sind offen und für jeden zugänglich. Hier findet nichts in verborgenen Kämmerchen statt. Eher werden wir ins Verborgene verdrängt, wenn wir unter Generalverdacht gestellt werden.
Wie lange sind Sie denn schon Imam in Winterthur?
Ich war zumindest noch nicht hier, als die ersten vier Jugendlichen in den Dschihad reisten. Der Präsident Atef Sahnoun hat mich vor acht Monaten hierher geholt, um eben weitere Dschihad-Reisen zu verhindern und ein Vorbild für die Jugendlichen zu sein.
Welche ersten vier Jugendlichen meinen Sie?
Visar, Edita und Christian und Ahmed, der bei seiner Rückkehr verhaftet wurde (siehe Box).
Kennen Sie diese Jugendlichen?
Nein. Ich kenne sie bloss aus den Medien und Visar vom Sehen bei Besuchen in der An'Nur-Moschee.
Kennen Sie Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi, der im Januar nach Syrien reiste und dort starb?
Nein.
Kennen Sie den Deutschen G. F. über den der «Landbote» kürzlich berichtete?
Nein. Dieser Fall war mir komplett neu.
Kennen Sie den Rückkehrer Achmed? Er soll gemäss «Weltwoche» in der An'Nur-Moschee verkehren.
Ich kenne keinen von ihnen. Ich möchte wiederholt betonen, dass die medialen Anschuldigungen komplett an den Haaren herbeigezogen sind. Man hat einen Schuldigen gesucht und mich gefunden.
Wie erklären Sie sich denn, dass so viele Jugendliche aus Winterthur in den Dschihad reisen?
Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich einfach auf Winterthur, weil hier zwei sehr junge Menschen, Visar und Edita, gegangen sind. In Bern sind ebenfalls mehrere Jugendliche gegangen, in Schaffhausen sind gemessen an der Einwohnerzahl auch mehr abgereist als in Winterthur. Da redet aber niemand von einer «IS»-Zelle.
Stimmt es, dass Sie in Libyen der Libyan Islamic Fighting Group angehörten?
Ja, das stimmt. Ich war damals noch an der Universität. Wir waren eine jugendliche Gruppe von Oppositionellen, die sich gegen Gaddafi aufgelehnt hat. Deswegen musste ich flüchten. Mein Bruder wurde von Gaddafi umgebracht.
Haben Sie in Libyen gekämpft?
Es gab Kämpfe im Osten Libyens. Ich komme aus dem Westen. Persönlich habe ich nie gekämpft. Heute gibt es die Gruppe nicht mehr.
Aber die Libyan Islamic Fighting Group hatte ähnliche Ziele wie der «IS»: Ein islamischer Staat nach Scharia-Gesetzen.
Ja, wir wollten einen Islamischen Staat, aber nach demokratischen Methoden, nicht nach IS-Methoden. Der IS mordet, das ist inakzeptabel. Wir wollten einen demokratischen Staat nach dem Vorbild der Türkei.
Gemäss «Sonntagszeitung» wurden Sie im Februar 2004 von Interpol gesucht.*
Ja, das stimmt. Ich war aber nur rund einen Monat auf dieser Liste. Gaddafi hat mich draufsetzen lassen, weil ich zur Opposition gehörte. Alle Oppositionellen aus Libyen waren darauf. Einen Monat später wurden wir alle wieder gelöscht.
Und wie sieht es mit den Irakern aus, die von der Bundesanwaltschaft verdächtigt werden, einen Terrorangschlag geplant zu haben? Sie sollen einen von ihnen gekannt haben, als sie in der Zürcher Arrahma-Moschee predigten.*
Ja, ich habe einen von ihnen gekannt, aber lange bevor er sich radikalisierte. Später zog er weg und ich hatte seit ungefähr vier Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich bin seit vielen Jahren Imam, ich kenne viele Muslime aus dem Raum Zürich oberflächlich.
Warum haben Sie bis jetzt nie zu all diesen Vorwürfen Stellung genommen?
Ich dachte, mir würde sowieso das Wort im Mund umgedreht. Ich wollte überhaupt nicht zu einer öffentlichen Person werden, sondern in Ruhe leben. Jetzt habe ich mich zu diesem Interview entschieden. Das «SonntagsBlick»-Titelbild war zu viel.
Wie haben Sie es empfunden, als Sie sich auf der Titelseite entdeckten?
Ich war zutiefst verletzt. Ich werde als Terror-Pate und schwerer Krimineller hingestellt, ohne dass ich Gelegenheit hatte, Stellung dazu zu nehmen. Umso schlimmer ist das, weil ich den «IS» verachte. Der «Blick»-Reporter hat das Bild ohne mein Einverständnis gemacht, um mich dann als Kriminellen auf der Titelseite einer nationalen Zeitung zu publizieren.
Wie kam das Bild zustande?
Ich erwartete meinen Sohn. Es klingelte zunächst an der Tür und klopfte dann. Ich öffnete ohne Schuhe und ahnungslos die Tür und da stand der «Blick»-Reporter. «Sind sie A. E.?», fragte er, ich sagte «ja». Dann sagte der Reporter, er wolle mir zwei, drei Fragen stellen. Ich sagte, er solle sich an den Vereinspräsidenten wenden. Er nahm das Handy hervor, wie um etwas zu suchen und drückte den Auslöser. Dann verschwand er.
Werden Sie Anzeige erstatten?
Ja, das werde ich. Meine Persönlichkeitsrechte wurden verletzt. Mein Leben wurde beeinträchtigt. Meine Kinder gehen noch zur Schule. Ihre Mitschüler denken jetzt, ihr Vater arbeite für den sogenannten «Islamischen Staat». Die Leute in der Nachbarschaft schauen mich misstrauisch und ängstlich an. Sie denken, ich trage eine Bombe auf mir oder was weiss ich. Ich traue mich kaum mehr aus dem Haus. Dass mir die Schweiz vor 15 Jahren politisches Asyl gewährt hat, habe ich sehr geschätzt. Ich liebe die Schweiz und stehe zu hundert Prozent hinter den schweizerischen Werten. Dieses Land ist in den letzten 15 Jahren meine zweite Heimat geworden.
Wie werden die Jugendlichen Ihrer Meinung nach heute für den «IS» rekrutiert?
Die Jugendlichen radikalisieren sich im Internet und kommen über Facebook mit Dschihadisten in Kontakt.
Aber reist man zu einem Facebook-Kontakt nach Syrien?
Die Kontakte werden schnell konkret. Die ersten Winterthurer Jugendlichen, die zum «IS» gereist sind, sind ja zum Teil immer noch auf Facebook aktiv. Man kann Sie anschreiben und kommt schnell zu den Kontakten, die man braucht.
Wie wollen Sie mit Ihrer Arbeit verhindern, dass Jugendliche in den Dschihad reisen?
Durch Wissen. Sie müssen wissen, was der Islam wirklich bedeutet und dass Gewalt falsch ist. Ich will die Schönheit des Islams vermitteln. Natürlich gibt es Verse, die zu Gewalt auffordern. Die stammen aber aus einer alten Zeit, sie gelten nicht für heute. Und sind schon gar nicht auf solch schreckliche Gräueltaten wie sie beispielsweise letzte Woche in Paris stattgefunden haben anwendbar. Das betrifft mich zutiefst.
* In der ursprünglichen Fassung dieses Interviews war diese Frage nicht enthalten. Wir haben sie nachgereicht, nachdem wir von den Vorwürfen Kenntnis erhalten haben.