Schweiz
Interview

Virginia Koepfli spricht über Women's March und Feminismus

Protesters participate in the Women's March for women's rights in Zurich, Switzerland March 18, 2017. REUTERS/Brenna Hughes Neghaiwi
Virginia Koepfli trägt vorne links das Banner und blickt direkt in die Kamera.Bild: BRENNA HUGHES NEGHAIWI/REUTERS
Interview

«Mein Feminismus setzt sich gegen jegliche Form von Unterdrückung ein»

Virginia Koepfli ist Mitglied der Juso, war selbst auf dem BH-Verbrennungs-Bild und hat den Zürcher Women's March mitorganisiert. Wieso es mit der Aktion aber nicht getan ist, erklärt sie im Interview.
22.03.2017, 18:3823.03.2017, 08:54
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Frau Koepfli, Sie haben den Women's March in Zürich mitorganisiert. Ihr Fazit?
Virginia Koepfli:
Die Voraussetzungen für die Veranstaltung waren nicht ideal. Wir hatten nur knapp einen Monat, um das Ganze zu realisieren. Ich habe zuvor noch nie eine Demo organisiert und es war kompliziert, dem breiten Bündnis gerecht zu werden. Kurz vor dem Women's March war es dann vor allem das Wetter, das mir Sorgen bereitete.

Waren Sie überrascht, dass so viele Menschen teilnahmen?
Um ehrlich zu sein, habe ich nie mit dieser Menschenmenge gerechnet. 15'000 Menschen, die gegen Sexismus, Unterdrückung und das Patriarchat auf die Strasse gehen – ich bin immer noch überwältigt. Das zeigt, wie wichtig das Thema ist. Mein Fazit ist also durchwegs positiv: Ich bin nicht nur von der Menge der Menschen beeindruckt, sondern auch von der Kreativität. Es war wirklich grossartig.

«Der Feminismus ist eine Befreiungsbewegung aller Menschen.»

Der Women's March hat ohne konkrete Forderungen stattgefunden. Können Sie trotzdem sagen, was der Marsch bewirkt hat?
Der Women's March war der Start einer Bewegung. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dieser Bewegung nicht einfach einen Inhalt überzustülpen. Der Marsch selber hatte aber durchaus eine Wirkung. Die Menschen, die gekommen sind, haben das für sie wichtige Thema hineingetragen. Das zeigt, wie vielseitig unsere Forderungen sind, aber auch, wie viel es noch zu tun gibt.

Was wollten Sie selber mit der Demo erreichen?
Persönlich war für mich vor allem wichtig aufzuzeigen, wie vielfältig diese Bewegung ist, dass LGBT-Anliegen genau gleich wie Rassismus-Themen aufgegriffen wurden. Der Marsch zeigt der männlich geprägten Classe Politique, dass es nicht angeht, unsere Themen weiterhin zu ignorieren.

An der Demo nahmen auch viele Männer teil. In den Sozialen Medien entbrannten daraufhin eine Diskussion, ob Männer Feministen sein können und sollen. Wie stehen Sie zu männlichen Feministen?
Klar kann Mann Feminist sein. Ich finde es extrem wichtig, dass Feminist-Sein mit der Reflexion der eigenen Privilegien einhergeht. Dies gilt nicht nur für Männer. Ich zum Beispiel habe als weisse Cis-Frau extrem viele Privilegien gegenüber anderen Frauen. Mein Feminismus setzt sich in der Folge gegen jegliche Form von Unterdrückung ein.

«Ich finde das Ausspielen der beiden Geschlechter gegeneinander in den Medien ein bisschen mühsam.»
Cis-Gender
Als Cis-Frau oder -Mann werden Personen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Dies trifft also auf die Mehrheit der Menschen zu, die sich deshalb selbst gerne als «normal» bezeichnen und keine besondere Bezeichnung fordern.

Was lösen diese Privilegien aus?
Privilegien sind darum besonders gefährlich, weil sie blind machen. Menschen, die Privilegien haben, können die Unterdrückung, die Menschen ohne bestimmte Privilegien erfahren, nicht nachfühlen. Wir alle müssen deshalb lernen, denjenigen Menschen Verbündete zu sein, die Unterdrückung erfahren. Wir müssen ihnen nicht nur glauben, wenn sie uns von erlebtem Sexismus erzählen, sondern ihnen auch die Wahl lassen, was sie dagegen machen wollen. Darum sollen solidarische Männer den Frauen eine Art Vortritt lassen, wenn es zum Beispiel darum geht, über Sexismus zu sprechen. Denn wir erleben ihn tagtäglich.

Auch Männer wollen sich von ihren Rollenbildern emanzipieren. Haben ihre Anliegen im Schweizer Feminismus Platz?
Das ist sehr wichtig, darum wurde ja zum Beispiel die Initiative für den Vaterschaftsurlaub lanciert. Ich finde das Ausspielen der beiden Geschlechter gegeneinander in den Medien, und die Fragen zu Männern im Feminismus ein bisschen mühsam. Der Feminismus ist eine Befreiungsbewegung aller Menschen. Es ist nicht falsch, dass hier auf die Frau fokussiert wird, denn in allen anderen Themen und Lebensbereichen werden Frauen immer noch massiv unterdrückt.

Es ist aber auch klar, dass dieses männliche Ideal von Menschen, die nie Schwäche zeigen, immer Vollzeit arbeiten, selbstbewusst, gefühlskalt und zielgerichtet sind, von wirklichen Männer gar nicht erreicht werden kann. Dieses Ideal soll dem kapitalistischen System zuträglich sein und den Profit maximieren. Es beutet den Menschen aus, bis er nicht mehr kann. Gegen dieses Ideal kämpft auch der Feminismus. Mein Feminismus ist deshalb auch antikapitalistisch.

«Die Frauen sind wütend und haben genug»: Über 10'000 Pussyhats marschierten durch Zürich

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«Die Frauen sind wütend und haben genug»: Über 10'000 Pussyhats marschierten durch Zürich
Bunt, laut und fröhlich: Gegen 15'000 Frauen und Männer marschierten am Samstag am «Women's March» quer durch Zürich.
quelle: keystone / ennio leanza
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74 Kommentare
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NWO Schwanzus Longus
22.03.2017 23:17registriert November 2015
Weisse Cis Frau..... Hätte sie doch gleich sagen können das sie eine Frau ist von Geburt an wenn das ihr so wichtig war es zu betonen und nicht solche nutzlosen Begriffe zu verwenden. Ich bin ein normaler Mann kein Schwarzer/Weisser Cis Mann oder so ich finde das absolut schrecklich wenn man jetzt anfängt andere so zu bezeichnen.
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Karl33
22.03.2017 20:08registriert April 2015
Finde es etwas irritierend, wie sie das Ausspielen der Geschlechter gegeneinander verurteilt, dann aber gleich fordert, dass Männer den Frauen den Vortritt lassen sollen. Oder dass Frauenanliegen dringender seien als Männeranliegen (sic!)

Das sehe ich nicht so. Männer werden heutzutage soviel diskriminiert wie Frauen, eher noch mehr. Ich spreche nicht von den Cis-Männern.

Deshalb ist es wichtig, dass nach der Gleichstellung der Frau in den letzten 2 Jahrzehnten jetzt auch der Mann von seinen Diskrimierungen befreit wird: Rentenalter, Dienstzwang, Sorgerecht.
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Frank8610
22.03.2017 21:44registriert Dezember 2016
"in allen anderen Themen und Lebensbereichen werden Frauen immer noch massiv unterdrückt."

Vielleicht fällt es mir schwer als weisser heterosexueller cis-Mann der dem berühmten Patriarchat angehört, diese Aussage nachzuvollziehen. Aber kann mir jemand Beispiele geben?

Und bitte kommt mir nicht mit der Lohnungleicheit, hab keinen Bock über sinnlose Statistiken zu diskutieren.
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