Sag das doch deinen Freunden!
Wer gehofft hatte, die vorweihnachtliche
Besinnlichkeit werde zu einer Entspannung im Verhältnis zwischen der
Schweiz und der Europäischen Union beitragen, wurde eines
Besseren belehrt. Das Treffen von Bundespräsidentin Simonetta
Sommaruga mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem
luxemburgischen Aussenminister Jean Asselborn am Montag in Brüssel verlief aus
Schweizer Sicht ernüchternd. Statt «O du fröhliche» gab es «Stille Nacht».
«Eine einseitige Auslösung einer
Schutzklausel kommt nicht in Frage», sagte Juncker vor den Medien. Der Bundesrat hatte vor rund zwei Wochen im Streit
mit der EU um die Umsetzung der SVP-Zuwanderungsinitiative eine solche Schutzklausel bei der Personenfreizügigkeit ins Spiel gebracht. Falls es in den
Gesprächen mit Brüssel keine Lösung gibt, will der Bundesrat sie
notfalls einseitig anwenden.
Die EU findet, man dürfe Verträge nicht grundlos einseitig brechen? Ach nein...Wer hat wirklich daran geglaubt? #MEI https://t.co/hklIJkYjQT
— Cédric Wermuth (@cedricwermuth) December 21, 2015
Solchen Ideen hat Jean-Claude Juncker
nun eine Abfuhr erteilt. Simonetta Sommaruga machte dennoch auf
Zweckoptimismus. Man habe in den bislang zehn Gesprächsrunden
Fortschritte gemacht. Schliesslich habe die EU mit der Schweiz
anfangs gar nicht über die Zuwanderung sprechen wollen. Der
politische Wille, eine Lösung zu finden, sei auf beiden Seiten
vorhanden.
Gleichzeitig dämpfte die Justizministerin allzu
hohe Erwartungen. Ob man am Schluss eine gemeinsame Lösung finden
werde, «das kann ich ihnen heute nicht sagen». Die Konsultationen
sollen im kommenden Jahr weitergeführt werden, doch die Zeit drängt.
Im März will der Bundesrat sein Konzept für die Schutzklausel
vorlegen. Und weniger als ein Jahr später läuft die dreijährige
Übergangsfrist zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels in der
Verfassung ab.
Die Zeit läuft gegen die Schweiz, und
das weiss man in Brüssel haargenau. Auch auf der zweiten Baustelle,
den Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen, geht es
kaum vorwärts. Im umstrittensten Punkt ist keine Annäherung in
Sicht. Die EU verlangt, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) in
Streitfällen über die Auslegung der bilateralen Verträge
verbindlich entscheidet. Die Schweiz will ihn höchstens als eine Art
Gutachter akzeptieren. «Wir wollen keine fremden Richter»,
bekräftigte Aussenminister Didier Burkhalter Anfang Dezember.
Einen möglichen Ausweg präsentierte
das Forum Aussenpolitik (foraus), ein unabhängiger Thinktank, am
Montag in Bern. Demnach soll nicht der EuGH in einem Konfliktfall
entscheiden, sondern ein Schiedsgericht am Ständigen Gerichtshof in
Den Haag, welches sich gleichmässig aus Schweizer und EU-Vertretern
zusammensetzt. Auf diese Weise würden nicht «fremde», sondern
vielmehr «gemeinsame Richter» abschliessend über einen
Auslegungskonflikte in den bilateralen Verträgen zwischen der
Schweiz und der EU entscheiden.
Der unbeteiligte Beobachter stimmt
spontan zu und fragt sich gleichzeitig: Ist das Aussendepartement
(EDA) nicht schon selber auf diese Idee gekommen? Es ist sehr wohl,
wie das EDA auf Anfrage von watson mitteilte: «Dieser
Vorschlag ist nicht neu. Schiedsgerichte finden sich tatsächlich
auch verschiedentlich in Abkommen der EU mit Drittstaaten.» Was die
Auslegung von EU-Recht betreffe, akzeptiere die EU allerdings keine
andere Instanz als den EuGH.
Die Schweiz hat laut
EDA bei der EU in dieser Angelegenheit sondiert, doch sie habe keine
Bereitschaft gezeigt, ein Schiedsgericht für die Streitbeilegung mit
der Schweiz zu akzeptieren. «Das Verhandlungsmandat der Schweiz
schliesst eine solche Lösung daher aus», teilt das EDA
unzweideutig mit. Das Schweizer Mandat sehe keine Unterstellung unter
eine Gerichtsbarkeit vor, sondern letztlich eine politische Beilegung
der Streitigkeiten im gemischten Ausschuss.
Leichter gesagt als getan. In diesem Bereich dürfte eine Lösung ähnlich schwierig zu erreichen sein wie beim Freizügigkeitsabkommen. Dabei ist heute schon absehbar, dass 2016 zum Jahr der Entscheidung wird: Kann die Schweiz den bilateralen Weg weiter beschreiten. Derzeit ist dieser eine Sackgasse.