Herr Hostettler, gibts in der Schweiz eigentlich eine unbeliebtere Lobby als jene der Krankenkassen?
Otto Hostettler: Kommt darauf an, aus wessen Sicht. Die Nuklear- oder die Rüstungsindustrie wird in gewissen Kreisen sicher noch kritischer gesehen.
Immerhin fühlte sich FDP-Bundesratskandidat Ignazio Cassis in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» bemüssigt zu erklären, Krankenkassen seien keine «Terrorgruppen». Das sagt einiges über das Image der Branche aus.
Die Krankenkassen sind in der Politik sehr stark vernetzt: Sowohl das Nationalrats- als auch das Ständeratspräsidium sind in den Händen von Groupe-Mutuel-Vertretern. Insgesamt gibt es 70 Firmen, Verbände und andere Institutionen, die die Interessen der Krankenkassen in der Politik vertreten. Dasselbe gilt für die Pharma-Industrie und andere Bereiche des Gesundheitswesens. Wobei Cassis’ Mandate sicher nicht die problematischsten sind – er legt sie wenigstens offen.
Mit ihm hätten die Krankenkassen einen eigenen Sitz im Bundesrat, heisst es. Einverstanden?
Er wäre nicht der erste Bundesrat, der enge Beziehungen zu den Krankenkassen pflegt. Pascal Couchepin war auch engstens mit der Groupe Mutuel verbunden. Formell werden die Beziehungen natürlich gekappt, wenn ein Politiker in die Landesregierung einzieht. Inoffiziell hätten die Krankenkassen mit Cassis aber einen direkten Draht in den Bundesrat. Es ist klar: sie erhoffen sich, früher an wichtige Informationen zu kommen und ihren Positionen wirksamer Gehör zu verschaffen.
Dann wäre ein Gesundheitsminister Ignazio Cassis ein Problem?
Nicht per se. Cassis ist Arzt, er ist in der Gesundheitsprävention tätig und er hat Lehrtätigkeiten zum Gesundheitswesen inne. Sein Engagement scheint darum glaubhaft, und niemand kann ihm profunde Kenntnisse in diesem Bereich absprechen. Man könnte argumentieren, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen.
DIe Waadtländerin Isabelle Moret, die ebenfalls für den Bundesrat kandidiert, ist Präsidentin des Spitalverbands H+. Warum zeigt da niemand mit dem Finger drauf?
Es gibt keinen rationalen Grund, hier nicht genau gleich streng hinzuschauen. Vielleicht haben Spitäler schlicht das bessere Image als Krankenkassen. Wobei es nicht gerecht ist, letztere zu verteufeln: Der Krankenkassen-Verband steht etwa auf die Bremse, wenn Medikamente zu teuer verkauft werden. Abgesehen davon sitzt Isabelle Moret nicht nur im Spitalverband, sondern ist auch im Arbeitskreis «Sicherheit und Wehrtechnik» dabei. Das scheint mir viel problematischer.
Warum?
Es handelt sich um eine Lobbygruppierung der Rüstungsindustrie. Bis heute will niemand sagen, woher die Gesellschaft ihr Geld hat. 19 SVP-Politiker, je 13 CVPler und FDPler sowie ein BDP-Nationalrat vertreten die Gruppe im Parlament. Das ist eine geballte Ladung Macht. Noch problematischer: Die Politiker scheint es nicht zu stören, dass die Geldgeber dieser Gruppe nicht bekannt sind. Sie machen trotzdem mit.
Es gehört zur Idee des Milizparlaments, dass die Politiker im Bundeshaus auch die Sichtweise von Wirtschaftsverbänden einbringen.
Das ist die alte Mär. Doch in der heutigen Ausprägung haben die Mandate mit Miliz oft nichts mehr zu tun. Es gibt Politiker, die streichen 50’000 Franken dafür ein, dass sie hin und wieder an einer Sitzung teilnehmen. Und niemand weiss, welche Gegenleistungen sie dafür erbringen. Die heutige Transparenzregelung in der Schweizer Politik ist völlig ungenügend.
Ignazio Cassis verdient beim Krankenkassenverband Curafutura 180’000 Franken jährlich. Ist damit eine kritische Grenze überschritten?
Die Höhe der Entlohnung allein ist nicht ausschlaggebend. Die Frage ist, wieviel er dafür leistet. Grundsätzlich empfehle ich Herrn Cassis, all seine Einkünfte vor den Bundesratswahlen offenzulegen.
Kümmert das die Bürger überhaupt? Die letzte Initiative für eine transparentere Parteienfinanzierung ist 2012 im Sammelstadium gescheitert.
Teilweise sind die Leute hier sicher ungenügend sensibilisiert. Punkto Transparenz steht die Schweiz international völlig quer in der Landschaft: Schon mehrfach wurde sie von der Staatengruppe gegen die Korruption (Greco) gerügt, weil sie als einziger der beteiligten Staaten keinerlei Finanzkontrolle des politischen Systems kennt. Es ist aus Sicht der Wähler schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb die Parteienfinanzierung geheim bleiben soll. Es gibt auch keinen plausiblen Grund, die Herkunft dieser Gelder nicht offenzulegen. Ich bin sicher, dass die Transparenzpflicht früher oder später kommt – die Unterschriftensammlung für eine neue Initiative läuft ja bereits.
Im Zuge der sogenannten Kasachstan-Affäre wurde das Thema Lobbyismus prominent diskutiert. Was ist davon übrig geblieben?
Die Kasachstan-Affäre hatte schon eine nachhaltige Wirkung. Wir bei Lobbywatch merken, dass die Bereitschaft der Politiker gestiegen ist, ihre Finanzen offenzulegen. Viele Parlamentarier sehen ein, dass dies ihrer Glaubwürdigkeit zuträglich ist. Aber vielleicht braucht es noch zwei, drei Skandale wie jenen um Markwalder, bis sich eine Mehrheit zu einer strengeren Regelung durchringen kann.