Herr Schneuwly, die CVP will die Prämien-Explosion per Initiative stoppen: Sobald die Kosten im Gesundheitswesen eine bestimmte Grenze überschreiten, sollen Bund und Kantone handeln müssen. Ist das die Rettung für gebeutelte Prämienzahler?
Felix Schneuwly: Kaum. Heute wenden alle Industrieländer zehn, elf Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Gesundheitskosten auf – die Schweiz ist da keine Ausnahme. Natürlich kann man per Volksinitiative beschliessen, dass künftig weniger Geld ausgegeben wird. Dann stellt sich die Frage, wo man ansetzen will: Entweder erhalten die Ärzte und Spitäler weniger Geld für die erbrachten Leistungen. Oder die Versicherten dürfen weniger konsumieren.
Im zweiten Fall würden die Krankenkassen also für gewisse Behandlungen nicht mehr zahlen.
Genau. Es käme zu einem Verteilkampf: Wer darf welche medizinischen Leistungen beziehen? In Grossbritannien wird schon heute berechnet, was ein zusätzliches Lebensjahr wert ist. Ausgehend davon entscheidet der staatliche Gesundheitsdienst, ob eine alte Person noch einen Herzschrittmacher erhält oder ob sich die Operation nicht mehr lohnt. Ich glaube aber kaum, dass ein solches Modell in der Schweiz mehrheitsfähig wäre.
Und die Alternative wäre, den Ärzten die Löhne zu kürzen?
Die Gleichung ist einfach: Will man gleich viel konsumieren, aber zu tieferen Preisen, dann müssen Ärzte, Spitäler und die Pharmaindustrie mit weniger Geld auskommen. Der Bundesrat hat schon heute die Möglichkeit, an den Tarifen zu schrauben. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass dann sofort ein Riesengeschrei durchs Land geht. Zudem braucht es dafür keine Initiative.
Dann sind die CVP-Pläne aus Ihrer Sicht nur heisse Luft?
Die CVP hat die Initiative zumindest bewusst schwammig formuliert, indem sie sich davor drückt, konkrete Massnahmen zu nennen. Klar wollen die Leute weniger Prämien zahlen. Aber auf Leistungen verzichten würden dann doch die wenigsten.
Auch die SP plant eine Volksinitiative: Die Prämienbelastung soll gedeckelt werden, sodass kein Haushalt über zehn Prozent seines Einkommens für die Krankenkasse ausgeben muss. Was halten Sie davon?
Das ist reine Symptombekämpfung, an den steigenden Kosten ändert sich damit nichts.
Was schlagen denn Sie vor? Sollen wir einfach die Hände in den Schoss legen und akzeptieren, dass die Prämien auch nächstes Jahr wieder um 4 bis 5 Prozent steigen?
Ich plädiere für Eigenverantwortung und Solidarität im Gleichgewicht. Heute kommt die Eigenverantwortung zu kurz: Kein Wunder steigen die Prämien, wenn die Leute für die tiefste Franchise von 300 Franken ein reichhaltiges All-inclusive-Buffet erhalten! Dann rennen sie bei jeder Bagatelle zum Arzt, anstatt einfach einmal ein Aspirin zu schlucken. Sinnvollere Anreize, etwa in Form einer höheren Mindestfranchise, würden dem entgegenwirken.
Sie forderten bereits, dass die Versicherten alle Kosten unter 3000 Franken selber tragen sollen. Das ist doch ein Hohn gegenüber all jenen, die schon heute ihre Krankenkassen-Rechnungen kaum zahlen können.
Ich stehe weiterhin zu diesem Vorschlag – auch wenn es teils harsche Reaktionen gab. Natürlich bräuchte es für chronisch Kranke Ausnahmen. Wir müssen aber verhindern, dass eigentlich gesunde Menschen zu drei, vier Spezialisten rennen, nur weil sie ganz sicher sein wollen, dass die Diagnose stimmt.
Sind wir ein Volk von Hypochondern?
Wir sind sicher wehleidiger geworden. In unserer hochspezialisierten Gesellschaft ist vielen Leuten nur noch die beste medizinische Versorgung gut genug. Bei Unwohlsein wird nicht mehr auf Hausmittelchen zurückgegriffen, sondern es muss sofort ein Spezialist her. Das gilt vor allem für die Städte – darum sind dort die Gesundheitskosten auch viel höher als auf dem Land.
In manchen Zusatzversicherungen winken Rabatte, wenn die Versicherten pro Tag eine gewisse Anzahl Schritte machen. Andere Kassen bevorzugen gewisse Figurtypen – Bauchfett gibt Minuspunkte. Müssen wir uns darauf einstellen, dass sich die Prämienhöhe künftig noch stärker nach solchen Kriterien bemisst?
Dass in der Zusatzversicherung Leute belohnt werden, die sich gesundheitsbewusst verhalten, ist aus meiner Sicht richtig. Schwierig wird es dann, wenn genetische Vor- oder Nachteile über die Prämienhöhe bestimmen. Ich kann mir vorstellen, dass der Trend noch stärker in diese Richtung geht, wenn die gesundheitlichen Risiken dank neuer Technologien besser berechnet werden können.
Dann müssten fairerweise auch Manager mehr zahlen, die viel arbeiten und daher Burnout-gefährdet sind. Oder Leute, die viel Sport treiben und so ein erhöhtes Verletzungsrisiko haben.
Ein solches System würde unser heutiges Versicherungsprinzip ziemlich auf den Kopf stellen. Das Solidaritätsprinzip würde damit ausgehebelt. Ich würde nicht ausschliessen, dass solche Risikoanalysen künftig auch in der Grundversicherung zum Thema werden – das ist aber noch Zukunftsmusik.