Vor dem Start der neuen SRF-Sendung Arena/Reporter hagelt es Kritik. Zuerst wurde Moderator Jonas Projer bezichtigt, er habe Christa Rigozzi wegen ihres Sexappeals als TV-Partnerin an seine Seite geholt. Danach sickerte durch, dass in der ersten Sendung der KESB-Kritiker Christian Kast zu Gast sein wird, obwohl dieser als Neonazi gilt. Ob Projer letzteres gewusst hat, als er Kast in seine Sendung einlud, ist fraglich. Tatsache ist, dass der sonst als kompetent geltende Moderator in eine Falle getappt ist: Die Boulevard-Falle. Ein Lehrstück in fünf Akten.
Am Anfang steht die Polizeimeldung: Gesucht werden: Christian Kast, 46-jährig, 170 cm gross, kurze, braune Haare und Margie Kast, 29-jährig, 150 cm gross, mittlere Statur, dunkle, lange Haare. Sie stammt aus den Philippinen. Die ältere Tochter ist 6 Jahre alt, etwa 110 Zentimeter gross, hat lange schwarze gewellte Haare und trug beim Zeitpunkt des Verschwindens Leggins, einen gelben Rock und weisse Sandalen. Die jüngere Tochter ist 2-jährig, zirka 82 Zentimeter gross, hat schwarze mittellange Haare und trug zum Zeitpunkt des Verschwindens ein helles T-Shirt, blaue Leggins, weisse gemusterte Sandalen und einen violetten Sonnenhut.
Am Samstag wird Kast das letzte Mal gesehen, als er um 9 Uhr morgens seine Tochter und deren Halbschwester – die aus einer früheren Beziehung der Mutter stammt – bei ihrem Heimplatz abholt. Wie immer am Wochenende, will er mit ihnen den Tag verbringen. Doch am Nachmittag bringt er die Kinder nicht wieder zurück, sondern taucht mit ihnen und seiner Frau spurlos unter. Am Sonntag beginnt die Solothurner Kantonspolizei nach der vierköpfigen Familie zu fahnden. Kast, bis anhin ein unbeschriebenes Blatt, der ein mehr oder weniger ruhiges Leben in Sisslen (AG) führte, wird über Nacht schweizweit bekannt. Sein und das Gesicht seiner Frau und Kindern prangt in allen grossen Zeitungen. Sie schreiben: «In Solothurn wird eine ganze Familie vermisst.»
Gemutmasst wird, dass sich Kast mit Kind und Kegel ins Ausland abgesetzt hat, um vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) zu flüchten. Diese hatte den Eltern die Obhut über ihre zwei Kinder entzogen und sie in einem Heim platziert. Die Nachbarn des Paares werden interviewt. Sie sagen: «Es gab Probleme in der Familie. Die Mutter war überfordert mit den beiden Kindern.»
Am Montag, zwei Tage nach dem Untertauchen der Familie bestätigt sich, was viele vermutetet haben. Über Facebook meldet sich Kast und schreibt: «So, meine Kinder sind sicher vor der KESB. Habe sie auf die Philippinen gebracht und mit dem Wohnwagen eine falsche Fährte gelegt. Ich stelle mich jetzt der Polizei», schreibt er.
Den Medien, die ihn daraufhin kontaktieren, gibt er bereitwillig Auskunft. Im Detail erklärt er, wie er seiner Frau und den beiden Kindern zur Flucht verholfen hat. Dass er Rückflug-Tickets gebucht habe, um keinen Verdacht zu wecken und dass er seinen Wohnwagen an einer Tankstelle in Kloten geparkt habe, um die Behörden auf eine falsche Fährte zu locken.
Kasts Geschichte läuft schon bald auf allen Kanälen. An seinem Wohnort gibt er ein Interview nach dem anderen. Er erklärt, warum er seine Frau und die zwei Mädchen vor der KESB habe retten müssen. Die Behörde habe ihm die Kinder weggenommen. Seit bald einem Jahr schon seien die zwei Mädchen in einem Kinderheim untergebracht. Das Jüngere würde nachts aufwachen und nach der Mutter schreien. Zudem müsse er sich mit monatlich 2000 Franken an den Heimkosten beteiligen. Zum Obhutsentzug ist es gekommen, nachdem ein Nachbar eine Gefärdungsmeldung bei der KESB gemacht hat. Dies weil die Kinder oft alleine draussen gespielt hätten.
Dass die Flucht seiner Frau und den beiden Mädchen einer illegalen Entführung gleichkommt, weiss Kast. Er stellt sich der Polizei und wird in Gewahrsam genommen. Noch während er vernommen wird, fordern bereits die ersten Unterstützer auf den Sozialen Medien seine Freilassung. Auf Facebook bildet sich die Gruppe «Support für Christian Kast». Auch die Schriftstellerin und prominente KESB-Kritikerin Zoë Jenny tritt ihr bei.
Plötzlich wollen hunderte fremde Personen mit Kast auf Facebook befreundet sein. Sie danken ihm für sein Engagement und wünschen seiner Familie viel Glück. Ihm wird sogar Geld angeboten, damit er seine Schulden tilgen kann. Andere bieten ihre Hilfe an. Der Berner Anwalt und Lobbyist Patrik Kneubühl, der unter dem früheren Bundesrat Christoph Blocher den Rechtsdienst des Justizdepartements leitete, will Kast unentgeltlich in Rechtsfragen unterstützen.
Für die KESB-Gegner ist er ein Held. Als kleiner David hat er sich dem bösen Goliath gestellt und mutig gekämpft; Kast ist das perfekte neue Aushängeschild für den Kampf gegen die Behörden-Willkür. SVP-Nationalrat Pirmin Schwander kündigt eine nationale Volksinitiative zur Reformierung der KESB an.
Per Brief erkundigt sich die KESB, wo sich die Kinder befinden und wer sie betreut. Kast antwortet über Facebook: «Liebe KESB, die Adresse meiner Kids und ihre Betreuungsperson geht euch einen feuchten Dreck an. Zurück kommen meine Kids, wenn sie 18 sind.»
Weil Kast so freizügig mit seiner Privatsphäre umgeht, wird jedes neu gewonnene Detail über sein Leben medial ausgebreitet. Nach der ersten Euphorie beginnt das Bild des neu gewonnenen Publikumsliebling zu bröckeln.
Ständig habe es Streit gegeben. Die Kinder hätten oft gelitten. Vielleicht sei die KESB doch nicht an allem Schuld. Kast fragt sich, ob es ein Fehler war, seiner Frau die Flucht zu ermöglichen. Sie verlange nach Geld und beschimpfe ihn. Auch öffentlich. Auf Facebook schreibt sie: «Du bist nicht gut genug für mich. Ich möchte nicht mehr mit dir zusammen sein.»
Sieben Wochen nach seinem Geniestreich hat er genug vom Dasein als Robin-Hood der KESB-Kritiker. Er will sich von seiner Frau scheiden lassen und seine Tochter zurück in die Schweiz holen. Doch dafür müsste ihm die KESB das Sorgerecht übertragen. Gegenüber dem «Blick» sagt Kast, er wolle den Streit mit der Behörde mit einem Brief beilegen.
Auf Facebook lässt Kast die Öffentlichkeit am Rosenkrieg mit seiner Frau teilhaben. Er schreibt, er sei nun in «Christina B.» verliebt. Eine andere Frau mischt sich ein und beschuldigt Kast, ihren Sohn nach einer langen Nacht geschlagen zu haben. Kast schreibt: «Ich habe ihm eine betoniert, und ich stehe dazu. Denkt was ihr wollt.»
Ein letztes Mal in den Schlagzeilen ist Kast im Dezember 2015. Für die Festtage reist er auf die Philippinen. Nach fünf Monaten darf er seine Liebsten wieder in die Arme schliessen. Die Wogen mit seiner Frau scheinen geglättet, die Freude über das Wiedersehen ist gross.
Dann kehrt um die Familie Ruhe ein. Die Strafe von 150 Tagessätzen bedingt und eine Busse von 3000 Franken akzeptiert Kast ohne Widersprüche.
An der Seite von Ex-Miss Schweiz Christa Rigozzi wollte SRF-Moderator Jonas Projer mit seiner neuen Sendung «Arena/Reporter» einen fabulösen Start hinlegen. Kontrovers sollte das zu diskutierende Thema sein. Und emotional. Mit dem Dauerbrenner «KESB» war die perfekte Mischung für eine spannende Sendung gefunden. Der Fehler passierte bei der Besetzung der Protagonisten. Ausgerechnet Christian Kast wurde dafür aus der Versenkung gehoben. Ein Mann, der mit seinem Fall schon einmal für gute Einschaltquoten gesorgt hat und es jetzt wieder tun würde. Ein Mann, der Probleme bringt, ist das, was danach tatsächlich passiert ist.
Denn nicht zu Unrecht ist es still geworden um Kast. Immer mehr driftete er in den letzten Monaten und Jahren in politisch rechte Extreme ab. Der «Blick» schreibt, man habe die Berichterstattung über seinen Fall eingestellt. Auf Facebook drohte er damit, Schwarze zu erschiessen, sich selbst betitelte er als Rechtsextremen: «Noch mehr Volksverräter hier? Meldet euch, ein Nazi wartet.» Für Bundesrätin Simonetta Sommaruga forderte er Scharfrichter.
Zwar kontert Projer*, dass der Fall «Kast »im Dokumentarfilm sehr kritisch beleuchtet werde. Einem Nazi würde er niemals eine Plattform geben. Christian Kast hat inzwischen bekannt gegeben, sich von der Sendung zurückzuziehen.
*Bedauerlicherweise versäumte es die Redaktion, Jonas Projer um eine Stellungnahme zu diesem Artikel zu bitten. Projer legt Wert auf die Feststellung, dass er Kast nie als Gast in die Runde der Arena eingeladen habe. Dieser hätte auf einem anderen Platz im Studio sitzen sollen, um auf allfällige Fragen, die während der Sendung aufkommen, reagieren zu können. Im «Reporter»-Dokumentarfilm über die KESB gehe es genau darum, die Heldenfigur Kast auch kritisch zu hinterfragen. Dass Kast auch rechtsextreme Äusserungen von sich gebe, sei übrigens auch schon in früheren Medienberichten thematisiert worden. Dies habe aber dieselben Medien nicht davon abgehalten, Kast zur Heldenfigur zu erklären.