Schweiz
Kunst

Die «Daily Mail» macht Milo Rau in Zürich zum Skandal

Schauspielhaus Zürich, Milo Rau, «Die 120 Tage von Sodom»
«Unglaublich verdorben!», schreibt die «Daily Mail» unter die Bilder zu «Die 120 Tage von Sodom» am Zürcher Schauspielhaus.Bild: Toni Suter / T+T Fotografie

Verrückt, Zürich hat einen Skandal, von dem nur die englische «Daily Mail» weiss

Manchmal braucht man echt die ausländischen Medien, um zu wissen, was in der eigenen Stadt los ist. Besonders in diesem Schweinestall namens Schauspielhaus.
15.02.2017, 12:34
Simone Meier
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Wow! Am Zürcher Schauspielhaus läuft gerade das grusigste, perverseste, missbräuchlichste Theaterstück der Welt, aller Zeiten und überhaupt! Seltsam nur, dass bei uns davon so gar nichts wahrzunehmen ist. Demonstrieren Menschen vor dem Schiffbau? Nein. Laufen Behindertenverbände Sturm? Kein bisschen. Verlangt die SVP nach Subventionskürzungen? Nicht einmal das.

Ganz anders sieht das jedoch die britische «Daily Mail». Sie kennt zwar Milo Raus Inszenierung «Die 120 Tage von Sodom» mit Mitgliedern des Behindertentheaters Hora nur von Bildern und aus «lokalen Medien», aber das hindert sie nicht daran, sich mit dem Furor der Empörten darüber auszubreiten (und in der Printausgabe übrigens auf der gleichen Seite «30 fette Katzen, die dein Herz zum Schmelzen bringen» abzudrucken, wie eine Userin meldet). Es ist sehr lustig. Wir haben für euch den ganzen Text aus der «Daily Mail» übersetzt.

Ist dies die geschmackloseste Produktion aller Zeiten? Ein Schweizer Theater inszeniert ein Stück des Marquis de Sade, in dem Schauspieler mit Down-Syndrom wie Hunde angekettet sind, Orgien simulieren und so tun, als würden sie Exkremente essen. Das kontroverse Stück basiert auf einem einst verbotenen Buch des Marquis de Sade.

«Ich frag mich, für wen diese Menschen bei den letzten Wahlen stimmten.»
Total zufälliger User-Kommentar zu Milo Rau in der «Daily Mail».
Schauspielhaus Zürich, Milo Rau, «Die 120 Tage von Sodom»
«Widerwärtige Begebenheiten», weiss die «Daily Mail» ganz genau.Bild: Toni Suter / T+T Fotografie

Das Buch, «Die 120 Tage von Sodom», erzählt die Geschichte von vier reichen Wüstlingen.
Milo Rau verteidigt sein Stück, indem er Kritiker «engstirnige Zyniker» nennt.
Davor hat er ein Stück über einen belgischen Kinderschänder inszeniert.

«Die Apokalypse kann gar nicht schnell genug kommen. Der Westen erstickt an überfinanziertem menschlichen Dreck und braucht die grosse Reinigung, die nur Armageddon zu leisten vermag.»
Dieser User-Kommentar zeugt von einem echt gesunden Menschenverstand.

Ein Stück, in dem Schauspieler mit Down-Syndrom geschlagen, gefoltert und dazu gezwungen werden, Exkremente zu essen und Sexorgien zu spielen, hat in der Schweizer Stadt Zürich einen Sturm entfesselt. Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau, 40, ist kein Unbekannter, wenn es darum geht, seine Produktionen mit Skandalen zu umgeben. Er wurde schon von einer deutschen Wochenzeitung als «umstrittenster Regisseur seiner Generation» bezeichnet und brauchte Kinder, um die entsetzlichen Verbrechen des belgischen Pädophilen und Mörders Marc Dutroux in seinem Stück «Five Easy Pieces» nachzuspielen.

«Seltsam und verstörend, aber es gibt täglich seltsame und verstörende Stücke. Wieso sollten Menschen mit Down-Syndrom nicht genauso darin mitspielen dürfen wie Menschen ohne?»
Bravo für diesen toleranten User-Kommentar!
Schauspielhaus Zürich, Milo Rau, «Die 120 Tage von Sodom»
«Entsetzliche Produktion!» Die «Daily Mail» war mit eigenen Augen nicht dabei.Bild: Toni Suter / T+T Fotografie

Auch in seiner neuen, skandalösen Arbeit «Die 120 Tage von Sodom» geht Rau an die Grenzen dessen, was gesellschaftlich zulässig ist. Sein Stück basiert auf dem Film «Salo», einem italienisch-französischen Horror-Kunst-Film von 1975, der seinerseits das Buch «Die 120 Tage von Sodom» des Marquis de Sade als Grundlage hat. Das Buch war in England einst verboten, nachdem es als einer der sexuell gewalttätigsten Texte, die je geschrieben worden waren, beschimpft worden war.

Ach ja, die «Daily Mail» ist übrigens so schlecht, dass sich wikipedia jetzt weigert, ihre Artikel als verlässliche Informations-Quellen zu akzeptieren. Im Gegensatz etwa zu watson.
watson.

Es erzählt die Geschichte von vier reichen männlichen Wüstlingen, die sich mit einem Harem aus 46 Opfern in einem Schloss einbunkern, was – nach grauenvollen Sexszenen – in einer Schlächterei endet. Sade beschrieb sein Werk als «die schmutzigste Geschichte, die seit der Entstehung der Welt erzählt wurde».

«Die Welt wird bald brennen ...»
Eh klar. User-Kommentar.
Schauspielhaus Zürich, Milo Rau, «Die 120 Tage von Sodom»
«Milo Rau rief Empörung hervor.» Die «Daily Mail» weiss Dinge, von denen in Zürich kein Mensch gehört hat.Bild: Toni Suter / T+T Fotografie

Rau erntete Stirnrunzeln, weil er geistig behinderte Ensemble-Mitglieder auf der Bühne Sexszenen simulieren lässt. Laut lokalen Medien kann man sehen, wie die Schauspieler mit Down-Syndrom wie Hunde geschlagen, erniedrigt, gefoltert und dazu gezwungen werden, so zu tun, als würden sie Exkremente essen, während sie gekreuzigt werden.

Laut Rau ist das Stück «eine Metapher für die Schändungsrituale des zeitgenössischen Populismus'». Der preisgekrönte Regisseur verteidigt den Einsatz von elf behinderten Schauspielern: «Wenn du ein Thema behandelst, das ganz sicher jemanden betrifft, solltest du es nicht vermeiden.» Rau erklärte, dass er die engstirnigen Zyniker dieser Welt treffen wollte.

«Ganz klar eine Allegorie auf unsere Brexit-Abstimmung.»
Genau, was könnte ein Zürcher Theaterstück auch anderes sein, lieber «Daily Mail»-User.

Weitere Bilder aus der Aufführung

1 / 11
theater hora «120 tage» milo rau
Ist Milo Rau der grösste Grüselregisseur aller Zeiten?
quelle: keystone / gaetan bally
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Er sagte, seine Schauspieler seien «die letzte Generation Behinderter, die überhaupt noch geboren werden». Er deutete darauf hin, dass die «Kleinbürger» Menschen mit Down-Syndrom ermutigen, ein Teil der Gesellschaft zu sein, aber gleichzeitig jenen eine Abtreibung empfehlen, deren Föten davon betroffen sind. Eine empörte Person schrieb: «Für derart perversen Sch**** gibt es immer noch Fördergelder, weil es angeblich Kunst ist. Dabei beweist es nur, wie krank unsere Gesellschaft geworden ist.»

Hier gehts zum Originaltext in der «Daily Mail».

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
34 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Majoras Maske
15.02.2017 13:52registriert Dezember 2016
Ich sehe den Skandal nicht. Die Schauspieler machen das freiwillig und haben ein Recht darauf, ernst genommen zu werden. Der Inhalt des Stückes trifft nicht unbedingt meinen Geschmack, aber das muss es ja auch nicht.
Ausserdem reflektieren wir dadurch ja unseren Umgang mit Menschen mit dem Down-Syndrom und das ist gut so.
9410
Melden
Zum Kommentar
avatar
Philipp Dahm
15.02.2017 13:31registriert Januar 2014
Fun Fact: Wikipedia akzeptiert Daily-Mail-Artikel nicht mehr als seriöse Quelle ... Warum nur???
647
Melden
Zum Kommentar
avatar
Toerpe Zwerg
15.02.2017 17:22registriert Februar 2014
Der einzige Skandal ist, dass man darüber diskutiert, ob man ein solches Stück mit Menschen mit Down-Syndrom inszenieren darf.
582
Melden
Zum Kommentar
34
Blick auf aktuelle Gesundheitskosten zeigt: Krankenkassenprämien steigen 2025 wohl erneut
Kaum ist der Krankenkassenschock aus dem letzten Jahr verdaut, kommt schon die nächste Hiobsbotschaft: Auch 2025 werden die Prämien wohl wieder steigen. Das zeigt eine Gesundheitskosten-Übersicht für das laufende Jahr.

Die hohen Krankenkassenprämien machen gemäss dem neusten Sorgenbarometer den Schweizerinnen und Schweizer derzeit am meisten zu schaffen. Im letzten Jahr stiegen sie im landesweiten Durchschnitt um 8,7 Prozent auf 359 Franken pro Monat an.

Zur Story