In den Tagen vor den Wahlen steigt die Nervosität bei Parteien und Kandidaten ins Unermessliche. Was jetzt niemand gebrauchen kann, ist negative Presse. Kein Wunder, trauten viele SVP-Parlamentarier ihren Augen nicht, als sie vor zwei Tagen die «Weltwoche» aufschlugen: Ausgerechnet das parteinahe Wochenblatt publizierte auf mehreren Seiten einen ausführlichen Verriss über mehr als zwei Dutzend der 63 SVP-Fraktionsmitglieder.
Über den Walliser Nationalrat Oskar Freysinger schrieben die Autoren, er habe einen Hang zu Verschwörungstheorien und ticke in «Wirtschafts- und Umweltfragen fast so links wie manch ein Sozialdemokrat». Die SVP-Ständeräte Alex Kuprecht (SZ) und Roland Eberle (TG) bezeichneten sie als «besonders wankelmütig und interventionistisch», den ehemaligen SVP-Generalsekretär und Nationalrat Gregor Rutz (ZH) als «blassen Neuling» und «Nobody».
Fast jeder der angeschossenen SVP-Politiker reagiert auf Anfrage der «Nordwestschweiz» verärgert bis wütend über den Verriss aus dem eigenen Lager. Alle fragen sich: Warum legt sich «Weltwoche»-Chefredaktor und SVP-Nationalratskandidat Roger Köppel so nah am Wahltermin mit seinen potenziellen Fraktionskollegen an? Markiert er so seinen Machtanspruch in der Partei? Oder will er gerade wegen seiner Nationalratskandidatur seine journalistische Unabhängigkeit beweisen? Köppel selber war am Freitag nicht erreichbar.
Der Berner Nationalrat Andreas Aebi, den die «Weltwoche» als «Windschlüpfigen» bezeichnete, spricht von einem «absolut stümperhaft recherchierten Artikel». Sein Aargauer Kollege Ulrich Giezendanner (laut «Weltwoche» ein «Sesselkleber») kritisiert: «Der Artikel zeigt, dass Herr Köppel das Portemonnaie näher ist als die Politik. Er will Auflage machen und bei den Linken punkten.»
Der Solothurner Nationalrat Roland Borer (ebenfalls ein «Sesselkleber») sagt: «Für mich ist das Boulevard, wenn eine Zeitung einen Politiker mit einem Satz verurteilt. Herr Köppel will beweisen, dass die ‹Weltwoche› kein SVP-Blatt ist. Mich kostet das ein müdes Lächeln.»
Ständerat Alex Kuprecht wertet den Text als «journalistisches Gesäusel». Er glaube, dass Köppel die Bundeshausfraktion «ziemlich wurst» sei. «Für die Kollegialität innerhalb der Fraktion wird das nicht förderlich sein.»
An der Grenze zum Spott kommentierte die «Weltwoche» das Engagement des scheidenden Nationalrates Freysinger für einen «Tag der Biene» und gegen den Import von Haifischflossen. Das Walliser Staatsratsmitglied fühlt sich ungerecht behandelt: «Die ‹Weltwoche› reduziert mich auf den Tierschutz. Ich finde das einseitig. Sie erwähnt nicht, was ich gegen den Anti-Rassismus-Artikel oder Schengen-Dublin getan habe.» Vielleicht wolle Köppel signalisieren, dass seine Zeitung auch nach seiner allfälligen Wahl in den Nationalrat «völlig tabulos» bleibe. «Anders kann ich mir diesen Artikel nicht erklären. Seine Parteikollegen zehn Tage vor den Wahlen so zu verreissen, ist schon krass.»
Schlecht weg kam auch der Thurgauer Nationalrat Markus Hausammann: Er musste sich von der «Weltwoche» für seine «irritierende Anspruchshaltung in der Landwirtschaftspolitik» und die zu wenig liberale Haltung in Wirtschaftsfragen schelten lassen. Er kontert: «Ich bin jetzt seit bald 30 Jahren bei der SVP, ich werde mir meine Meinungen auch in Zukunft nicht von irgendjemandem verbieten lassen.» Er kenne den «Weltwoche»-Chef nicht persönlich. Aber auch Köppel werde lernen müssen, dass es in der Fraktion «keine Überflieger gibt».
Fragt sich bloss noch, welche SVP-Parlamentarier die «Weltwoche» in ihrem Verriss ausliess: Zum erlauchten Kreis gehören beispielsweise Fraktionschef Adrian Amstutz, Nationalrat Thomas Matter (ZH), Initiant der Bankgeheimnis-Initiative, Nationalrat Thomas Müller (SG), der 2011 von der CVP zur SVP überlief, und, wer hätte es gedacht: Peter Keller, SVP-Nationalrat aus dem Kanton Nidwalden. Beruf: «Weltwoche»-Journalist.