Zwischen langen Gabelzinken steckt ein Stücklein Brot. Eine grobe Hand taucht das Ganze in eine sämige Käsemasse. Sie gehört einem Senn, der in der Einsamkeit mit seinen armseligen Nahrungsmitteln ein bisschen herum experimentierte.
So oder so ähnlich will man das Fondue erfunden wissen. Von armen Hirten, die auf ihrer Alp die Idee mit dem geschmolzenen Käse entwickelten. Nur ist das ein Mythos, hübsch eingebettet zwischen die Berge, wo alles Helvetische seinen vermeintlichen Ursprung hat.
Niemand weiss, wo genau das Fondue herkam. Aber sein Weg bis zur Etablierung als Nationalspeise war lang – und hat viel mit einer schlauen Werbekampagne zu tun.
Homer beschreibt in seiner« Ilias» bereits ein Gericht, das in die Nähe unseres Fondues kommt: Auf eine Bronzetafel wurde Ziegenkäse gerieben, Wein und Weissmehl beigemischt, und dann schmolz man das Ganze auf offenem Feuer. Womöglich nicht gerade ein Hochgenuss, aber was mochte vor ungefähr 2'800 Jahren schon ein Hochgenuss sein.
Gleich geht's weiter mit der Geschichte des flüssigen Käses, vorher ein Hinweis:
Und zurück zur Fondue-Forschung.
Die erste Erwähnung in der Schweiz findet das Fondue alias «Käss mit Wein» im Kochbuch von Anna Margaretha Gessner. 1699 – also rund 2'500 Jahre nach dem alten Homer – widmet die Zürcherin dem geschmolzenen Käse-Gericht folgende Zeilen:
Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau schrieb 1768 an seinen Freund François Coindet:
Das Fondue war also in den Schweizer Städten des 18. Jahrhunderts bekannt. Und wer weiss, vielleicht ist es auch hier irgendwo entstanden. In einer bürgerlichen Küche – fern von den Alpen. Beansprucht wird die Idee mit dem Käseschmaus von etlichen Westschweizer Kantonen, aber von einer Nationalspeise konnte noch keine Rede sein.
Das änderte sich allmählich, als die Schweizerische Käseunion zum Leben erwachte. 1914 gegründet, vertrieb sie die Milch- und Käseprodukte zu den vom Bundesrat festgesetzten Preisen. Doch dann kam die Grosse Depression, die Welt versank in der Wirtschaftskrise und die Schweizer Käsehersteller blieben auf ihren Produkten sitzen.
Die Union musste sich etwas einfallen lassen, um den Kleinbetrieben das Überleben zu sichern – und so begann sie mit dem Marketing für ihren Käse, auch für die geschmolzene Version.
1896 wurde für die Landesausstellung in Genf das «Village Suisse» aufgebaut. Ein kitschiger Nachbau eines Schweizer Bergdorfs, mit Wasserfall, Kühen, Sennen und Frauen in Trachten. Und gegessen wurde darin natürlich Fondue.
1939/40 präsentierte sich die Schweiz an der Weltausstellung in New York abermals mit dem geschmolzenen Käse-Schmaus – mitsamt seinem Show-Piece; dem Caquelon. Das Fondue tritt seinen Siegeszug als helvetische Mahlzeit an.
«Fondue isch guet und git e gueti Luune», so lautete der Slogan der Käseunion, der ab den 50er-Jahren jedem Schweizer Ohr bekannt war. Das gemeinsame Fondue-Essen ist dank wirkungsvollem Marketing zum Inbegriff nationaler Identität geworden – eine alpine Tradition, die es mit gemütlicher Geselligkeit zu würdigen gilt.
Um den Bekanntheitsgrad dieser nunmehr verklärten Schweizer Speise noch weiter auszudehnen, wurde die Armee in den 60ern mit Käsefondue verköstigt. Gabeln und Caquelons durften die Männer ausleihen. Und hatten ihre Frauen und Kinder bis dahin noch im bemitleidenswerten Zustand der Fondue-Ahnunglosigkeit gelebt, so lernten sie jetzt endlich die launig blubbernde Käsepfanne kennen.
Fondue-Kochbücher und dazugehörige Kochkurse, Plakate in den Bahnhöfen, Inserate im Ausland und Gratis-Degustationen im Inland – der Werbeaufwand fruchtete: Die 39 Prozent Fondue-Kenner von 1954 schwollen bis 1982 an auf stolze 80 Prozent.
Der 16. Band der Comic-Reihe Asterix spielt in der Schweiz. Die Geniegeschichten um die zwei widerspenstigen Gallier von Albert Uderzo und René Goscinny sind ein amüsantes Sammelsurium an nationalen Klischees, abhängig davon, wohin sich ihre beiden Protagonisten gerade verirren.
Hier wird schnell klar, dass sich nicht nur die Schweizer selbst als Fondue-Nation verstehen:
In Geneva wird eine Orgie gefeiert. Eine Fondue-Orgie sozusagen. Und Gaius Interfarctus stellt sich dabei so dumm an, dass er dreimal sein Brotstück im Käsetopf verliert. Das wird selbstverständlich bestraft: Versenkt ihn mit Gewichten an den Füssen im Genfersee!
Ein Hoch auf unsere Verlierer-Bräuche.
1978 kommt Rolf Lyssys «Die Schweizermacher» in die Kinos. Emil Steinberger spielt darin den Assistenten des gnadenlosen Bodmer. Es ist die Geschichte von zwei Einbürgerungsbeamten, die Ausländer auf ihre Verträglichkeit mit der Schweiz testen.
«Das ist der Moment der Wahrheit», sagt Bodmer zur Deutschen Gertrud Starke, als sie zum Beweis ihrer Integrationswürdigkeit ein Fondue auftischt. Leider ist es zu dünn. Und wer die Nationalspeise nicht sämig hinkriegt, ist eben kein Schweizer.