Drei Helikopter kreisen über dem Letzigrund. Vor dem Zürcher Stadion warten Tausende Leute. Jede und jeder wird einzeln abgetastet. Viele müssen zweimal anstehen. Wer eine Tasche mit sich trägt, die grösser als ein A5-Blatt ist, wird von den Türstehern weggewiesen. Viele reagieren überrascht. Nach den Terroranschlägen in Manchester und London wurden die Sicherheitsmassnahmen kurzfristig erhöht. Für die verbotenen Gegenstände stehen hinter dem Stadion Schliessfächer bereit. Während die ersten Akkorde der Vorband von Guns n’ Roses nach draussen dröhnen, bildet sich hier eine weitere Schlange.
Patricia (27) steht an, um ihre Handtasche abzugeben, in der sie nur ihren Schlüssel und ihr Portemonnaie aufbewahrt. Die Tasche ist ein paar Millimeter breiter als ein A5-Blatt. Sie ärgert sich: «Das ist doch völlig unverhältnismässig. Ich will zwar auch nicht, dass wir heute Abend alle in die Luft gehen. Aber deswegen muss man mir nicht eine leere Handtasche wegnehmen.»
Sweet Child O' Zurich!@Slash @DuffMcKagan @gunsnroses #NotInThisLifetimeTour pic.twitter.com/fn9WgEouHh
— del james (@deljamesgang) June 7, 2017
Daniel (40) trägt sein Portemonnaie an einer kleinen Metallkette, damit sie in der Menge nicht unbemerkt gestohlen wird. Nach 20-minütigem Anstehen wird ihm mitgeteilt, dass die Kette ein gefährlicher Gegenstand ist. Er sagt: «Das ist ein Witz. Die Kette ist zu meinem Schutz da. Damit kann ich niemanden erschlagen.»
Daniela (29) steht bereits zum dritten Mal Schlange. Zuerst vor dem Eingang. Dann mit ihrer Tasche vor den Schliessfächern. Und nun vor dem Bierstand, um einen Zweifränkler für das Schliessfach zu wechseln. Sie ist genervt: «Das verdirbt mir die Freude am Konzert.»
Die Terroristen erreichen ihr Ziel erst, wenn sie unseren Lebensstil beeinträchtigen. Das sagt man nach jedem Anschlag. Wenn das Leben in einer Stadt nach der Explosion, nach der Messerattacke oder nach der Amokfahrt weiter geht wie bisher, wertet man dies nicht als Zeichen der Gleichgültigkeit, sondern der Stärke. Man lasse sich vom Terror nicht unterkriegen, heisst es dann.
Dabei haben die «IS»-Terroristen ein Ziel längst erreicht. Sie verändern den Lebensstil in der Schweiz, obwohl sie hier bisher keinen Anschlag verübt haben. Die Bombe am Konzert von Ariana Grande in Manchester hat eine psychologische Druckwelle ausgelöst, die bis in den Letzigrund reicht.
Marek Lieberberg ist Chef der Konzertagentur Live Nation, welche die Guns-n’-Roses-Tour organisiert. In Deutschland machte er als Organisator des Festivals Rock am Ring Schlagzeilen, das wegen eines Terroralarms geräumt werden musste. Er enervierte sich, dass die Polizei bei Konzerten rigoroser eingreife als bei Fussballspielen. Inzwischen hat er seine Rolle gewechselt. Er verteidigt auf Anfrage das Sicherheitsregime in Zürich. Er begründet es mit «einer latenten Gefährdungslage, die für alle Bereiche des öffentlichen Lebens in Westeuropa gilt». Er nennt auch eine kaum sichtbare Massnahme im Letzigrund: «Das Umfeld der Veranstaltungsstätte wird mit sogenannten Spottern und Profilern in Augenschein genommen, von der Ankunft der Anlagen bis zu deren Abtransport.»
Die Reaktion auf die «Gefährdungslage» produziert allerdings neue Gefährdungen. Ein Teil des Sicherheitsproblems wird aus dem Stadioninnern in den Aussenbereich verlagert. Das zeigte sich bereits vor einer Woche vor dem Zürcher Hallenstadion, wo die Metal-Gruppe System of a Down vor rund 13'000 Leuten spielte. Es waren die ersten Schweizer Musikfans, die von den Anti-Terror-Massnahmen betroffen waren. Wie vor dem Letzigrund, in dem 50'000 Leute Platz haben, stauten sich vor den Eingangskontrollen Tausende Menschen. Direkt nebenan zirkuliert der Strassenverkehr. Manche Besucher beschlich ein mulmiges Gefühl. Wenn nun tatsächlich von einer Terror-Gefahr auszugehen ist, wäre die Menge vor dem Stadion das einfachste Ziel. Bei den Anschlägen vor dem Fussballstadion in Paris detonierten die Bomben im Aussenbereich.
Beim Hallenstadion-Konzert kam es aus einem weiteren Grund zu brenzligen Szenen. Bei den ersten Konzertklängen wurden die Wartenden unruhig. Es entstand ein Gedränge. Sarah (30) bekam Platzangst: «Ich kriegte fast keine Luft mehr. Zum Glück ist in diesem Moment niemand gestürzt. Ich weiss nicht, was dann passiert wäre.» (aargauerzeitung.ch)
Ausserdem wurden die neuen Sicherheitsvorkehrungen im Voraus mitgeteilt.