Frühmorgens noch einen Kaffee und ein Gipfeli vor der Zugfahrt, bei der Heimkehr der Einkauf im Supermarkt: Die Pendler haben sich daran gewöhnt, ihren Aufenthalt in SBB-Bahnhöfen mit Shopping zu kombinieren. Damit sich stets genügend Ware im Schaufenster oder im Verkaufsregal befindet, braucht es eine ausgeklügelte Logistik im Hintergrund. Und hier sieht SBB-Immobilien-Chef Jürg Stöckli Optimierungspotenzial. «Wir müssen die Logistik smarter organisieren», sagt der Vorsteher der rund 800 Schweizer Bahnhöfe im Gespräch. Heute geschehe die Warenanlieferung noch sehr stark über die Strasse. «Wir sind aber ein Shoppingcenter mit Gleisanschluss, das wollen wir ausnützen.»
Im Zentrum von Stöcklis Überlegungen steht die Waren-Feinverteilung. Konkret sieht seine Idee so aus: «In der Nacht fährt der Zug ein, die Paletten werden so weit wie möglich automatisch ausgeladen. Dann kommt die Ware auf ein Roboter-Wägeli, das sich autonom bewegt.» Das Mietgeschäft, zum Beispiel eine Migros- oder Coop-Filiale, erkenne dann das Roboter-Gefährt und gewähre dem intelligenten Gerät Zutritt, indem es automatisch die Türe öffne. Wenn das Personal am Morgen das Geschäft öffne, sei die Ware bereits vor Ort, so Stöckli. «Einen entsprechenden Pilot werden wir nächstes Jahr starten.»
Heute wird die Warenverteilung direkt durch die Geschäfte oder deren Transportfirmen vorgenommen. Die SBB regeln nur das Anlieferungsregime mit den Ein- und Ausfahrten. Zudem koordinieren sie die Anlieferungsplätze. Stöckli weist auf die Herausforderungen des Projekts hin. Zu Hauptstosszeiten sei dieses kaum umsetzbar, in der Nacht hingegen schon. Auf die Frage, wie viele Stellen in der Logistik wegzufallen drohen, sagt der Chef der SBB-Immobilien-Sparte: «Ich glaube nicht, dass dadurch Stellen verschwinden, da die Angestellten in anderen Bereichen eingesetzt werden können, zum Beispiel in der Beratung.» Das sehe man heute schon im Detailhandel.
Für die Geschäfte in den Bahnhöfen wagt Stöckli eine kühne Prognose: «Bis 2025 ist es durchaus möglich, dass manche Shops in den SBB-Bahnhöfen komplett autonom funktionieren.» Tatsächlich gibt es im Ausland Beispiele, wo in Geschäften das Bezahlen vollautomatisch mithilfe von Kameras und Kundenhandys funktioniert. Angestellte an der Kasse sind Fehlanzeige, wie zum Beispiel bei «Amazon Go», dem Filialkonzept des US-Onlinewarenhauses.
Zum Technologie-Partner, mit dem man für die Roboter-Wägeli zusammenarbeiten wird, geben sich die SBB bedeckt, genauso wie zu den teilnehmenden Geschäften. Momentan sind die SBB daran, einen Bahnhof für den Test auszuwählen. Gut möglich, dass die Wahl auf Zürich fällt. Denn kürzlich hat die SBB-Immobilienabteilung die Initiative «My Smart Station Zürich HB» gestartet, um die operationellen Abläufe im grössten Schweizer Zug-Hub mit täglich einer halben Million Besucher zu verbessern, wo es zu Stosszeiten zuweilen eng wird. Auf PR-Deutsch tönt das formulierte Ziel bei den SBB so: «Der Zürich HB soll bis 2019 zum digitalsten und persönlichsten Verkehrsknotenpunkt der Welt werden.»
Die verschiedenen Pilotprojekte, die man teste, könnten im Erfolgsfall auch in den anderen Bahnhöfen ausgerollt werden. So haben die SBB zusammen mit dem Internetgiganten Google Ende letzten Jahres die «Street View»-Option für den Hauptbahnhof lanciert, damit sich die Kunden im Bahnhoflabyrinth besser orientieren können. Denn die Wege der Passanten verändern sich ständig, so zum Beispiel, als die Durchmesserlinie eröffnet wurde. Im Hauptbahnhof sind über 1100 sogenannte «Beacons» installiert, die Kunden der «Mein Bahnhof»-App die Navigation anzeigen. Auf dieser App haben die SBB zudem die IBM-Technologie Watson basierend auf künstlicher Intelligenz umgesetzt: Die SBB-Passagiere erhalten von einem Computer, einem sogenannten Chatbot, Antworten auf ihre Fragen zu Zugverbindungen oder Öffnungszeiten.
Bereits getestet werden in Zürich Reinigungsroboter. Und in einem Blogeintrag sprechen die SBB auch vom Einsatz von Drohnen und dem «Internet of Things», der digitalen Verknüpfung technischer Einrichtungen. So sollen die Passanten in Echtzeit über defekte Rolltreppen und Lifte informiert werden.
Über die Fortschritte der einzelnen Projekte, bei denen über 20 Partner wie Google, Valora, Migros, Coop oder APG an Bord sind, wollen die SBB Ende November an einem Anlass der Initiative Digital Switzerland informieren. Auch Bundespräsidentin Doris Leuthard und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann werden sich am Aktionstag beteiligen.