Schweiz
Justiz

Eklat im Fall Adeline: Prozess vertagt – Eltern wollten nicht mehr aussagen

Eklat im Fall Adeline: Prozess vertagt – Eltern wollten nicht mehr aussagen

Die Ankündigung eins Unterbruchs der Gerichtsverhandlung zum Tötungsdelikt Adeline vor Genfer Kriminalgericht sorgt für Unmut. Für die Angehörigen des Opfers ist der Schritt schwierig zu ertragen. Sie wollen nicht mehr am Donnerstag aussagen.
06.10.2016, 09:3406.10.2016, 14:47
Mehr «Schweiz»

Der Prozess zum Tötungsdelikt Adeline wird für Monate ausgesetzt, um ein drittes psychiatrisches Gutachten einzuholen. Die Angehörigen der getöteten Sozialtherapeutin sagten wegen des Entscheids nicht mehr am Donnerstag aus.

Me Yann Arnold, gauche, et Me Leonardo Castro, droite, les avocats de Fabrice A. meurtrier presume d'Adeline, reviennent au palais de justice apres une suspension d'audience, lors l'ouv ...
Yann Arnold (links) und Leonardo Castro, die Anwälte des Angeklagten.Bild: KEYSTONE

Die Gerichtspräsidentin sorgte zu Beginn des vierten Prozesstages für einen Paukenschlag: Nach den Befragungen der Zeugen am Donnerstag solle die Gerichtsverhandlung ausgesetzt werden, bis ein drittes psychiatrisches Gutachten vorliegt, sagte sie um 9 Uhr.

Gutachten nicht berücksichtigt – nun muss ein neues her

Die Einschätzung der Experten spielt eine wichtige Rolle bei der Frage einer lebenslänglichen Verwahrung, die von Generalstaatsanwalt Olivier Jornot gefordert werden könnte. Dafür müssen zwei voneinander unabhängige Gutachten vorliegen.

Gegen das erste Gutachten von zwei Schweizer Psychiatern, die am Dienstag aussagten, äusserte das Gericht keine Vorbehalte. Sie sprachen von Tötungsfantasien, die der Angeklagte bereits vor dem Tötungsdelikt gehegt habe.

GERICHTSZEICHNUNG - Un dessin montre Les parents d'Adeline Esther, gauche, et Jean-Claude, droite, et Juan Poy, centre au fond, compagnon d'Adeline dans la salle d'audience du palais de ...
Adelines Eltern wollten am Donnerstag nicht mehr aussagen.Bild: KEYSTONE

Wie die beiden französischen Gutachter, die im Prozess am Mittwoch ausgesagt hatten, sahen sie ein hohes Risiko für eine Wiederholungstat in naher Zukunft. Am Donnerstag gab die Gerichtspräsidentin nun bekannt, dass das Gutachten der französischen Psychiater im Prozess nicht berücksichtigt werde.

Ein einziges Gespräch

Einer der beiden französischen Gutachter erhielt das Dossier zum Tötungsdelikt am 3. Juni 2015 und befragte den Angeklagten am gleichen Tag, ohne das Dossier zu Kenntnis zu nehmen. Dabei handelte es sich um das einzige Gespräch mit dem Angeklagten.

«Der Gutachter hatte keine Kenntnis von wichtigen Fakten», sagte die Gerichtspräsidentin. Die überraschende Ankündigung des Gerichts sorgte für Unmut. Die Familie werde erst aussagen, wenn der Prozess fortgesetzt werde, sagte ihr Anwalt Simon Ntah.

Er akzeptierte die Entscheidung des Gerichts, ein drittes Gutachten einzuholen. Auch der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot betonte, dass mit dem Entscheid die Trauer bei den Angehörigen verstärkt werde, wenn man ihnen sage, dass sie in sechs Monaten erneut antreten sollen.

Verteidigung gegen drittes Gutachten

Der Genfer Generalstaatsanwalt wusste davon, dass einer der Experten das Dossier erst am Tag der Befragung erhielt. Diese Methode habe ihn jedoch nicht gestört, sagte er. Ob auch das Gericht im Vorfeld davon wusste oder es erst während des Prozesses erfuhr, bleibt offen.

GERICHTSZEICHNUNG - Un dessin montre Fabrice A., meurtrier presume d'Adeline, entoure d'un policier debout sur le banc des accuses dans la salle d'audience du palais de justice lors de  ...
Die Gutachter halten Fabrice A. für gefährlich.Bild: KEYSTONE

Die Verteidigung stellte sich gegen die Einholung eines dritten Gutachtens. Das verletze das Beschleunigungsgebot, wonach Strafverfahren unverzüglich an die Hand genommen und ohne unbegründete Verzögerungen zum Abschluss geführt werden müssten.

Der Verteidiger Yann Arnold schlug dem Gericht vergeblich eine Ergänzung des Gutachtens der Franzosen vor. Nun müssen neue Gutachter gefunden werden, die mit dem 42-jährigen Angeklagten zuvor nie zu tun hatten, was alleine schon Zeit in Anspruch nehmen wird.

Vertrauen in Justiz nicht verloren

Danach müssen diese den Angeklagten befragen und ihr Gutachten verfassen, was Monate dauern dürfte. Die Eltern der getöteten Sozialtherapeutin sagten beim Verlassen des Gerichtsgebäudes, dass sie immer noch Vertrauen in die Justiz hätten.

«Dieser Unterbruch gibt Zeugen, die sich krank schreiben liessen, die Möglichkeit, doch noch vor Gericht zu erscheinen» sagte der Vater von Adeline. Er spielte damit auf die Abmeldung der ehemaligen Direktorin des Zentrums «La Pâquerette» an, die im Prozess als Zeugin hätte aussagen sollen.

Justiz
AbonnierenAbonnieren

In dem auf Resozialisierung spezialisierten Zentrum war der Angeklagte inhaftiert und die Sozialtherapeutin tätig gewesen. Der Vater des Opfers hofft zudem, dass bis zur Fortsetzung des Prozesses der lang ersehnte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vorliegt, welche die Entscheide im Strafvollzug unter die Lupe nimmt. Die Publikation des Berichts ist nach mehreren Verschiebungen für Januar 2017 vorgesehen.

(sda)

Aktuelle Polizeibilder: Mann greift Buschauffeur an und schlägt Scheiben ein

1 / 95
Aktuelle Polizeibilder: Lagergebäude durch Brand beschädigt
2.3.2020, Bremgarten (AG): Mehrere Feuerwehren rückten nach Bremgarten aus, nachdem ein Brand in einer Liegenschaft ausgebrochen war. Personen wurden keine verletzt. Die Kantonspolizei hat die Ermittlungen aufgenommen.
bild: kapo Aargau
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
7 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Mehrwegbechern
06.10.2016 10:16registriert Januar 2016
Echt jetzt? Bestehen wirklich noch Zweifel darüber, dass dieser Typ sagenhaft gestört und bösartig ist? Solcher Abschaum verdient IMO keine weiteren teuren Gutachten, sondern eine ungemütliche Zelle.

Von mir aus soll der Briefmarken ablecken, bis der Sensenmann kommt.
746
Melden
Zum Kommentar
7
Gesundheitskosten 2022 erneut stark gestiegen – das sind die 9 wichtigsten Grafiken
Im Jahr 2022 nahmen die Gesundheitskosten gegenüber dem Vorjahr um 2,5 Prozent zu. Dieser Anstieg fällt weniger stark aus als in den letzten fünf Jahren, dennoch betragen die Ausgaben erstmals über 90 Milliarden Franken.

2022 stiegen die Kosten des Gesundheitswesens im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Milliarden auf 91,5 Milliarden Franken an. Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandprodukt (BIP) zu laufenden Preisen verringerte sich gegenüber 2021 leicht von 12,0 Prozent auf 11,7 Prozent im Jahr 2022. Dies geht aus den neusten Zahlen der Statistik «Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens» des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervor.

Zur Story