Schweiz
Interview

SBB-Chef spricht über die Zukunft des öffentlichen Verkehrs

Andreas Meyer, CEO SBB AG, zeigt seinen SwissPass.
Andreas Meyer, CEO SBB AG, zeigt seinen SwissPass.
Bild: KEYSTONE
Interview

SBB-Chef Andreas Meyer: «Selbstfahrende Autos sind eine Chance für uns»

Der SBB-Chef plant die Zukunft der Bahn. Andreas Meyer sagt, wie sich die Digitalisierung auf die Pendler, die Randregionen und die Ticketpreise auswirkt. Der Stellenabbau könnte über die 900 Jobs hinausgehen.
08.11.2015, 10:4808.11.2015, 11:16
Stefan Ehrbar und Patrik Müller / schweiz am sonntag
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Herr Meyer, was werden Sie im Jahr 2030 tun?
Andreas Meyer:
Wenn ich irgendwohin möchte, wird mich ein selbstfahrendes Auto an meiner Haustür abholen und zum Bahnhof bringen. Von dort werde ich mit einem modernen Fernverkehrs-Doppelstockzug der SBB mitten ins Zentrum von Zürich brausen. Das wird als Dienstleistung für mich so organisiert. Ich kümmere mich nur um Termine, nicht mehr um Fahrpläne. 

Dannzumal sind Sie 69-jährig – selbst bei einer Erhöhung des Rentenalters also kaum mehr SBB-Chef.
Wer weiss? Ich würde mich wohl bald nach einem neuen Job umsehen, wenn es bei den SBB so weitergehen würde wie bisher: Tunnels planen, Züge beschaffen. Aber die Mobilität wird sich über die Digitalisierung komplett verändern. Die SBB können diese neue Verkehrswelt mitgestalten, sie können die Mobilität der Zukunft und damit auch der Schweiz mitprägen. Was gibt es Faszinierenderes?

Das klingt schön, aber wenn Sie die SBB im Jahr 2030 planen, ist das etwa so seriös, wie wenn wir hier über das Wetter im übernächsten Sommer sprechen würden.
Ich würde es so vergleichen: Es ist jetzt Herbst, und wir können ziemlich sicher sein, dass bald der Winter kommt. Deshalb ziehen wir uns schon einmal etwas wärmer an. Die SBB-Konzernleitung und der Verwaltungsrat haben sich 18 Monate lang intensiv mit der Zukunft der Unternehmung befasst; wir waren beispielsweise bei Automobilherstellern oder im Silicon Valley. Noch intensiver arbeiten wir mit unseren Schweizer Hochschulen wie der EPFL, der ETH und der HSG zusammen. Auch sie machen grossartige Arbeit. In Lausanne beispielsweise sehen Sie das selbstfahrende Auto bereits. Uns geht es darum, die grossen Trends zu erkennen.

Der grosse Trend, das ist die Digitalisierung.
Die Digitalisierung und die Sharing Economy werden die Verkehrsträger noch enger verbinden. Es wird eine engmaschige Mobilitätskette entstehen. Eisenbahn, öffentlicher Verkehr und selbstfahrende Fahrzeuge werden miteinander verknüpft. Das alles müssen wir im Auge behalten, wenn wir 2018 über die nächsten Bahn-Ausbauten entscheiden.

Wird Uber den öffentlichen Verkehr verdrängen?
Wird Uber den öffentlichen Verkehr verdrängen?
Bild: KEYSTONE

Ist es so sicher, dass sich die Verkehrsträger ergänzen? Es könnte auch sein, dass das Google-Auto und Uber-Taxis den öffentlichen Verkehr schlicht verdrängen werden.
Ich glaube an ein Nebeneinander, bei dem die Mobilitätsträger miteinander vernetzt werden. Die Herausforderung ist es, die Bahn dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken hat. Sie schaffen nirgends so viele Menschen in so kurzer Zeit so zuverlässig in eine grosse Stadt wie mit der Bahn. Die Bahn bleibt auch in Zukunft das Rückgrat des ÖV und wird eine wichtige Rolle spielen. Ausbauten auf der West-Ost-Achse, etwa zwischen Winterthur, Zürich und Aarau oder am Arc lémanique werden keine Fehlinvestitionen sein, auch auf viele Jahrzehnte hinaus.

Was, wenn man mit dem selbstfahrenden Auto nicht nur bis zum Bahnhof fährt, sondern bis ans Endziel?
Selbstfahrende Autos sind eine Chance für den öffentlichen Verkehr. Es hilft, die letzte Meile im ÖV zu überwinden und eine lückenlose Reisekette anzubieten. Angesichts der Engpässe auf den Strassen wird die Bedeutung der Bahn noch zunehmen und einen Intercity auf den Hauptachsen nicht so schnell verdrängen.

Werden die SBB zum Betreiber von automatischen Autoflotten?
Es ist auf lange Frist durchaus denkbar, dass die SBB – vielleicht auch in Kooperation mit anderen – sich da engagieren werden. Wir sind risikofähig, unsere Kunden vertrauen uns, und wir können grosse Systeme betreiben.

Sie haben betont, dass sich Investitionen in Bahn-Ausbauten immer noch lohnen. Trifft das nur auf die Agglomerationen zu oder auch auf Randregionen?
Dort, wo heute bereits Schwierigkeiten bestehen – bei Verkehrsangeboten mit niedrigem Kostendeckungsgrad –, wird man genau hinschauen müssen, in welche Verkehrsträger investiert wird. Das könnte auch einmal ein selbstfahrender Bus sein.

Wird also in den Randregionen oder in Zeiten, wo wenige Leute unterwegs sind, die Bahn öfter durch Busse ersetzt?
Im Zusammenhang mit unserem Fitnessprogramm RailFit20/30 wollen wir auch unsere langfristigen Angebotskonzepte überprüfen. Dort, wo heute Schienen verlegt sind, macht der Einsatz von Zügen weiterhin Sinn. Ich kann mir sehr gut vorstellen, zu Randzeiten, wenn wenig Kunden unterwegs sind, Busse – idealerweise selbstfahrende Busse – einzusetzen und den Zug in die Werkstätte zu bringen und zu unterhalten. Für den Kunden wäre das bequemer, und das Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich besser. Im Rahmen der Ausbauschritte 2030, bei denen es um neue Schienen und Angebote geht, wird man sich auch überlegen müssen, welche Verkehrsträger wo eingesetzt werden sollen.

Andreas Meyer
Andreas Meyer
Bild: KEYSTONE
Sportlicher Bähnler
Vom Sohn einer Bähnlerfamilie zum Bahnchef: Seit dem 1. Januar 2007 leitet Andreas Meyer die Geschicke der SBB. Der 54-jährige Rechtswissenschafter mit Anwaltspatent war davor fast zehn Jahre lang bei der Deutschen Bahn tätig, zuletzt als Leiter der Stadtverkehrssparte. Seine Karriere hatte Meyer bei der ABB und beim deutschen Anlagebauer Babcock Borsig gestartet. Der in Birsfelden BL geborene Meyer ist verheiratet und Vater dreier Kinder im Teenager-Alter. Mit seiner Familie lebt er in Muri bei Bern. Der passionierte Sportler ist mehrmals wöchentlich beim Joggen oder Biken anzutreffen, im Winter zieht es den Bahn-Chef auf Skitouren in die Berge.

Diese Woche haben Sie ihr Sparprogramm RailFit 20/30 angekündigt. 550 Millionen Franken sollen bis 2020 jährlich eingespart werden, und 900 Stellen sollen wegfallen. Wo genau?
Der Abbau wird dort stattfinden, wo ihn die Kunden nicht spüren: beispielsweise in Verwaltungs- und in Gemeinkostenbereichen. Wir werden aber auch Jobs aufbauen, etwa bei Lokführern oder im Unterhalt. Das Programm ist jetzt gestartet und bis im Sommer 2016 werden konkrete Massnahmen erarbeitet.

Wenn Sie wirklich 550 Millionen Franken jährlich sparen wollen, werden 900 Stellen bei weitem nicht reichen.
Wir wollen ja nicht nur über Stellen Kosten einsparen. Wir wollen die Kosten des Gesamtsystems betrachten, Doppelspurigkeiten reduzieren oder auch Kosten beim Einkauf einsparen.

Trotzdem: Wenn die SBB Kosten senken wollen, sind dies erfahrungsgemäss zu zwei Dritteln Personalkosten. Von den 550 Millionen werden also gut 350 Millionen das Personal treffen. Das würde nicht 900, sondern etwa 3000 Stellen entsprechen!
Wir legen in aller Transparenz das offen, was wir jetzt haben. Es gibt viele Bereiche, in denen auch in den Abläufen oder in der Lieferkette eingespart werden kann. Was bereits jetzt klar ist, dass mindestens 900 Stellen abgebaut werden. Ich rechne damit, dass wir dies über natürliche Abgänge auffangen können. Und es gibt bei uns ja ohnehin gemäss Gesamtarbeitsvertrag keine Entlassungen.

Mindestens – also womöglich viel mehr als 900 Stellen.
Mehr lässt sich im Moment dazu wirklich nicht sagen. Bitte spekulieren Sie nicht weiter.

Seit Ihrem Amtsantritt 2007 ist die zentrale Verwaltung von 740 auf 1500 Stellen angeschwollen, wie die «Schweiz am Sonntag» 2014 berechnet hat. Reduzieren Sie nun einfach den Wasserkopf wieder?
Das ist Polemik. Es geht doch um den Anteil der Verwaltungsstellen in allen Bereichen. Als ich bei den SBB angefangen habe, konnte man mir nicht einmal sagen, wie viele Leute in einer Finanzfunktion arbeiten. Wir haben für Transparenz gesorgt. Natürlich haben wir einzelne Funktionen auch aufgebaut und professionalisiert. Aber in Tat und Wahrheit stecken noch andere Sachverhalte dahinter. Einige Beispiele: Die vorher im ganzen Konzern verstreute Personalbetreuung und die Buchhaltung haben wir in Service-Centern zentralisiert. Das sind heute nur noch 200 Stellen. Vorher waren das ein Drittel mehr Personen, und die Leistung ist heute besser. Und in der IT machen wir mehr selbst und brauchen weniger externe Berater, darum wurden hier etwa 300 Stellen geschaffen. Zudem weisen wir nun alle Lehrlinge, über 2000, aus, was früher nicht der Fall war.

Sie haben Verwaltungspaläste aus dem Boden gestampft: hier den neuen Hauptsitz in Bern Wankdorf, ebenso ein grosses Gebäude in Zürich Altstetten. Sind das die richtigen Signale?
Hören Sie auf mit Palästen – wenn wir miteinander hier im SBB-Café das Interview führen. Das sind funktionale Gebäude, in denen gut zusammengearbeitet werden kann, ohne Luxus. In den Gebäuden arbeiten keine «Verwalter». Sondern beispielsweise Immobilienentwickler, Infrastruktur-Spezialisten oder Verkehrsplaner. Glauben Sie, wir könnten etwa eine Durchmesserlinie einfach so bauen? Es braucht sehr viele Leute, die Planungsarbeiten und Genehmigungsverfahren durchführen. Es braucht auch viele Leute hinter den Kulissen.

Warum brauchen Sie für das Sparprogramm eigentlich das Beratungsunternehmen McKinsey? Können das die SBB nicht selbst?
Wir wissen schon in etwa, wo der Schuh drückt, und das Projekt wird auch intern geführt. Wir haben beispielsweise bei der Infrastruktur oder bei den Werkstätten bereits umfangreiche Effizienzsteigerungsprogramme laufen. Aber ab und zu tut es gut, nicht nur von oben zu drücken, sondern auch von der Seite zu röntgen, um die Potenziale noch genauer zu erkennen. Und deshalb ziehen wir McKinsey bei, die uns unterstützend zur Seite steht.

«Es gibt viele Bereiche, in denen auch in den Abläufen oder in der Lieferkette eingespart werden kann. Was bereits jetzt klar ist, dass mindestens 900 Stellen abgebaut werden.»
Andreas Meyer

Wie viel kostet der McKinsey-Auftrag?
Wir haben eine grobe Vorstellung, die wir aber nicht kommunizieren.

Eine zweistellige Millionensumme dürfte das schon sein.
Auf gar keinen Fall. Ausserdem haben wir einen flexiblen Vertrag, wir können jederzeit aussteigen.

Jahrelang haben Sie das Kostenproblem dadurch gelöst, indem Sie die Tarife erhöht haben. Wie sind Sie zur plötzlichen Einsicht gelangt, dass die Preise nicht mehr steigen können?
Wenn ich sehe, was auf uns zukommt, ist für mich klar, dass irgendwann Alternativen da sein könnten, die günstiger sind als die Bahn. Unsere Kunden sind nicht bereit, laufend Preiserhöhungen hinzunehmen. Deshalb wollen wir möglichst moderate Preiserhöhungen oder ganz darauf verzichten. Das jetzt eingeläutete Sparprogramm zielt darauf ab, das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Kunden attraktiv zu halten, und bedeutet tatsächlich einen Paradigmenwechsel. Diesen können die SBB aber nicht allein vollziehen. Wir sind Teil des ganzen öffentlichen Verkehrssystems.

Eine Preiserhöhung scheint unausweichlich.
Eine Preiserhöhung scheint unausweichlich.
Bild: KEYSTONE

Als SBB-Kunde kann ich aber in den nächsten Jahren damit rechnen, dass es keine Preiserhöhungen gibt?
Wir setzten alles daran, künftige Preiserhöhungen moderat zu halten, die Preise gar zu stabilisieren. Und wenn es uns gelingt, die Systemkosten zu reduzieren und die heute mit 30 Prozent bescheidene Auslastung der Züge zu erhöhen, glaube ich immer noch an meinen Traum: Dass es eines Tages möglich sein wird, die Preise sogar zu senken.

Ein Traum, mehr nicht?
Ich gebe keine Versprechen ab. Auch nicht dasjenige, dass es künftig keine Preiserhöhungen mehr geben wird.

Ende dieses Jahres schlagen die SBB definitiv nicht auf. Aber ein Jahr später vielleicht doch wieder?
Das werden wir dann nächstes Jahr sehen. Der Bund erhöht auf diesen Zeitpunkt hin die Trasseepreise, also die Benützungsgebühren für die Schiene, um 100 Millionen Franken.

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Und diese Mehrkosten wollen Sie über Preiserhöhungen hereinholen?
Nochmals: Wir werden auch auf nächstes Jahrs hin alles tun, um Preiserhöhungen möglichst moderat zu halten.

Wir haben jetzt vornehmlich über den Personenverkehr gesprochen. Grösser sind die Probleme im Güterverkehr. Hat der noch eine Zukunft?
Die grössten Sorgen bereitet uns, dass viele Industrieunternehmen, die bei uns Kunden sind, ihre Produktion ins Ausland verlagern oder dies ins Auge fassen. Sind diese Transportmengen einmal weg, kommen sie nicht wieder zurück. Auch die Frankenstärke belastet das Ergebnis. Das stellt Cargo vor riesige Herausforderungen. Wir erwarten deshalb dieses Jahr bei Cargo einen Verlust von mindestens 30 Millionen Franken. Wir kämpfen dafür, wieder in die Gewinnzone zu kommen.

Wie sieht es für das gesamte Unternehmen dieses Jahr aus?
Der starke Franken wird uns um etwa 100 Millionen Franken ergebniswirksam belasten. Insgesamt dürften wir das Ergebnis aber etwa auf Vorjahresniveau halten können, weil wir frühzeitig gegengesteuert haben.

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