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Mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent wird der Beruf kaufmännischer Angestellter automatisiert werden. Das geht aus einer Untersuchung der Universität Oxford hervor. Laut dieser drohen wegen der digitalen Revolution die KV-Jobs bis in 20 Jahren zu verschwinden. Manuel Keller, Leiter Beruf und Beratung des Kaufmännischen Verbandes, nimmt Stellung dazu.
In der Schweiz gibt es 284'000 kaufmännische Angestellte. Ihre Jobs sind laut der Oxford-Studie in akuter Gefahr. Was halten Sie von der Studie?
Manuel Keller: Die Studie ist uns bekannt, es gibt auch eine ähnliche, vertiefte für die Schweiz. Wir bemängeln an beiden Studien, dass sie zu wenig auf die Bildungslandschaft im kaufmännischen Bereich eingehen, dass sie die Weiterentwicklung in diesem Berufsfeld fast nicht berücksichtigen und von einem etwas konservativen Bild kaufmännischer Angestellter ausgehen.
Wie ist denn Ihre Prognose? Wie viele KV-Jobs werden in den nächsten 20 Jahren verschwinden?
Eine genaue Zahl zu prognostizieren, ist Kristallkugel lesen. Das können und wollen wir nicht. Klar ist: Die Digitalisierung und Automatisierung hat bereits früher zu Veränderungen von Berufsbildern geführt und wird dies auch in Zukunft tun. Die klassische Sekretariatsfunktion wird es wohl kaum mehr geben. Die Arbeit wird vielfältiger, erfordert heute andere Fähigkeiten. Sozialkompetenz, Problemlösefähigkeit, Vernetzungs- und Beratungskompetenzen werden wichtiger. Know-how wird auch bei der Schnittstelle Mensch und Maschine/Computer wichtiger. Finanzroboter können zwar bei Finanzberatungen eine wichtige Unterstützung sein und das optimale Portfolio erstellen. Diese Ergebnisse den Kunden anzupreisen, sie zu beraten und betreuen, erfordert aber immer noch ein gutes Vertrauensverhältnis, hohe Sozialkompetenz und die Erfahrung von geschulten Mitarbeitern.
Sie fürchten also nicht um KV-Nachwuchs?
Die kaufmännische Lehre ist mit 10'000 Lehranfängern pro Jahr die beliebteste Lehre der Schweiz. Sie ist eine gute und generalistisch geprägte Grundausbildung, die für viele Vertiefungen eine ideale Basis bildet und deshalb auch bei den Arbeitgebern weiter beliebt ist. Der kaufmännische Verband ist zusammen mit Experten aus Bildung und Wirtschaft kontinuierlich daran, die kaufmännische Berufslehre den aktuellen Bedürfnissen der Arbeitswelt anzupassen.
Wie?
Die neuen Medien müssen künftig sicherlich eine grössere Rolle spielen. Andererseits soll die Ausbildung weiterhin so branchen- und praxisnah wie möglich sein. Ich denke an strukturelle Anpassungen und Modernisierungen, die das effektive Arbeitsumfeld der Lehrlinge im Unternehmen noch stärker abbilden. Zudem gehört lebenslanges Lernen als Grundstrategie zu unserer Grundüberzeugung.
Wie wird sich der KV-Beruf, die Lehre, in den nächsten 20 Jahren wandeln?
Wie auf die gesamte Welt kommen Veränderungen auch auf uns zu. Die Digitalisierung wird weitergehen. Dem kaufmännischen Verband ist die Qualität und das Angebot im Bereich der höheren Berufsbildung enorm wichtig. Hier wird das für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit erforderliche Fachwissen vertieft und die nötigen Kompetenzen geschult. Zentral ist sicher, dass bereits in der Grundausbildung ein gutes Basiswissen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) vermittelt wird.
Welches sind die wichtigsten Weiterbildungen?
Zentral ist die Höherqualifizierung und dies trifft auf sämtliche Berufsgruppen im kaufmännischen Bereich zu: Marketing, Human Relations, Rechnungswesen und so weiter. Im Bereich der höheren Berufsbildung gibt es bereits einen grossen Fundus an relevanten Weiterbildungsmöglichkeiten.
Somit stirbt der KV-Beruf noch lange nicht aus?
Es stellt sich die Frage, was unter dem KV-Beruf subsumiert wird. Die Zahl der Angestellten auf dem Arbeitsmarkt, die auf einem klassischen Berufsabschluss verharren, wird in der Tat abnehmen. Das kaufmännische Berufsfeld umfasst jedoch bereits heute eine Vielzahl an Angestellten, die sich über die höhere Berufsbildung höher qualifiziert und sich eine exzellente Ausgangslage auf dem Markt verschafft haben. Dieser Anteil wird weiter zunehmen. Es wird in unserer Dienstleistungsgesellschaft auch künftig viele kaufmännische Angestellte brauchen. Der Beruf bleibt für das Funktionieren der Wirtschaft zentral – auch mit Robotern.
In der «NZZ am Sonntag» sagten Sie, KV-Angestellte müssten den Computern einen Schritt voraus sein. Was bedeutet das?
Angestellte müssen Problemsituationen meistern oder Projekte managen können, die über die standardisierbaren Prozesse hinausgehen. Ebenfalls zentral ist die Förderung von Sozialkompetenzen. Computer können Daten auswerten und analysieren, da sind sie dem Menschen überlegen. Schwieriger ist die Interpretation von weichen, sozialen Faktoren, die jedoch etwa in der Kundenberatung oder bei Personalfachleuten wichtig ist und bleibt. Hier hat der Mensch einen nachhaltigen Vorteil.
Ist es möglich, dass der Name kaufmännische Lehre bald angepasst wird?
Möglich ist es. Im Moment wird die Diskussion dazu nicht geführt. Wichtiger als der Name ist es, den Beruf für die Zukunft auszugestalten.