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Interview

FIFA-Kritiker Jens Weinreich: «In ein paar Tagen ist Blatter verschwunden»

Tschau Sepp – Blatters Karriere in Bildern

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Tschau Sepp – Blatters Karriere in Bildern
Joseph Blatter, aufgenommen im Jahre 1966: Der Walliser mit Jahrgang 1936 studierte an der Universität in Lausanne Volkswirtschaft und schloss 1958 mit Diplom ab.
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Interview

FIFA-Kritiker Jens Weinreich: «In ein paar Tagen ist Blatter verschwunden»

Warum hat Blatter vier Tage nach der Wiederwahl den Bettel hingeworfen? Und was passiert jetzt mit der FIFA? Ein Gespräch mit dem Investigativ-Journalisten und FIFA-Kritiker Jens Weinreich.
03.06.2015, 19:2804.06.2015, 17:01
Daria Wild
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Jens Weinreich, Sepp Blatter bleiben noch ein paar Monate, bis ein neuer FIFA-Präsident gewählt wird. Er hat letzte Massnahmen angekündigt ...
Das ist der grösste Unsinn der Sportgeschichte! Dass Blatter sich hinstellt und noch immer irgendwas von Reformen und Massnahmen orakelt, ist Quatsch. Womöglich will er noch einen Nachfolger in die Pipeline schicken, der ihm genehm ist. Das zeigt zwar, wie sehr er an seinem Amt klammert, wie wenig er die Macht seinen Feinden übergeben will – aber es ist kompletter Irrsinn. Wahrscheinlich ist er in ein paar Tagen verschwunden. Die Welle kann er nicht mehr aufhalten. 

Jens Weinreich.
Jens Weinreich.bild: zvg
Zur Person
Jens Weinreich (*1965), Journalist aus Deutschland, hat sich vor allem mit Recherchen in den Bereichen Korruption und Doping einen Namen gemacht. Weinreich hat mehrere Bücher publiziert – darunter «Macht, Moneten, Marionetten» über die olympischen Spiele in Sotschi und «Die WM in Katar – Sklavenarbeit, Korruption und die FIFA.» Seine Recherchen veröffentlicht Weinreich auf seinem Blog, daneben schreibt er für Spiegel und Krautreporter. 

Letzte Woche sah es noch aus, als würden die Verhaftungen der FIFA-Funktionäre an «Teflon-Blatter» abperlen. 
Was für ein historischer Moment! Und dann noch an so einem symbolträchtigen Ort wie dem dekadenten Baur Au Lac. Das hat bei den anderen Weltverbänden und dem IOC, die in der Schweiz domiziliert sind, Schockwellen ausgelöst. Sie sind in der Schweiz nicht mehr sicher. Bereits seit letztem Mittwoch dürften jetzt wohl überall Daten gelöscht und Akten vernichtet werden. In diesem Business grassiert die Angst vor dem Knast. 

«Am Sonntagabend stand er noch da wie ein nordkoreanischer Parteichef.»

Trotzdem: Blatter hat sich erst wählen lassen und dann erst am Dienstag den Kopf eingezogen. Warum?
Am Sonntagabend stand er noch da wie ein nordkoreanischer Parteichef und behauptete, es gäbe keine flächendeckende Korruption. Dann, plötzlich: Eine 180-Grad-Drehung. Nach seinem jahrzehntelangen Kampf um die Macht auf diese Art den Bettel hinzuschmeissen, kann nur einen logischen Grund haben: Die US-Ermittlungen, von denen wir seit gestern Abend wissen. 

Wird das FBI Blatter vor Gericht zerren?
Die Amerikaner sind knallhart. Unter Druck haben zum Beispiel auch die Warner-Söhne kooperiert. Was das FBI eventuell gegen Blatter in der Hand haben könnte, wird sich bald zeigen. Da ist kaum etwas zu verheimlichen. Im Grunde aber ist Blatter auf andere Weise korrupt, im strafrechtlichen Sinne wurde ihm bisher nichts nachgewiesen. 

Wie meinen Sie das?
Korruption hat viele Facetten. Die Art der Korruption, die auf Blatter zutrifft, ist eher moralischer Natur: Er hat dieses System aufgebaut. Hat er sich in der FIFA eine goldene Nase verdient? Ja. Aber hat er Schmiergelder kassiert? Nein. Bis heute verrät er zwar nicht, wie viel Boni er verdient. Aber bis heute ist auch klar, dass er auf legalem Weg zu seinem Geld gekommen ist. Ob ihm also strafrechtlich etwas vorgeworfen werden kann, bleibt abzuwarten. 

«Seine moralische Schuld können nur hochbezahlte Propagandisten der FIFA leugnen. Die ist belegt.»

Das FBI ermittelt, Blatter tritt zurück. Das ist doch ein Schuldeingeständnis!
Nein. Das hat er aber auch nicht nötig. Seine moralische Schuld können nur hochbezahlte Propagandisten der FIFA leugnen. Die ist belegt.  

Womit?
Einer, der sich von den korruptesten Fussball-Figuren auf diesem Planeten Stimmen beschaffen lässt, von Jack Warner, Mohamed Bin Hammam, Ricardo Teixeira und anderen, der weist nach, dass er ein entscheidender Teil des Korruptionssystems ist. Er trägt die Mitschuld. Und dass er von der Bestechung Havelanges durch die ISL wusste, wurde 2011 nachgewiesen. 

Unter Havelange und ISL-Gründer Dassler begann der Aufstieg Blatters in der FIFA.
Horst Dassler, ehemaliger Adidas-Chef und Gründer der eigentlichen Bestechungsagentur ISL, war Architekt der modernen Sportpolitik. Er hat schon Ende der 60er-Jahre begriffen, dass Fussball zu einem globalen Geschäft werden und die Dominanz der Europäer enden wird. Blatter war Dasslers Freund und Schüler. Blatter hat dieses System pervertiert, vollkommen gemacht. Er hat Warner und Co. gewähren lassen und dafür Stimmen kassiert. 

Jetzt ist er weg – wird die FIFA besser?
Das Problem der FIFA ist nicht allein Sepp Blatter. Es müssen quasi flächendeckend Führungskräfte rausgeschmissen werden. Ausserdem die FIFA hat nicht nur ein massives Personalproblem, sondern auch ein Systemproblem. Nur umfassende Regeländerungen können die FIFA reformieren. 

Welche Regeländerungen?
Der Vereinsstatus darf nicht bleiben. Die FIFA muss eine Aktiengesellschaft werden und die entsprechende Rechenschaftspflicht wahrnehmen. Es muss ein riesiges Paket an Reformen geschnürt werden.

«Das einzige, was die FIFA macht, ist die Vermarktung des Weltpokals. Das kann jeder andere auch.»

Worin unterscheidet sich die FIFA von anderen Sportverbänden? 
Es gibt nur drei Milliardenkonzerne: Die UEFA, das IOC und die FIFA. Was die Verteilung der Einnahmen angeht, ist die UEFA ziemlich transparent. Dafür hat sie keine Ethikkommission – wobei, diejenige der FIFA ist ja sowieso ein Witz. Das IOC ist anders strukturiert, von dem her nicht unbedingt vergleichbar. Nur die Stimmendealer, die sind ähnlich schwer belastet wie bei der FIFA. Scheich al-Sabah beispielsweise, der jetzt pikanterweise noch als Nachfolger Blatters gehandelt wird. 

Braucht's die FIFA überhaupt?
Welcher Fussballer, welcher Nachwuchssportler braucht die FIFA? Keiner. Die Förderung wird von Stadtverbänden und kantonalen Verbänden organisiert. Das Einzige, was die FIFA macht, ist die Vermarktung des Weltpokals. Das kann jeder andere auch. Und all' die Nachweise für den wirtschaftlichen Erfolg der FIFA? Schwachsinn! Wenn jemand anderes das machen würde, was die FIFA macht, wäre da vermutlich noch mehr zu holen. 

Sepp Blatters mögliche Nachfolger

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Sepp Blatters mögliche Nachfolger
Michel Platini: Der UEFA-Präsident galt früher als möglicher Nachfolger Blatters. Doch die beiden haben sich verkracht. Der Franzose hat ein Image-Problem: Er hat für die WM-Vergabe an Katar gestimmt.
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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Angelo C.
03.06.2015 20:34registriert Oktober 2014
Ganz mieser, schon eher peinlicher Kommentar eines professionellen Wichtigtuers und FIFA/Blatter-Hasser, der seit Jahren davon einträglich lebt und sich weit entfernt jeglicher Objektivität befindet. Sein hohles Geschwätz habe ich mir kürzlich schon in der ARD und heute Abend in TeleZüri angetan, jetzt muss ich ihn auch noch bei WATSON lesen. Shit happens...
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Ralphster
03.06.2015 20:12registriert März 2014
Hätte ich die Antwort zur letzten Frage als erstes gelesen, wäre mir gleich bewusst geworden, dass ich mir das restliche Interview schenken kann. Klar hat die eine oder andere Aussage schon ein wenig Hand und Fuss und ja, ein Journalist in der heutigen Zeit muss bissig schreiben um gehört zu werden, aber, dass es die FIFA als oberstes Organ im Fussball nicht wirklich benötigt, ist ein totaler Schwachsinn. Ihm als Deutscher würde das wahrscheinlich noch gefallen, da dann der DFB plötzlich einer der Verbände wäre, die das Sagen haben....
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toobitz
03.06.2015 20:44registriert Mai 2014
Für einen Investigativjournalisten sind das erstaunlich wenig Fakten und sehr viel Meinung...
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