Im Mai 2016 reiste die afghanische Familie in die Schweiz ein, wo bereits einige enge Verwandte der Mutter wohnten. Die Familie reiste über Norwegen in die Schweiz. Bevor die Familie in der Schweiz einen Antrag auf Asyl stellte, tat sie dies bereits in Norwegen.
Das Bundesamt für Migration (SEM) lehnte daraufhin das Asylgesuch ab. Gemäss der Dublin-Verordnung ist Norwegen, wo sich die Familie als erstes gemeldet hat, für das Asylverfahren zuständig.
Weil sich die Mutter weigerte, die Schweiz freiwillig zu verlassen, verhaftete die Zuger Polizei daraufhin das Ehepaar am 3. Oktober 2016. Die Behörden hatten der Familie einen Umzug vom Durchgangszentrum in eine Wohnung vorgetäuscht, weshalb die Familie mit der vier Monate alten Tochter und den drei Kindern die Koffer bereits gepackt hatte.
Nach einer Nacht in einem Zuger Gefängnis wurden sie am folgenden Tag um vier Uhr morgens an den Flughafen Zürich gebracht, wo sie eine Linienmaschine nach Oslo nehmen sollten. Weil die Behörde der Familie nicht alle Identitätspapiere der Kinder aushändigte, weigerte sich der Vater das Flugzeug zu betreten.
Daraufhin brachte das Zuger Migrationsamt die beiden Eltern und ihr viermonatiges Kleinkind in zwei unterschiedlichen Administrativgefängnissen unter. Die Kinder wurden in Zusammenarbeit mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) fremdplatziert.
Das Bundesgericht hat nun, sieben Monate später, die Beschwerde der Flüchtlingsfamilie gutgeheissen. Die Zuger Behörden haben mit der Inhaftierung der Eltern und der Fremdplatzierung der Kinder eindeutig gegen das Recht auf Privat-und Familienleben (Art. 8 EMRK) verstossen, so das Bundesgericht.
Zudem habe die von der Familie erfahrene Behandlung gemäss Bundesgericht beinahe die Schwelle des in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgehaltenen Verbots der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung berührt.
«Die dreiwöchige Inhaftierung der Eltern und die Fremdplatzierung von drei ihrer Kinder, zeitweise begleitet von einer Kontaktsperre, war eindeutig widerrechtlich», sagte der Anwalt der Familie, Guido Ehrler, gegenüber Amnesty International.
Laut Denise Graf, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International hat das Bundesgericht «ein wegleitendes Urteil gefällt». Denn die Trennung der Kinder von den Eltern, ist gemäss Urteil des Bundesgerichts nur als «ultima ratio» rechtens, also dann wenn alle Alternativen – etwa eine gemeinsame Unterbringung in einer Wohnung – unmöglich seien.
Die Zuger Behörden hätten folglich die Familie nicht – oder nur nach gründlicher Evaluation aller anderen Möglichkeiten – trennen dürfen. Die Behörden hätten in diesem Fall aus humanitären Erwägungen auf das Asylgesuch eintreten können.
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug schreibt in einer Medienmitteilung vom Dienstag, dass das Wohlergehen der Kinder immer Priorität gehabt habe. Aufgrund des Verhaltens der afghanischen Familie und ihrer in der Schweiz wohnhaften Verwandtschaft, habe gemäss Direktion das Risiko des Untertauchens bestanden. Diesen Aspekt beleuchte das Bundesgericht in seinem Urteil nicht.
Wie die Behörde weiter ausführt, bestehe damit weiterhin die Frage, wie mit Familien umzugehen sei, wenn klare Anzeichen für ein Untertauchen vorhanden seien. In der Schweiz existierten keine Möglichkeiten für eine familiengerechte Unterbringung für den Fall einer Administrativhaft.
Die Familie aus Afghanistan wurde am 25. Oktober 2016 mit einem gecharterten Sonderflug nach Norwegen zurück geschafft. Ihre Beschwerde behandelte des Bundesgericht trotz mangelnder Aktualität, weil sich eine ähnliche Konstellation wieder ergeben könnte.(ohe/sda)