Nicolas ist 17. Sein Traum: Eine internationale Karriere als Schauspieler. Am liebsten eine Serienrolle bei Netflix. Egal was. Gerne auch schwierig. Und unbedingt böse. Christoph Waltz gefällt ihm gut, weil der so differenziert spielt. Oder weil er so böse spielt? Christoph Waltz hat schon zwei Oscars gewonnen. Am 26. Februar hat der Film von Nicolas grosse Chancen, auch einen zu gewinnen. Einen Oscar! Nicolas spielt nämlich im Kurzfilm «La femme et le TGV» von Timo von Gunten, er spielt da an der Seite von Film- und Chanson-Legende Jane Birkin.
Auf YouTube erklärt er seinen jungen Fans, wer Jane Birkin ist: «Die Paris Hilton der 60er- und 70er-Jahre.» Nun ja. Genauso gut könnte man die Queen mit Kim Kardashian vergleichen. Aber egal, er hat Jane Birkin kennen und verehren gelernt. Beim Dreh mit ihr war er 15.
Dass «La femme et le TGV» zu den Oscars darf, erfuhr er während des Mathe-Unterrichts am KV in Oerlikon. Er hatte sein Handy mit dem Livestream der Nominationen vor sich liegen, er rechnete nicht damit, aber dann stand der Film, der es zuerst aus einer Auswahl von 143 Kurzfilmen auf eine Shortlist mit 10 geschafft hatte, plötzlich da.
Vor «La femme et le TGV» hatte Nicolas eine Nebenrolle in «Amateur Teens», dem Schweizer Film über die drängenden Themen Gangbang, Rape Culture, Cyberbullying. Ein Pausenplatz-Porno mit einem kleinen Team aus blutjungen Schauspielerinnen und Schauspielern. Ein harter Film. «Die Frage ist doch: Ist das Thema hart oder ist es bloss Realität?», sagt Nicolas.
Seine Filmkollegin Annina Walt hatte in «Amateur Teens» eine Nacktszene. «Wenn du etwas nicht machst, kommt einfach ein anderer und tut es», sagt Nicolas ganz nüchtern. Nacktszenen machen ihm keine Angst. Pornografisches lehnt er ab. Sonst würde er körperlich «alles tun», denn eben, sonst kommt ein anderer.
«Amateur Teens» war sein erster richtiger Film. Davor hatte er in Werbespots gejobbt und als Model, hatte Schultheater gespielt und im komödiantischen «Dorfchränzli» in der Turnhalle von Rifferswil bei Mettmenstetten im Säuliamt: «In meinem Kaff leben mehr Kühe als Menschen.»
Dass er Schauspieler werden wollte, das wusste er schon seit seinem ersten Auftritt vor Publikum. Er legte sich sein ganzes, junges Leben für diesen Traum zurecht. Er plante. Er ist dabei sehr gründlich. Zuerst verliess er das Gymnasium und wechselte ins KV, weil er möglichst schnell eine abgeschlossene Berufsausbildung haben wollte. Das KV wird er mit einem Praktikum in London beenden und dabei gleichzeitig sein Englisch und seine Beziehungen im Filmbusiness perfektionieren. Und dann wandert er aus. Nach Amerika. Nicht nach Hollywood, wo alles viel zu teuer und viel zu «Hochglanz» ist, sondern nach Atlanta, denn «Netflix dreht dort».
Nicolas will nach Amerika, gerade weil er Schweizer ist. Weil er beweisen will, dass wir das auch können mit der Weltkarriere. Andere haben es schliesslich auch schon geschafft: Joel Basman, Carla Juri, Anatole Taubman, er will der nächste sein. Will gross denken, so, wie auch Timo von Gunten mit seiner Jane Birkin gross dachte.
Dass die Grösse seines Vorhabens mit Verzicht verbunden sein könnte, hat er auch schon eingeplant. Er rechnet mit «fünf, sechs Jahren Leerlauf. Aber besser, ich beginne jetzt schon damit, als erst mit 25.» Was ihn nervt wie nichts anderes sind Rich Kids. Die überprivilegierten Sprösslinge reicher und einflussreicher Leute, die für ihre Träume weder arbeiten noch verzichten müssen.
Einen Thriller hat er bereits abgedreht, in dem er einen Amokläufer spielt, eine deutsche Science-Fiction-Produktion wartet, ein «Jurassic Park»-Spin-off ist in Verhandlung. Nicolas macht das alles neben der Schule, «so lange die Noten stimmen, darf ich», sonst hiesse es: Abbruch der Übung. Von seinen vier jüngeren Geschwistern will eine Schwester ebenfalls Schauspielerin werden und ein Bruder Profigamer. «Das ist mindestens so verrückt wie mein Traum.»
Aber was spielt Nicolas eigentlich in dem oscarnominierten Kurzfilm? Einen «Sohn». Den Sohn eines TGV-Lokführers nämlich, der wiederum mit Jane Birkin eine eigentümliche Romanze unterhält: Der TGV brettert täglich an ihrem winzigen alten Häuschen vorbei, Birkin und der Lokführer lassen einander kleine Botschaften zukommen, sie verliebt sich, er denkt nicht im Traum daran und reist mit Frau und Sohn nach Frankreich. Leider sieht man Nicolas nur, wenn man in einer ganz bestimmten Szene angestrengt versucht, durchs Fenster eines anfahrenden Zuges zu blicken. Was heisst: Man sieht ihn einfach nicht.
Er macht das Beste draus. Leider wird bis zum 26. Februar kein Wunder mehr geschehen. Es gibt kein Ticket für Nicolas fürs Dolby Theatre in Hollywood, er wird nicht neben Jane Birkin, dem Regisseur und dem Produzenten über den roten Teppich gehen. Dabei kann er das so gut: Andern mit allem Nachdruck klar machen, dass er eine Chance verdient hat.