Herr Fluri, Sie haben ja kaum eine freie Minute.
Kurt Fluri: Ja, heute ist viel los. Das Telefon klingelt fast ununterbrochen.
Kein Wunder, Sie haben sich direkt in einen Orkan manövriert: Fluri, der Architekt des Inländervorrangs.
Das ist stark zugespitzt auf meine Person. Zum Begriff des Architekten habe ich nichts beigetragen und eigentlich stimmt das auch nicht. Ich habe den «Inländervorrang light» zusammen mit vielen anderen Personen konzipiert.
Trotzdem, seit Sie am 2. September den Gesetzesartikel präsentiert haben, sind Sie das Aushängeschild. Was waren die Reaktionen?
Nach dem 2. September waren sie mehrheitlich negativ, allerdings sehr schematisch. Es schien mir, als hätte jemand einen Musterbrief verfasst, den ich dann zuhauf bekommen habe. Gestern Abend hingegen habe ich zu, sagen wir, vier Fünfteln positive Reaktionen erhalten. Niemand will ernsthaft auf ausländische Arbeitskräfte verzichten und jeder begreift, dass die Bilateralen volkswirtschaftlich wichtig sind. Daher ist es richtig, dass wir die internationalen Verpflichtungen nicht auflösen.
Nicht alle sehen das so wie Sie. Die SVP sieht Sie als Totengräber der Demokratie, Thomas Matter forderte Ihren Rücktritt.
Mit der Kritik kann ich umgehen. Ich hatte in politischen Fragen ja schon immer «Chretz» mit der SVP. Mir ist also nach wie vor sehr wohl im Bundeshaus.
Gerade Sie, einer der wenigen, die ein Verfassungsgericht fordern, würden nun die Verfassung brechen, heisst es.
Wir brechen die Verfassung nicht, wir setzen sie nur schwach um. Im Vergleich zu anderen Initiativen betrifft diese nun mal nicht nur Binnenrecht, sondern auch internationales Recht. Die Schweiz ist in den Verhandlungen mit Brüssel wegen der Umsetzungsfrist der Initiative in einer schlechteren Position als die EU. Wenn die EU nicht einverstanden ist, kann die Schweiz noch lange täubelen, das nützt nichts.
Hat es die SVP versäumt, ein klares Konzept vorzulegen?
Definitiv. Die SVP konnte auf die Frage, wie sie sich die Umsetzung vorstelle, nie klare Antworten geben, sie nannte nie eine Zahl. Jetzt zu reklamieren, wir würden den Volkswillen nicht akzeptieren, ist etwas scheinheilig.
Aber es gab Einzelanträge.
Auch 50 Einzelanträge sind noch kein Konzept. In der Kommission sitzen neun SVP-Delegierte, nur deren drei haben ein Konzept eingereicht, das im Grunde einfach die Ecopop-Initiative aufgewärmt hat, also Zuwanderungsbeschränkungen vorsah, die das Volk klar abgelehnt hat.
Hat die SVP also umsonst drei Jahre lang den Politbetrieb aufgehalten?
Das kann man so sagen. Die Fristen waren ja sowieso nicht einzuhalten. Dennoch hat sich der Bundesrat bemüht. Aber nochmals: Wenn die EU Nein sagt, dann müssen wir das akzeptieren. Wichtige internationale Verträge sind höher zu gewichten als die eigene Verfassung.
Damit verärgern Sie 50,3 Prozent der Menschen, die im März 2014 abgestimmt haben.
Wir können doch nicht durch die Hintertür einen Vertrag brechen! Dann müssen wir wennschon über die Personenfreizügigkeit abstimmen. Und das wäre ein böses Erwachen – auch für die SVP, in der ja bekanntlich auch viele Unternehmer sitzen. Das ist ja das Schizophrene an diesem Thema: Im Allgemeinen ist man gegen Ausländer und Einwanderer, aber wenn es um Spitalleistungen geht, um die Spitex, um Ingenieure, weiss eigentlich jeder, dass es nicht ohne ausländische Arbeitskräfte geht.
Wird die Umsetzung der MEI der SVP-Initiative Schweizerrecht vor Völkerrecht Aufschub geben?
Das ist möglich. Aber auch da fordere ich jeden auf, sich zu überlegen, wie man sich privat verhalten würde. Einen Vertrag, der einem nicht passt, bricht man nicht einfach. Einen Vertrag kündigt man. Genauso ist es bei den Bilateralen Verträgen.
Welche Effekte hat der Inländervorrang light denn überhaupt?
Mit dem Inländervorrang können bis zu 11'000 Stellen durch Schweizerinnen und Schweizer besetzt werden. Das ist ein beträchtlicher Anteil, wenn wir von einer Nettozuwanderung von 50'000 Menschen ausgehen. Zudem ist die Ratifizierung des Kroatien-Protokolls damit eine klare Sache. Wenn der Ständerat nichts beschliesst, das die internationalen Verträge tangiert, können wir das Protokoll ratifizieren und Horizon 2020 retten.
Wird die EU diese Pille schlucken? Schliesslich verletzt jeglicher Inländervorrang das Freizügigkeitsabkommen.
Der Bundesrat soll die EU nun nicht fragen, ob diese Umsetzung in Ordnung ist, sondern sie darüber orientieren. Denn das Argument, dass keine Form des Inländervorrangs mit den Bilateralen vereinbar ist, halten wir für Powerplay der EU.