Bevor es losgeht mit dem Streitgespräch, stellen wir euch die beiden Kontrahenten kurz vor. Wer besucht sein Grosi häufiger? Und wer von beiden kann besser rechnen? Die Antworten gibts im Video:
(Video: Angelina Graf, watson.ch)
Herr Silberschmidt, Herr Franzini: Sie sind beide Anfang 20. Wie stellen Sie sich Ihr Leben mit 70 vor?
Luzian Franzini: Bis dahin wird die Technologie so weit fortgeschritten sein, dass wir nicht mehr täglich acht Stunden arbeiten müssen. Ich hoffe, dass ich mit 70 Jahren längst pensioniert bin und sinnvollen Tätigkeiten nachgehen kann. Was nicht selbstverständlich ist, falls sich Andri und seine Freisinnigen in der Rentenpolitik durchsetzen.
Silberschmidt: Ich hoffe primär, dass ich mit 70 noch gesund bin und machen kann, was mir Freude macht – karitativ, privat oder auch im Beruf. Es ist doch schön, wenn man seiner Leidenschaft im Alter weiter nachgehen kann. Insbesondere, wenn die Lebenserwartung in Zukunft auf 90 oder 100 Jahre steigt.
Sie beide wollen, dass Ihre Generation einmal eine sichere Rente erhält. Trotzdem kämpfen Sie bei der Abstimmung über die Altersvorsorge gegeneinander. Wie kommt's?
Silberschmidt: Wir haben die Zahlen des Bundesamts für Statistik nüchtern analysiert. Es ist offensichtlich, dass die Jungen die Rechnung für diese Reform zahlen müssen. Das ist unfair. Insbesondere, weil die Übergangsgeneration der heute über 45-Jährigen vergoldet wird. Sie muss gar keine Einbussen hinnehmen.
Franzini: Von einer gesunden AHV profitieren alle. Vor ihrer Einführung mussten die Kinder einer Familie zusammenlegen, damit die Grosseltern im Alter noch in Würde leben können. Heute ist das zum Glück anders – die AHV ist extrem effizient. Aber damit das auch so bleibt und wir auch in 50 Jahren noch eine Rente bekommen, braucht es diese Reform.
Grösster Streitpunkt sind die zusätzlichen 70 Franken, die künftige AHV-Neurentner erhalten sollen. Braucht es dieses Zückerchen wirklich, damit das Stimmvolk die Reform schluckt, Herr Franzini?
Franzini: Wir wissen aus Erfahrung, dass eine reine Spar-Vorlage an der Urne chancenlos ist. Die 70 Franken sind mehr als nur ein Zückerli – sie sind für viele Menschen lebensnotwendig. Fast 300'000 Personen in der Schweiz sind von Altersarmut betroffen, so viele wie in keinem anderen europäischen Land. Dabei garantiert die Bundesverfassung Pensionierten, dass sie ihren Lebensstandard fortführen können.
Silberschmidt: Aber das Problem ist ja, dass auch Leute diese 70 Franken bekommen, die sie gar nicht brauchen. Ja, Altersarmut existiert. Aber junge Familien sind noch stärker armutsgefährdet. Ihnen gegenüber ist es ein Hohn, wenn wir nun mit diesem Ausbau das Problem der AHV noch verschärfen anstatt es zu lösen.
«Je länger keine Rentenreform mehr durchkommt, desto radikaler muss die nächste sein», sagt Politologin Silja Häusermann. Wünschen Sie sich eine radikale Sparvorlage, Herr Silberschmidt?
Silberschmidt: Bei einer Annahme der Reform wäre das Ergebnis der AHV bereits fünf Jahren nach Inkrafttreten wieder negativ. Bei einem Nein haben wir Zeit, die erste und die zweite Säule separat zu reformieren. Wir lassen uns nicht erpressen von den Linken, die ihre Reform als alternativlos ansehen.
Franzini: Die Alternative, die Andri und seinen Kollegen vorschwebt, ist das Rentenalter 67 – und das ohne finanzielle Kompensation. Die gesamte Bevölkerung müsste also länger arbeiten und einen Rentenabbau hinnehmen. Das gilt es zu bekämpfen.
Silberschmidt: Wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen: Die Leute werden immer älter. Unter diesen Vorzeichen können wir nicht sagen: wir wollen die gleiche Rente wie früher, gleich lang arbeiten und das System trotzdem irgendwie reformieren. Diese Gleichung geht nicht auf.
Franzini: Sie geht sehr wohl auf, wenn wir bereit sind, der Ungleichheit in diesem Land den Kampf anzusagen.
Sie wollen also die Reichen stärker zur Kasse bitten, Herr Franzini?
Franzini: Gutverdienende können privat fürs Alter sparen. Dies im Gegensatz zu den Büezern, die auf eine starke AHV angewiesen sind. Oder zu der halben Million Frauen in der Schweiz, die gar keine Pensionskasse haben. Was Andri stört, ist, dass auch der Millionär acht Prozent seines Lohns einzahlen muss – und dafür wie alle anderen maximal 2350 Franken Rente pro Monat erhält.
Silberschmidt: Ich bin überrascht, wie ehrlich du zugibst, dass es dir vor allem darum geht, Geld umzuverteilen. Weisst du, wie viel die Reichen in diesem Land schon in die AHV einzahlen? Wie viel sie dazu beitragen, dass die Menschen in diesem Land in Würde und Ehre alt werden können? Ich habe es langsam satt, dass ihr Linken die Pensionskassen angreift und die AHV aus ideologischen Gründen ausbauen wollt. Fakt ist: Wenn die Leute älter werden, ist es nur fair, wenn sie auch etwas länger arbeiten. Oder hast du das kleine 1x1 in der Schule verschlafen?
Franzini: Es stimmt, dass die Schweiz immer älter wird. Aber sie wird schneller reich, als sie älter wird. Die Produktivität steigt immer noch jedes Jahr, die Wirtschaft floriert. Die Frage ist: wohin geht dieses Geld? Bei einer gerechteren Verteilung könnten wir heute schon Rentenalter 60 haben. Das ist eine Frage des Willens.
Silberschmidt: Jetzt hör doch mal auf mit diesen Ideologien! Wenn du willst, dass die Reichen ganz enteignet werden, dann kannst du das fordern. Aber bitte in einer steuerpolitischen Diskussion und nicht, wenn es um die Zukunft unserer Vorsorgewerke geht. Die Rentner waren noch nie so fit wie heute.
Sie glauben also, dass kein Weg am Rentenalter 67 vorbeiführt, Herr Silberschmidt?
Silberschmidt: Die Zahl 67 ist ziemlich willkürlich gewählt. Aber es wäre richtig, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Klar, das ist keine besonders populäre Forderung. Aber als Politiker muss man den Mut haben, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen: Die Renten, die den Leuten heute versprochen werden, sind langfristig nicht finanzierbar.
Zuerst geht es nun mal um die Frage, ob die Frauen künftig bis 65 arbeiten müssen. Die JUSO wehrt sich dagegen – warum Sie als Linker nicht, Herr Franzini?
Franzini: Natürlich bin ich nicht glücklich damit, dass die Frauen dieses Opfer bringen müssen. Ich habe mir lange überlegt, ob ich die Reform unter diesen Umständen mittragen kann. Aber viele Frauen profitieren durch die Reform, da die Teilzeitarbeit besser versichert wird und man die AHV etwas stärkt. Beim aktuellen Parlament ist dies wohl der bestmögliche Kompromiss.
Silberschmidt: Das Absurde ist ja: Man sagt den Frauen, dass sie ein Jahr länger arbeiten müssen. Aber das Geld, das wir damit sparen, wird gleich wieder aufgefressen, weil die Neurentner 70 Franken mehr AHV erhalten. Das ist doch zynisch.
Laut einer ersten Abstimmungsumfrage von Tamedia dürfte es an der Urne knapp werden. Die Frauen und die Jungen sind sogar sehr skeptisch. Wie wollen Sie die Stimmbürger noch von ihren Positionen überzeugen?
Franzini: Die AHV, die grösste sozialpolitische Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, steht auf dem Spiel. Generationensolidarität ist ein Geben und Nehmen. Schliesslich kostet auch dein und mein Studium im Schnitt 110’000 Franken – dieses Geld haben die älteren Generationen erarbeitet. Grosseltern hüten ihre Enkel. Und so weiter. Es ist im Interesse der Jungen, dass es die AHV auch in 50 Jahren noch gibt.
Silberschmidt: Niemand bestreitet, dass unsere Eltern und Grosseltern viel geleistet haben. Aber Generationensolidarität heisst auch, dass alle Generationen die gleichen Chancen bekommen müssen. Und diese Ausbauvorlage mindert die Aussicht, dass wir jemals eine sichere Rente bekommen. Diesen Preis wollen wir nicht zahlen.