Schweiz
Interview

«Einige Leser wissen journalistische Vielfalt nicht zu schätzen»

Otfried Jarren, Rektor ad interim Universitaet Zuerich, geht seinen Gedanken nach, anlaesslich einer Pressekonferenz am Mittwoch, 4. Dezember 2013, in Zuerich. Die Universitaet Zuerich bestaetigte heu ...
Medienexperte Otfried Jarren fordert die Einführung von einer staatsunabhängigen Förderung von journalistischen Inhalten.Bild: KEYSTONE
Interview

«Das Problem ist, dass einige Leser journalistische Vielfalt nicht zu schätzen wissen»

Tamedia organisiert ihre Redaktionen neu. Publizistikwissenschaftler Otfried Jarren bedauert dies. Er spricht im Interview mit watson von einem Verlust der publizistischen Vielfalt.
23.08.2017, 20:2628.08.2017, 14:53
Mehr «Schweiz»

Tamedia legt die Inland-, Ausland-, und Wirtschaftsredaktionen seiner Zeitungen zusammen. «Tages-Anzeiger», «Berner-Zeitung», «Bund», «Landbote», «Zürichsee-Zeitung» und «Zürcher Unterländer» werden in diesen Ressorts künftig identisch berichten. Was heisst das für die Leser?
Otfried Jarren: Der Verlust jeder Redaktion, jeder autonom funktionierenden Einheit, ist eine schlechte Nachricht. Damit geht in der Medienlandschaft jeweils ein Stück Vielfalt verloren. Aber falls die Versprechen des Verlags eingehalten werden, heisst das für die Leser auch, dass die Artikel anspruchsvoller und qualitativ besser werden. Diesen Anspruch haben die neuen Redaktionen dann einzulösen.

Keine leeren Versprechungen?
Um es salopp zu sagen: Wenn mehr qualifizierte Journalisten im gleichen fachlichen Bereich arbeiten, könnten die Produkte besser werden und die Redaktionen können einen höheren Leistungsoutput als vorher erreichen. Mal sehen, ob das gelingt.

Zur Person
Prof. Dr. Otfried Jarren ist Leiter der Abteilung Medien & Politik am Institut für Publizistikwissenschaften der Universität Zürich. Ausserdem ist er Präsident der Eidgenössischen Medienkommission und Honorarprofessor im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.

Was heisst es konkret, dass zukünftig die «Berner Zeitung» und «Bund» nicht mehr in Konkurrenz zueinander stehen, sondern identisch über Schweizer Politikereignisse berichten?
Zuallererst: Es ist ohnehin ein Problem, wenn ein Verlagshaus an einem Ort zwei Titel hat. Dass diese nun ein und denselben Inland-, Wirtschaft- und Auslandteil haben, ist natürlich ein weiterer Verlust. Dadurch fallen unterschiedliche Perspektiven und Meinungen weg, die die beiden Blätter vorher im Wettbewerb noch eingenommen haben.

Was heisst dies für die Demokratie?
Es ist wichtig, dass wir möglichst viele unterschiedliche journalistische Erzeugnisse – aus verschiedenen Verlagen wie Redaktionen – haben, die möglichst viele unterschiedliche Positionen, Blickwinkel und Meinungen vertreten. Vielfalt ist wichtig, das ist in der Wissenschaft und der Kultur nicht anders. Vielfalt dient dem Wettbewerb der Ideen. Jeder Verlust ist deshalb bedauerlich.

«Das Fatale am Internet ist, dass der Eindruck entsteht, dass ja eigentlich alles vorhanden und kostenlos ist.»

Wird diese Entwicklung weitergehen?
Das ist leider zu befürchten. Das Problem sind die hohen Fixkosten im Printjournalismus – wie das Papier, die Druckerei und die Logistik. Was hohe Beträge sind. Viele Verlage suchen daher den Weg in digitale Produkte. Das Problem: Hier sind zwar die Fixkosten viel tiefer, doch dafür muss man erstmals im Netz gefunden werden, sich als Marke definieren, und sich in einem sehr selektiven Nachfragemarkt mit ausgezeichneten Produkten durchsetzen. Die Konkurrenz ist gross.

Werden die Tamedia-Leser auf den Verlagsentscheid reagieren?
Bisher musste man leider die Erfahrung machen, dass Leser auf solche Sparmassnahmen gar nicht so stark reagieren. Viele denken, na gut, dann ist das so. Doch wenn Redaktionen abgebaut werden, ist dies immer problematisch. Die Folgen sieht man nicht sogleich. Das Problem ist zudem, dass einige Leser journalistische Vielfalt nicht zu schätzen wissen. Viele sind zu wenig auf das Thema des Abbaus bei Medien wie Journalisten sensibilisiert. Das Fatale am Internet ist, dass der Eindruck entsteht, dass ja eigentlich alles vorhanden und kostenlos ist. Warum soll ich dann noch ein Abo abschliessen?

Tamedia will mit diesem Entscheid Geld einsparen. Dennoch haben sie verkündet, keine Kündigungen auszusprechen. Wie passt das zusammen?
Ich denke, dass dies jetzt erstmals ein Schritt ist, um die Organisation umzustrukturieren bzw. neue zu bilden. Ich interpretiere dies als ersten Schritt. Dann wird man die personellen Strukturen anpassen.

Und bei den Mitarbeitern wird der Rotstift zu einem späteren Zeitpunkt angesetzt?
Das weiss ich nicht. Ein solcher Schritt wird aber intern Unruhe auslösen. Tamedia wird aber sich sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder anschauen, wie viele Mitarbeiter es in jedem Ressort tatsächlich braucht. Die Frage ist auch, ob diese neu zusammengestellten Redaktionen die Leistung steigern können, wie in die Qualität. Und vor allem: Ob es gelingt, mit besseren Produkten mehr Geld einzunehmen. Falls nein, wird sich die Frage, wie es weitergehen soll, von alleine wieder stellen.

«Ich halte persönlich die staatsunabhängige Förderung von journalistischen Medien für nötiger denn je.»

Wird der Entscheid der direkten Medienförderung Auftrieb geben?
Davon gehe ich aus. Nur durch Fördermassnahmen kann auf lange Sicht gewährleistet werden, dass qualitativ hochstehende, journalistisch profilierte Medienerzeugnisse angeboten werden können, die nicht nur der A- oder der B-Partei dienen, sondern mit denen sich der Bürger eine eigene Meinung bilden kann. Differenzierte Berichterstattung benötigen wir in der Schweiz, in einer direkten Demokratie mit Sachgeschäften. Der nächste Prüfstein wird die Abstimmung über die No-Billag-Initiative sein. Wenn man die heutigen Probleme im Journalismus sieht, bin ich sicher, dass nun anders über die Gebührenabschaffungsinitiative gedacht wird.

Wie soll das Modell der Medienförderung funktionieren?
 Sie muss staatsunabhängig erfolgen. Und sie sollte alle Angebotsformen, eben nicht nur Radio und TV, neu umfassen, also auch Textinformationen. Diese Frage stellt sich aktuell im Zusammenhang mit dem geplanten neuen elektronischen Mediengesetz. Wir benötigen ein Umdenken. Ich halte persönlich die staatsunabhängige Förderung von journalistischen Medien für nötiger denn je.

«Es wird weiterhin auch Printangebote geben – die aber haben ihren Preis.»

Kann ein Zeitungsverlag heutzutage überhaupt noch schwarze Zahlen schreiben?
Das geht schon. Vor allem jene Verlage, die sich auf die lokale Berichterstattung konzentrieren und deren Erzeugnisse nicht täglich erscheinen. Es stimmt aber, dass es auch in diesem Markt schwieriger geworden ist. Vor allem weil heute ein grosser Teil der Werbegelder ins Netz fliesst.

Zeichnet sich das Ende des Tagesjournalismus ab?
Es wird weiterhin auch Printangebote geben – die aber haben ihren Preis. In der digitalen Welt werden auch journalistische Angebote zunehmend nicht mehr gedruckt verbreitet werden – allein aus Kostengründen.

Legendäre Titelseiten

1 / 42
Schöne und legendäre Titelseiten
«National Geographic», Juni 2018: «Planet or Plastic?» – die Plastiksäcke am Strand sind nur die Spitze des Eisbergs in Sachen Plastikverschmutzung der Meere.
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Schaff dir KEINEN dieser Praktikanten-Typen an!

Video: watson/Knackeboul, Madeleine Sigrist, Lya Saxer
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
91 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
ThatTrick
23.08.2017 21:15registriert März 2014
Das Problem mit der Vielfalt ist ja schon lange ein Problem, dass kommt nicht erst seit dem Profitdenken gewisser Medien, welche durch Zusammenschlüsse und die daraus resultierenden Synergien Ihre Kosten senken können. Das Problem an sich ist ja, dass die meisten News auf dieser Welt von nur 3 grossen Medienagenturen verbreitet werden (AFP, AP, Reuters). Die restlichen News welche in der Zeitung stehen, betreffen meist lokale Nachrichten. Wenn der grösste Anteil der heutigen News von nur 3 Agenturen stammen, kann man schon lange nicht mehr von Vielfalt reden.
560
Melden
Zum Kommentar
avatar
Fulehung1950
23.08.2017 22:00registriert Juni 2014
Journalistische Vielfalt? "Wird nicht geschätzt?"

Die Journalistische Vielfalt hat die TAMEDIA höchstselbst schon vor Jahren zu Grabe getragen. Tagi, Bund, BZ - alles ein Einheitsbrei. Dazu (z.B.) ThunerTagblatt, Berner Oberländer und Landbote mit den identischen Artikeln wie die BZ - alles von der Limmat bis zum Brienzer See ein Einheitsbrei.

Und da redet einer von "journalistischer Vielfalt"?

Der Einheitsbrei ist es, was nicht goutiert wird. Das kostet Leser. Und weniger Leser heisst wenige Reichweite. Und weniger Reichweite heisst weniger Inserenten. Also muss restrukturiert werden.
574
Melden
Zum Kommentar
avatar
James McNew
23.08.2017 23:00registriert Februar 2014
Wenn man die Kommentare liest, hat der Schweizer Journalismus zwei Probleme (die zusammenhängen):
1. sind die Verlage nicht mehr bereit, die Redaktionen anständig zu finanzieren.
2. Ein Imageproblem. Von innen sieht man kompetente, engagierte Leute, die sich 12h am Tag den Arsch aufreissen um am nächsten Tag einen fundierten Artikel im Blatt zu haben. Von aussen seht ihr faule, gesteuerte Dilettanten.

Weil immer mehr gespart wird, müssen immer weniger gute Keute immer mehr machen. Das Resultat wird davon nicht besser und allfällige Fehler und Halbbackenes oder sda-Meldungen... 1/2
453
Melden
Zum Kommentar
91
Auf Biodiversitäts-Förderflächen gibt es ein Drittel mehr Pflanzen

Biodiversitätsförderflächen sind für die Artenvielfalt wirksamer als der biologische Landbau. Am besten für die Pflanzenvielfalt sei es aber, wenn diese beiden Massnahmen kombiniert würden, schrieb die Forschungsanstalt Agroscope in einer Mitteilung vom Montag.

Zur Story