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Islam

Die Koran-Verteilaktion «Lies!» dient Dschihadisten als Forum

https://www.facebook.com/diewahrereligion/photos Lies Die wahre Religion
Anhänger des «Lies!»-Vereines verteilen gratis Korane in verschiedenen Ländern Europas – auch in der Schweiz.bild: facebook/diewahrereligion

«Es sind Menschenfänger» – wie der «Lies!»-Verein als Forum für Dschihadisten dient

01.10.2016, 14:1202.10.2016, 11:36
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Die Koran-Verteilaktion «Lies!» spielt bei der Radikalisierung von jungen Menschen in der Schweiz eine zentrale Rolle. Sie diene als Begegnungs- und Vernetzungsplattform, sagen Experten. Doch ähnlich wie die FIFA ist sie ein Verein – und rechtlich schwer zu belangen.

Fragt man bei Polizei, den Städten oder dem Nachrichtendienst nach der Rolle des Vereins «Lies!», erhält man äusserst knappe Antworten. «Dazu können wir uns nicht äussern», lautet die Standardauskunft. Gratis Korane an Passanten abzugeben, verstösst gegen kein Gesetz. Und doch taucht der Name des Vereins immer wieder auf – im Zusammenhang mit Werdegängen von Dschihadisten.

Gegründet wurde die Organisation in Deutschland, durch den Deutsch-Palästinenser Abou Nagie. Inzwischen hat sie in ganz Europa Ableger – auch in der Schweiz.

Abou Nagi ist ein salafistischer Prediger, der zusammen mit dem Konvertiten Pierre Vogel versucht, Kinder und Jugendliche zum salafistischen Islam zu bekehren.
Abou Nagi ist ein salafistischer Prediger, der zusammen mit dem Konvertiten Pierre Vogel versucht, Kinder und Jugendliche zum salafistischen Islam zu bekehren.bild: screenshot youtube

«Es sind Menschenfänger», an die man rechtlich nicht rankommt

Lothar Janssen hingegen nimmt kein Blatt vor den Mund. «Die Organisation ‹Lies!› spielt beim Einstieg in die Radikalisierung eine massgebliche Rolle», sagt der Präsident des Schweizerischen Instituts für Gewalteinschätzung. «Und zwar überall, wo sie auftritt.»

Lothar Janssen, Psychologe, Schweizerisches Institut für Gewalteinschätzung
Lothar Janssen ist sich sicher, dass von den «Lies!»-Vereinsmitgliedern eine grosse Gefahr ausgeht.Bild: zvg

Dies sei gesicherter Forschungsstand und unter Fachleuten unbestritten. «Sie verteilen zwar nett Korane», so Janssen. Aber es seien keine sehr netten Menschen. «Es sind Menschenfänger.»

Denn bei «Lies!» gehe es ganz klar um Salafismus, eine betont fundamentalistische Auslegung des sunnitischen Islams.

«Der Islamische Zentralrat und ‹Lies!› spannen eng zusammen. Sie bilden den Nährboden, um labile Leute zu radikalisieren.»
Lothar Janssen
President of the Islamic Central Council Switzerland (ICCS) Nicolas Blancho speaks to the media in Bern, Switzerland December 21, 2015. The Swiss attorney general has opened a criminal investigation o ...
Nicolas Blancho, der Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz, kurz IZRS. Der Verein vertritt einen salafistisch und wahhabitisch geprägten Islam. Er steht unter Beobachtung des Nachrichtendienstes des Bundes.Bild: RUBEN SPRICH/REUTERS

Doch rechtlich ist ihnen nichts anzuhaben. «Niemand kann sie angreifen, man hat keine Chance, sie zu verbieten», sagt Janssen. Sie gingen sehr geschickt vor und nutzten ganz legal die demokratischen Grundrechte. Es lasse sich nichts Unrechtliches nachweisen. Denn um sie zu belangen, müsste belegbar sein, dass sie zu Gewalt anstiften.

Die Organisation mit den Vorwürfen zu konfrontieren, ist schwierig. Zwar verfügt sie über einen Internetauftritt. Aber Anrufe an die angegebene Telefonnummer mit deutscher Vorwahl bleiben unbeantwortet. Für die Schweiz sind keine Kontaktangaben erhältlich.

«Lies!» als Vernetzungsplattform: Kontaktdaten für Dschihad-Reise

«Es wäre besser, diese Organisation zu verbieten», sagt der Westschweizer Journalist und Co-Autor eines Sachbuchs François Ruchti. Aber rechtlich sei dies sehr schwierig durchzusetzen.

Zusammen mit dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Jean-Paul Rouiller hat er die Werdegänge von zehn Schweizer Dschihadreisenden analysiert. Den Autoren fiel bei ihren Recherchen auf, dass viele Dschihadisten aus der Schweiz und aus Deutschland vor ihrer Reise nach Syrien oder in den Irak die Organisation frequentierten.

Das Werbevideo von «Lies!» – «Du möchtest zum Islam konvertieren?»

Innerhalb von «Lies!» gebe es zahlreiche Dschihad-Befürworter, erklärt Ruchti auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. «IS»-Sympathisanten könnten dort sehr einfach Leute kennenlernen, die ihnen die nötigen Informationen und Kontakte für eine Dschihad-Reise besorgen könnten. Die Organisation diene als Begegnungs- und Vernetzungsplattform.

Eine direkte Verbindung zwischen der Koran-Verteilaktion und dem «IS» oder anderen Terrororganisation habe jedoch noch nicht offiziell nachgewiesen werden können, sagt der Co-Autor des Buches «Le Djihad comme destin. La Suisse pour cible?».

Die Religionsfreiheit macht ein Verbot schwierig

Anders als beispielsweise in Hamburg, wo die Stadtregierung der «Lies!»-Aktion das Verteilen des Korans verboten hat, geschieht in der Schweiz vorerst offenbar nichts. Dies zeigt das Beispiel der Stadt Winterthur.

Am Freitag, 30. September, waren die «Lies!»-Mitglieder in Winterthur unterwegs, um den Koran an die Leute zu verteilen.
Am Freitag, 30. September, waren die «Lies!»-Mitglieder in Winterthur unterwegs, um den Koran an die Leute zu verteilen.bild: facebook/diewahrereligion

Im Februar liessen die Behörden eine zentrale Figur der Schweizer Salafistenszene verhaften – den mutmasslichen Gründer des «Lies!»-Ablegers in der Schweiz. Daraufhin kündigte die Stadt Winterthur an, ein Verbot der Koran-Verteilaktionen zu prüfen, wie sie Ende Juni mitteilte.

Doch Mitte September war der Stand noch derselbe, wie es auf Anfrage bei der Stadtpolizei Winterthur hiess. Es sei ein neues Gesuch eingegangen für die Bewilligung von neuen Standverteilaktionen in diesen Herbst, sagte die Sprecherin der Polizei.

Das Verbot werde nach wie vor geprüft. Das Thema sei aber «etwas zurückgestellt» worden. Das Gesuch werde voraussichtlich bewilligt – denn rechtlich gelte nach wie vor die Religionsfreiheit. Ob die Organisation der Polizei nicht ein Dorn im Auge sei? «Dazu können wir uns nicht äussern.»

Der Verein ist in allen grösseren Schweizer Städten aktiv. Er gibt die kostenlosen Korane ausser in Winterthur auch in Zürich, Basel, Bern und in der Romandie an Passanten ab. Wie viele Bücher bisher in der Schweiz verteilt wurden, ist nicht bekannt. In Deutschland sind es bereits mehr als eine Millionen Exemplare, wie es auf der Internetseite der Stiftung heisst. (rof/sda)

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lord_ICO
01.10.2016 16:23registriert März 2016
Ich folge lieber der Trink Bewegung😂
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Blutgruppe
01.10.2016 16:35registriert November 2014
Die Religionsfreiheit sollte dahingehend eingeschränkt werden, dass missionieren jeglicher Art und Weise für jegliche Religionen unter Strafe verboten ist.
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MaxHeiri
01.10.2016 20:17registriert März 2016
Für mich sind Salafisten auch Rechtsextreme. Darum verstehe ich nicht, wieso Autonome nicht ihre Stände zerlegen.
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