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40 nicht hindernisfreie Bahnhöfe werden geschlossen

ZUM THEMA MENSCHEN MIT BEHINDERUNG IM OEFFENTLICHEN VERKEHR STELLEN WIR IHNEN HEUTE DIESES NEUE BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG --- An SBB (Swiss Federal Railways) employee uses a lifting platform to help ...
An einigen Haltestellen stehen bald nicht nur Rollstuhlfahrende auf dem Abstellgleis: Die Bahnunternehmen planen, mehrere nicht behindertengerechte Bahnstationen zu schliessen.Bild: KEYSTONE

Bahnbetreiber schliessen 40 Bahnhöfe, statt sie behindertentauglich umzubauen

Anstatt 40 Bahnhöfe bis 2023 behindertentauglich umzubauen, werden diese geschlossen und in Zukunft nicht mehr bedient. Der Bund will zusätzliche zwei Milliarden Franken für den Umbau bereitstellen.
29.03.2017, 22:1330.03.2017, 11:46
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Öffentliche Bauten und Anlagen sowie Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs müssen bis Ende 2023 behindertentauglich umgerüstet werden. Dies schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz vor.

Anstatt die noch nicht umgerüsteten 40 Bahnhöfe zu modernisieren, wollen die Bahnunternehmen diese schliessen oder haben dies bereits getan. Das zeigen Recherchen der SRF-Sendung «Rundschau».

Dies ist gleich doppelt ein Ärgernis – für Rollstuhlfahrende, die bis 2023 nicht ohne fremde Hilfe in einen Zug steigen können, aber auch für Bahnkunden, die in Zukunft keinen nahen Bahnanschluss mehr haben.

Peter Fueglistaler, Direktor Bundesamt fuer Verkehr (BAV), praesentiert den Verlagerungsbericht des alpenquerenden Gueterverkehrs von der Strasse auf die Schiene am Montag, 7. Dezember 2015, in Bern.  ...
BAV-Direktor Peter Füglistaler.Bild: KEYSTONE

Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV), erwartet von den Bahnen, dass diese sich mehr anstrengen als bisher:

«Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, dass Bahnhöfe geschlossen werden. Aber es gibt Grenzen, was man zahlen will und kann.»
BAV-Direktor Peter Füglistaler

Um auch den Umbau von kleineren Bahnhöfen zu sichern, will das Bundesamt für Verkehr zudem zusätzliche Gelder einschiessen, wie Füglistaler weiter sagt: «Wir beantragen beim Parlament, zusätzliche zwei Milliarden Franken für die Jahre 2021 bis 2024 zu genehmigen, damit auch kleinere Bahnhöfe behindertengerecht umgebaut werden können.»

Wie weit sind die Bahnen bereits?
Das 2003 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz soll bei Bauten, Anlagen und Fahrzeugen 2023 umgesetzt sein. Gemäss Zahlen des BAV waren Ende 2016 von 1800 Schweizer Bahnhöfen rund 630 (35 Prozent) barrierefrei. Da es sich dabei hauptsächlich um grössere Bahnhöfe handelt, profitieren 64 Prozent der Reisenden davon. Etwa ein Viertel aller Bahnhöfe, über die rund 15 Prozent der Reisenden verkehren, dürfte nicht baulich angepasst werden. Diese Stationen sollen aber barrierefrei ausgestaltet werden, indem Hilfestellung durch Personal oder Alternativverbindungen angeboten werden. (sda)

Vor allem kleine Stationen

Bei einem Grossteil der betroffenen Bahnhöfe handelt es sich um kleinere Stationen von Bahnen wie der BLS oder der Südostbahn. Insgesamt 10 bis 15 Bahnhöfe sollen auch bei der SBB aufgehoben werden.

«Einzelne wenige Haltepunkte, welche kaum Nutzer aufweisen, könnten ganz aufgehoben werden», sagt SBB-Sprecher Christian Ginsig. Er betont dabei aber zugleich, dass die SBB das Gesetz bis 2023 erfüllen werde.

Gemäss Ginsig könnten zirka 200 der 795 SBB-Bahnhöfe baulich nicht ans Behindertengleichstellungsgesetz angepasst werden. Für diese Fälle sind im Gesetz Ausnahmen vorgesehen, sofern diese «verhältnismässig» sind.

Für CVP-Nationalrat Christian Lohr, der als Rollstuhlfahrer selbst betroffen ist, geht es nicht an, dass Haltestellen geschlossen und nicht umgebaut werden.

Christian Lohr, CVP TG, waehrend der Wahlversanstaltung an der Kantonsschule in Frauenfeld am Sonntag, 18. Oktober 2015. (KEYSTONE/Dominic Steinmann)
CVP-Nationalrat Christian Lohr.Bild: KEYSTONE

«Die Bahnen haben es jahrelang versäumt, ihre Umbauten zu planen. Bahnhofsschliessungen nun auf das Behindertengleichstellungs-Gesetz abzuschieben, ist ein unwürdiges Spiel.»

Einer der betroffenen Bahnhöfe steht in Winterthur-Reutlingen. Weil sich die Umbaukosten der Station auf drei Millionen Franken belaufen, ist seit 2015 die Schliessung des Bahnhofs geplant. Der Präsident der IG Reutlingen, Markus Läderach, kündigt Widerstand an:

«Wir kämpfen bis vor Bundesgericht. Es kann nicht sein, dass die fehlende Behindertentauglichkeit zur Schliessung unseres Bahnhofs führt.»
Markus Läderach, Präsident IG Reutlingen

Die Behindertengänglichkeit dient auch Eltern mit Kinderwagen oder älteren Menschen und kommt somit allen zugute. Doch der Ausbau geht eher zögerlich voran, wie die Recherchen weiter zeigen. Die meisten Umbaumassnahmen stehen noch bevor, viele Bahnhöfe dürften nicht rechtzeitig fertiggestellt werden.

Trotz einer 20-jährigen Frist zeigen neue Daten des Bundesamtes für Verkehr ein eher schlechtes Bild: Bei 59 Bahnhöfen steht bereits heute fest, dass sich die Modernisierung verzögern wird – allesamt Bahnhöfe der SBB. Sie müssen nun den Nachweis erbringen, dass die termingerechte Anpassung «verhältnismässig» ist. (blu)

24 Bilder aus der guten alten SBB-Zeit

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24 Bilder aus der guten alten SBB-Zeit
Am 1. Januar 1902 wurden die SBB gegründet. An diesem Tag fuhr auch der erste SBB-Zug, der eigenhändig von der SBB-Generaldirektion geführt wurde. Bis dahin wurde der Betrieb zwar im Auftrag der Bundes, aber noch in der Organisation der Privatbahnen geführt. Sukzessive wurden von 1901 bis 1909 die fünf grössten Privatbahnen verstaatlicht und in die SBB überführt. Die Männer tragen schicke Doppelreiher und posieren vor dem allerersten SBB-Zug. Er ist gerade im Bahnhof Bern eingetroffen. ... Mehr lesen
quelle: foto service sbb / str
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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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atomschlaf
30.03.2017 00:04registriert Juli 2015
Das BehiG ist zwar gut gemeint, aber zumindest beim ÖV ist die Umsetzung höchst fragwürdig.
Statt auf smarte und moderne Technologie (siehe z.B. den Beitrag von Thomas Bollinger) setzt man auf teuren, staatlich regulierten Perfektionismus und Unmengen von Beton. Da werden z.B. auf Wald-und-Wiesen-Bahnhöfen mit einer Handvoll Passagiere pro Tag überdimensionierte und sündhaft teure Perronanlagen mit Rampen und Liften gebaut.
Dass wegen der exzessiven Kosten nun sogar Bahnhöfe geschlossen werden sollen, zeigt wie bei diesem Gesetz jegliche Verhältnismässigkeit missachtet wurde.
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seventhinkingsteps
30.03.2017 01:00registriert April 2015
Die SBB passt sich nur der Logik des Marktes an, seit sie 1999 privatisiert wurden: Umbau der bestehenden Bahnhöfe mit gegebenem Budget ist unrealistisch, also reduzieren wir die Anzahl Bahnhöfe. Schliesslich muss man ja Gewinn schreiben und Andreas Meyer muss zwingend seine Million und mehr kriegen. Für weniger würde das ja niemals jemand machen. Ausser natürlich Benedikt Weibel, der damals 1996 noch 300'000 verdiente. Aber war ja kein CEO, sondern nur Direktoriumspräsident...

Repeat after me: Profitorientierter Service Public funktioniert nicht
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Dominik I.
30.03.2017 09:21registriert Dezember 2014
Es gibt noch einen ähnlichen Fall bei den Appenzeller Bahnen: Die neuen Züge bekommen keine WC's, weil ein Behindertengerechtes WC ca. 10% der Sitzplätze im Zug kosten würde (die Zügse sind relativ schmal, da sie in St. Gallen als Tram verkehren). Ein "normales" WC, welches massiv weniger Platz braucht, dürfen sie jedoch auch nicht einbauen, da es bei der Zulassung problematisch wäre.

Das Gesetz ist leider so, dass "Wenn einer nicht, dann gar niemand" vor der Verhältnismässigkeit kommt.
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«Erster wirklicher Stresstest für die Schuldenbremse»: Ökonom ordnet drohendes Defizit ein
Beim Bund drohen Defizite von bis zu vier Milliarden Franken. Wie schlimm ist das? Und wie hat man in der Vergangenheit darauf reagiert? Ökonom Thomas M. Studer, der zur Geschichte der Bundesfinanzen seine Dissertation verfasst hat, gibt Auskunft.

Jahrelang schrieb der Bund Überschüsse. Jetzt drohen Defizite in Milliardenhöhe. Verglichen mit früher: Wie schlecht steht es um die Bundesfinanzen?
Thomas M. Studer:
Um das vergleichen zu können, stellt man das Defizit ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Bei jährlichen strukturellen Defiziten von 2 bis 4 Milliarden Franken, wie sie der Bund erwartet, sind das gemessen am aktuellen BIP rund 0,25 bis 0,5 Prozent. In der Schuldenkrise der 1970er-Jahre waren es bis zu 0,9 Prozent, in den 1990er-Jahren sogar bis 2 Prozent. So schlimm ist es heute noch nicht. Was die Geschichte aber zeigt: Es ist schwierig, aus einer Defizitphase herauszukommen, wenn man mal drin ist.​

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