Seit dem 0:7 im Mini-Tischtennis gegen Sportchef Fehr habe ich mich nicht mehr so schlecht gefühlt. Absolute Hilflosigkeit, Ekel vor mir selbst, Ohnmachtsgefühle. Meine Freundin fühlte sich fast noch mieser: «Wenn ich gewusst hätte, dass ich so ende, hätte ich mich vor vier Jahren erschossen».
Es war eine Niederlage von epischem Ausmass. Wenigstens gab es auch eine Siegerin: unsere Tochter. Sie sass mit leuchtenden Augen und einem viel zu grossen Helm auf der Ursache des Übels, ihrem neuen Velo, einem «Frozen»-Velo. Ja. So weit ist es also gekommen. Wir haben unserer Tochter ein Disney-Velo made in China gekauft.
Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht gewehrt hätten, nicht gekämpft hätten. Vielleicht an diesem Tag nicht ganz so verbissen wie auch schon, aber gekämpft haben wir. Im Prinzip hat man als Eltern aber keine Chance.
Der Gegner befindet sich seit ewigen Zeiten im Kriegszustand. Er hat seine Taktik verfeinert, seine Angriffe präzisiert. Wir hingegen sind erst seit vier Jahren Eltern. Es ist wie bei der Schlacht bei den Thermopylen als sich Leonidas' bescheidene Truppe gegen Xerxes' riesiges Heer verteidigen musste. Die Niederlage war vorprogrammiert. Es ging beim Kampf nur noch darum, Würde zu bewahren.
Der Krieg gegen die schamlosen Verführer der Kinder ist ein Mehrfrontenkrieg. Spielzeug-, Klamotten-, Unterhaltungsprogramm- und Nahrungsmittelhersteller. Alle greifen gleichzeitig an. Täglich, stündlich, manchmal sogar im Sekundentakt.
Und dann sind da noch die Trojanischen Pferde, welche die elterlichen Positionen unterwandern. Meist repräsentiert von der Verwandtschaft. Sie meinen es gut. Aber «gut gemeint» ist ja bekanntlich das Gegenteil von gut.
Die momentan brachialsten Waffen des Gegners lauten Elsa und Anna. Sie sind die Protagonistinnen von «Frozen», einem Disney-Kinofilm, der 2013 auf den Markt kam, 1.3 Milliarden Dollar einspielte und eine Lawine an Merchandiseartikeln ausgelöste.
Im Januar 2016 belegte das Eismärchen hinter «Harry Potter», «Toy Story», «Cars» und «Star Wars» bereits den 5. Platz in Sachen erzielte Merchandise-Milliarden (5.3 Milliarden). Und das mit nur gerade einem Film. Schätzungen gehen davon aus, dass «Frozen» mittlerweile bereits auf Rang zwei vorgedrungen ist.
Von alledem hat unsere Tochter natürlich keine Ahnung. Überhaupt hält sich ihre Ahnung von «Frozen» in überschaubaren Grenzen. Sie hat den Film nie gesehen. Nicht eine Sekunde davon. Ihre Kenntnis beschränkt sich auf die Namen der Protagonisten: «Dä Christoff findi schön», sagte sie kürzlich und bevor ich begriff, lief vor meinem geistigen Auge ein ganz anderer (Horror-)Film ab.
So läuft das heute. Zuerst die Merchandise-Flut, dann der Film. Die Kinder werden infiziert, ohne dass sie es bemerken, in der Krippe, im Kindergarten, bei Verwandten oder auf dem Spielplatz. Von dort bringen sie es nach Hause und die wahren Leidtragenden sind die Eltern. «Frozen» ist eigentlich nichts anderes als eine Magendarm-Grippe.
Natürlich muss man sich dem nicht fügen. Selbstverständlich gibt es Alternativen und ja, in vielerlei Hinsicht sind wir konsequente Eltern mit einer manchmal recht harten Linie.
Der Krieg gegen die schamlosen Verführer der Kinder ist aber eben auch ein Abnützungskrieg. Totaler Sisyphos. Gelingt ein Teilsieg in der Spielwarenabteilung, wartet bereits die nächste Schlacht an der Kasse. Wer nur eine Sekunde nicht aufpasst wird Opfer eines Hinterhalts – manchmal reicht ein unvorsichtiges Abbiegen im Kaufhaus. Und dann bleibt nur noch die Wahl zwischen Kapitulation oder Terror.
Der Krieg gegen die schamlosen Verführer der Kinder ist ein Stellvertreterkrieg. Denn unser eigentlicher Feind betritt das Schlachtfeld nie. Im Gegenteil. Er liefert nur die Munition – in der Regel made in China. 30'000 Hersteller produzieren dort Disney-Produkte. Laut China Labour Watch, das nur ganz wenige Fabriken besuchen konnte, sind die Verhältnisse sogar für dortige Verhältnisse zum Teil katastrophal.
Der Krieg gegen die schamlosen Verführer der Kindes ist aber vor allem ein persönlicher Krieg. Die Prinzipien meiner Freundin und mir gegen die leuchtenden Augen meiner Tochter, die sich in Sekundenbruchteilen mit Tränen füllen können.
Man mag uns verzeihen, wenn wir manchmal einknicken. Wenigstens hin und wieder. Denn meine Tochter ist erst vier Jahre alt – und wir sind bereits jetzt schon sehr, sehr kriegsmüde.