Diese Autofahrt von Niederbipp nach Würenlos wird ein Ehepaar aus dem Kanton Bern nie vergessen. Sie stritten heftig, während die Landschaft mit über 100 km/h an ihnen und der Tochter auf dem Rücksitz vorbeiflog.
Die Frau rastete im Raum Lenzburg völlig aus, schlug mit den Fäusten auf ihren Ehemann ein, kratzte ihn an der Backe. Das Auto scherte aus und kollidierte fast mit einem anderen Fahrzeug. Der Mann stoppt schliesslich auf dem Parkplatz der Autobahnraststätte Würenlos. Dort ging der Streit weiter.
Der Ehemann ist überzeugt: Seine Frau wollte ihn, sich selbst und die gemeinsame Tochter umbringen. «Das war ein vorsätzlicher Tötungsversuch, da bin ich mir zwischen 61 und 89 Prozent sicher», sagte er diese Woche vor dem Bezirksgericht Lenzburg – worauf Gerichtspräsident Daniel Aeschbach nachfragte, wie er auf diese Zahlen komme.
«Das ist so eine Schätzung, die Wahrscheinlichkeit liegt aber sicher über 50 Prozent.» Aeschbach hakte nach: «Wollen Sie, dass ihre Ex-Frau ins Gefängnis muss?» Der Mann antwortete kühl: «Das überlasse ich Ihnen.»
Das war der Punkt, als es seiner Ex-Frau zu viel wurde. Sie sass als Beschuldigte im Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr mehrfache grobe Verkehrsverletzung vor. Während ihr Ex-Mann seine Version der Geschichte erzählte, stand sie plötzlich auf. «Es ist unerträglich, ich gehe.» Gerichtspräsident Daniel Aeschbach hielt sie davon ab.
Massregeln musste er auch ihren früheren Ehemann, der immer wieder ungefragt sprach. «Es gibt noch eine gelbe Karte, bei der roten fliegen sie raus», sagte Daniel Aeschbach. Das wirkte: In der weiteren Verhandlung hob der Mann immer die Hand, wenn er etwas sagen wollte – was oft vorkam.
Die Frau gab vor Gericht zu, ihren Mann im Auto geschlagen zu haben. «Ich wollte aber niemanden gefährden», sagte sie. «Er hat mich auf der ganzen Fahrt vor meiner Tochter derart gedemütigt, dass ich rot sah.»
Der Fall wurde vor dem Lenzburger Bezirksgericht verhandelt, weil der Mann seine damalige Frau nach dem Vorfall angezeigt hatte. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau verurteilte sie zu einer Busse von 2400 Franken sowie einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 80 Franken, dies bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Die Strafbefehlsgebühr beläuft sich auf 1400 Franken. Die Frau erhob Einsprache gegen den Strafbefehl, der Fall landete deshalb vor Gericht. «Ich kann nicht so viel Geld zahlen», begründete sie ihre Einsprache. «Ich bin IV-Bezügerin und lebe unter dem Existenzminimum.» Lieber gehe sie hinter Gitter. «Die im Gefängnis haben es schöner als manche hier draussen.»
Ihr Ehemann akzeptierte den Strafbefehl gegen seine Frau ebenfalls nicht. Er ist überzeugt: Sie hat nicht nur Verkehrsregeln verletzt, sie wollte die Familie umbringen. «Sie hat mich extra in einen Streit verwickelt, damit sie auf mich losgehen konnte», sagte er vor Gericht – und forderte dann wie aus dem Nichts: «Ich stelle den Antrag, dass sie meinen Nachnamen nicht mehr trägt». Das sei der falsche Ort, antwortete der Gerichtspräsident. Die Ehefrau schüttelte den Kopf.
Daniel Aeschbach sprach die Frau wegen mehrfacher grober Verkehrsverletzung schuldig, reduzierte aber die Strafe auf 90 Tagessätze à 50 Franken; dies bei einer Probezeit von zwei Jahren. Entsprechend tiefer fiel mit 900 Franken die Busse aus.
Ein Grund ist die lange Verfahrensdauer, weil die Zuständigkeiten zwischen den Kantonen Bern und Aargau geregelt werden mussten. Die Frau muss ihrem Ex-Mann zudem 200 Franken Schadenersatz und Entschädigung für Aufwände zahlen. Er hatte 400 Franken gefordert.
Zum Schluss der Verhandlung hatten sich die Gemüter abgekühlt. Und die wiederholt mahnenden Worte von Daniel Aeschbach wirkten: Der Ehemann fragte den Gerichtspräsidenten etwas scheu: «Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen zum Abschied die Hand gebe?» (aargauerzeitung.ch)