Dies ist der 2. Januar. In Zürich arbeitet niemand. Fast niemand. Nur ein paar Menschen im Fernsehen. Und in der watson-Redaktion ungefähr vier Stück. Mindestens zwei davon sind vom Sport. Zwischen dem Fernsehen und watson gibt es heute keine Verständigung. Sonst hätte watson nämlich nicht vergessen, dass das Fernsehen heute seinen Thementag «Blackout» macht. Gut, vielleicht hat es watson auch einfach nicht interessiert.
Doch dann sehen die zwei, die nicht vom Sport sind: Mist, der «Blackout»-Seich trendet auf Twitter! Nicht so wie eine «Tatort»-Folge natürlich. Nicht mit 33 neuen Tweets pro Sekunde. Aber so mit 5 pro Minute. Das ist für die Schweiz, wo gefühlte 27 Menschen überhaupt wissen, was Twitter ist, beinahe sowas wie ein Rekord. Hilfe, wir müssen handeln! Und deshalb seid ihr jetzt hier, liebe Freundinnen und Freunde der tadellosen Strom- und Netzversorgung. Mitten drin in meinem etwa dreistündigen Experiment «Wir schauen ‹Blackout›».
Ich schwöre, ich gebe mir Mühe. Ich schaue mir mehrere Sequenzen der Dokufiction «Blackout» an. Der Vorspann ist sehr schön! Fast könnte er eine skandinavische Krimiserie einleiten! Schauspieler und prominente SRF-Menschen (okay, vor allem Franz Fischlin, also eigentlich nur Franz Fischlin) spielen einen mehrtägigen Stromausfall in ganz Europa.
So verpulvert unser Staatstv das Geld... Absoluter Nonsens. Und politische Penetration des Volkes. #nobillag #srfblackout https://t.co/4rTJWyv772
— Hugo Wenger (@hugowenger) 2. Januar 2017
Top Dok 👍 💯Billag-Gebühren endlich mal gut investiert #filmpreis #moviemaking #🎥#blackout #srfblackout @SRF
— Gloeggner (@gloeggner) 2. Januar 2017
#srfblackout #sooschlächt schade gabs heute keinen blackout! Chömers #Kaminfüür zrugg ha?
— Matthias Gautschi (@magautschi) 2. Januar 2017
Die Dokufiction ist jetzt kein filmisches Meisterwerk, man hätte das auch einfach Michael Steiner geben können, er hätte einen ausgezeichneten Film im Stil von «Grounding» gemacht, und es hätte 63 Tweets pro Zehntelssekunde abgesetzt. Aber egal.
Ich lerne: Die Schweizer Bevölkerung, also nicht die wichtigen Fachmenschen an essentiellen Schaltstellen, sondern die ganz normalen Leute, sind entweder schwanger, alt oder süchtig. Logischerweise macht ihnen der Stromausfall grosse Sorgen, doch zum Glück besitzen sie Tablets mit Akkus, die drei Tage lang nonstop halten. Es müssen sowas wie die Harry Potters unter den Akkus sein. Wo kann man die kaufen? Eine Schwangere muss aus einem stehen gebliebenen Lift befreit werden.
Unterdessen lassen sich ausserhalb der Dokufiction, in der richtigen Welt des 2. Januars, die SRF-Moderatorin Kathrin Hönegger und der Psychoanalytiker Peter Schneider in einem Lift einsperren. Sie muss aufs WC. Er hat Hilfsmittel dabei.
Abwarten und Tee trinken, wie sich das mit @khoenegger und @PSPresseschau entwickelt. Gruss aus der #srfrundschau-Redaktion. #srfblackout pic.twitter.com/ygyhDuWJX1
— Sandro Brotz (@SandroBrotz) 2. Januar 2017
Kein Alkohol ist auch keine Lösung. Meint @PSPresseschau. Und spricht mir nichts dir nichts von Mittelstrahlurin. #srfblackout pic.twitter.com/hn6C6moweS
— SRF 3 (@srf3) 2. Januar 2017
Machen die das jetzt? Leider ist es live, leider kann man das nicht zurückspulen. Was genau ist die Flüssigkeit im Becher, die Frau Hönegger kurz vor 17 Uhr trinkt???
Okay, back to Blackout, der Dokufiction. Das Fiese ist: Rechts vom Bildschirm empfiehlt mir SRF Videos, die ich alle viel lieber schauen möchte. Sie heissen: «Weiblicher Sex-Tourismus», «Zucker – das moderne Gift», «So sieht ein Tattoo auch nach Jahrzehnten noch schön aus», «Nacktfestival: Die Meinungen gehen auseinander» und «Stefanie Heinzmann lüftet ihr düsteres Tattoo-Geheimnis».
Hmmm, nur mal schnell ein bisschen Tattoos schauen ... Stefanie Heinzmann ist wirklich eine Menschin mit Abgründen, Grundgütiger! Als Teenie träumte sie von Amputation und liess sich einen riesigen einbeinigen Talisman auf die Rippen tätowieren. Der alte Mann mit den Tattoos «nach Jahrzehnten» ist da konventioneller. Er mag's eher schön mit Fischen und Frauen.
Frau Hönegger will aufs WC, aha. Dann hat sie also noch nicht ... «In Frankreich will jetzt eine Frau einen Roboter heiraten», sagt Peter Schneider. «Medium shit», sagt Frau Hönegger und hat Schiss, dass ihr Blinddarm kaputt ist.
In der Dokufiction zeigen sie Tiere und ihre Probleme. Sie sind wirklich gross. Eigentlich die grössten, die es zu sehen gibt. Kühe müssen notgeschlachtet werden, weil die Melkmaschinen nicht mehr laufen. Im Zoo frieren die Tiere aus warmen Ländern, draussen ist es enorm kalt. Mona Vetsch warnt die Autofahrer im Radio vor Glatteis.
Rechts von der Dokufiction locken noch immer die Sex-Touristinnen ... Nur ein bisschen! Schwedinnen und Japanerinnen verlustieren sich auf Bali ... Es ist warm dort. Die Menschen sind tätowiert oder auch nicht ...
In der Dokufiction ist der Strom wieder da, aber Franz Fischlin sagt, es sei naiv, zu glauben, dass jetzt alles wieder so sei wie früher. Ich merke, wie ich Franz Fischlin alles glaube. Besonders, dass er sich nach mehreren Tagen Durcharbeiten auf ein «neus Hömmli» freut. Fernsehen ist eine Macht.
Frau Hönegger und Herr Schneider liegen jetzt Kopf an Kopf nebeneinander im Lift. Sie muss immer noch aufs WC. Er ein bisschen. Er: «Ich sehe was, was du nicht siehst und das leuchtet gelblich.» Sie: «Meine Blase.» Er: «Eher geht der Krug zum Brunnen als dass deine Blase platzt.» Dann zitiert er «Macbeth» und erfüllt seinen Bildungsauftrag. Und wir verabschieden uns hiermit von der temporären «Blackout»-Berichterstattung.
Der Thementag «Blackout» geht jetzt noch bis 22 Uhr weiter.
Diese Sendung war definitiv gar nicht so schlecht! Und: Twitter wird von den meisten komplett überbewertet!
Wer Ereignisse nur nach twitter bewertet, steht einfach am falschen Platz