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Der Lüsslinger Psychiater Samuel Widmer widmet sein ganzes Leben den Drogen und dem Tantra. Wahrlich eine geile Mischung, um stets und rundum high zu sein.
Abgerundet hat er das attraktive Lebens- und Business-Modell mit einer Rolle, die den Lustgewinn weiter toppt: Er sieht sich als spirituellen Weltenlehrer, der von seinen vielen Anhängern gern als Guru verehrt wird.
Etwa 200 von ihnen zogen in die Umgebung von Lüsslingen-Nennigkofen, also zu Widmer, und bilden die Kirschblütengemeinschaft. Eine Art Riesen-WG, die sich ganz der Liebe verschrieben hat. Und – offensichtlich – den Drogen LSD und Ecstasy (MDMA), die sie als Türöffner zur Seele verstehen. Und natürlich zu den Herzen.
Pech nur, dass die inkriminierten Substanzen illegal sind. Deshalb läuft zurzeit ein Strafverfahren gegen den 67-jährigen Psychiater, die Staatsanwaltschaft Solothurn ermittelt gegen ihn, seinen Sohn und zwei weitere Kirschblütler.
Widmer behauptet, es sei schon lange Schluss mit den Drogen-Therapien (Psycholyse) in Grossgruppen – Therapien, die für Aussenstehende wie Drogenpartys wirken. Er behauptet, für seine Sessionen keine illegalen Substanzen, sondern Ephedrin und Ketamin zu verwenden, also zwei legale Medikamente.
Aber stimmt das wirklich? Verschiedene Indizien nähren die Vermutung, dass die Therapien im Umfeld der Kirschblütengemeinschaft weiterhin mit LSD und MDMA über die Bühne gehen.
Verräterisch ist in diesem Zusammenhang der neue einstündige Film über die psycholytische Therapie des deutschen Esoterikers Dirk Liesenfeld. Widmer hat den Film auf seine Homepage geladen und ruft dort dazu auf, den Streifen finanziell zu unterstützen.
Wo Psycholyse draufsteht, ist meist auch Widmer drin. Der Psychiater ist weltweit eine zentrale Figur, wenn es um Drogentherapien geht. Deshalb spielen er und seine Anhänger im Streifen eine wichtige Rolle. Nicht nur haben er und seine beiden Frauen prominente Auftritte im Film, gezeigt wird auch eine Psycholyse-Sitzung im Zentrum von Widmer in Lüsslingen. Und es kommen auch mehrere seiner Anhänger zu Wort.
Und – wenig überraschend – die Kirschblütler loben die Drogentherapie über den grünen Klee. Kein Wort zu den Gefahren, kein Wort darüber, dass auch schon eine Drogensitzung bei Widmer aus dem Ruder gelaufen ist: Patienten gerieten in Panik und bekamen Angstzustände, wie Teilnehmer berichten.
Immerhin geht der Filmer Liesenfeld auf die Drogensitzung des Berliner Arztes Garrik R. ein – auch er ein Schüler Widmers –, bei der zwei Klienten an einer Überdosis gestorben sind, die ihnen der Arzt persönlich verabreicht hatte. Garrik R. stand selbst unter Drogen und hat sich bei der Dosierung vergriffen.
Ansonsten sagen alle, wie wunderbar und harmlos MDMA und LSD seien. Wie grossartig die Therapie wirke, vor allem bei der Behandlung von Traumata.
Das hohe Lied der Psycholyse singen auch die Anhänger von Widmer – und das besonders laut. Man mag kaum glauben, dass ausgerechnet sie sich mit dem wirkungsarmen Ketamin begnügen.
Widmer kaufte zwar jahrelang grosse Mengen von Ketamin, wie ehemalige Anhänger berichten. Sie erklären aber, dies sei lediglich ein Tarnkauf gewesen. Die Behörden sollten glauben, er verwende das Medikament tatsächlich.
Ehemalige Schüler widersprechen. Ketamin sei in Wirklichkeit entsorgt worden, bestätigen sie. Sie müssen es wissen, haben sie doch während 20 Jahren bei den Drogentherapien in Grossgruppen mit bis zu 80 Personen die verbotenen Substanzen LSD, MDMA und andere eingenommen.
Den Beweis dafür lieferte ein Reporter der Sendung «Beckmann» des deutschen Fernsehsenders ARD im März 2015. Dieser nahm in einer spektakulären Undercover-Aktion an einer kollektiven Sitzung in Lüsslingen teil und schmuggelte die verwendeten Substanzen aus dem Gruppenraum von Widmer. Draussen wartete der Arzt und Apotheker Hannes Welcker.
Seine Laboruntersuchung vor Ort ergab, dass es sich um die verbotenen Substanzen MDMA und Meskalin handelte. Diese Mischung sei «Scharlatanerie und lebensgefährlich», sagte Welcker.
Der ARD-Reporter hat die Drogensitzung mit einer versteckten Kamera gefilmt. Geleitet wurde die «Therapie» von der Ehefrau Widmers, die keine anerkannte Ausbildung als Therapeutin besitzt.
Den rund 20 Teilnehmern – die Hälfte von ihnen Deutsche – wurde gesagt, dass die Einnahme von Ecstasy nicht legal sei. Das Risiko liege aber beim Leitungsteam. Wörtlich: «Wir kommen ins Gefängnis oder haben eine grosse Strafe am Hals, wenn herauskommt, dass wir das machen.»
Den Teilnehmern der «Therapie» wurde geraten, bei Anrufen oder in Mails die Drogen nicht zu erwähnen. Vor der Einnahme der Drogen mussten die Klienten einen kuriosen Vertrag unterschreiben und sich verpflichten, während der Veranstaltung nicht zu sterben.
Dann verkündete die Leiterin: «Wir haben gedacht, wir könnten mal Meskalin und MDMA zusammen machen.» Meskalin sei zwar nicht mehr erhältlich, doch «wir haben unsere geheime Schatzkiste, wo wir es ausgegraben haben».
Ein paar Tage später führte der ARD-Moderator Reinhold Beckmann ein Interview mit Widmer und seiner Ehefrau Daniele. Die beiden hatten keine Ahnung von der Undercover-Aktion und tappten prompt in die Falle.
Widmer sagte, bei den Sitzungen würden ausschliesslich Ephedrin und Ketamin eingesetzt. Seine Frau ergänzte, die Klienten brächten manchmal LSD oder Ecstasy mit. «Das vermuten wir», unterbrach Widmer sie rasch.
Kurz vor der Ausstrahlung des Films führte die Solothurner Polizei eine Razzia bei Widmer durch und setzte seinen Sohn vorübergehend in Untersuchungshaft. Er soll laut Aussteigern als Drogenkurier gewirkt haben.
Es überrascht deshalb nicht, dass es Widmer und seine Anhänger im Film von Liesenfeld vermeiden, LSD und MDMA zu erwähnen, schliesslich läuft gegen den Psychiater ein Strafverfahren. Deshalb sprechen sie von «Substanzen» und «Medikamenten».
Ehemalige Klienten bezweifeln aber, dass das System Widmer ohne LSD, MDMA und andere Drogen funktioniert. Sie sind sich deshalb ziemlich sicher, dass unter den Kirschblütlern weiterhin illegale Substanzen verwendet werden – trotz Strafverfahrens und voraussichtlichen Prozesses.
Ausserdem sagt Widmer im Film, die Psycholyse sei das beste Hilfsmittel, das sie gefunden hätten. Zur Psycholyse, wie sie Widmer versteht, gehören zwingend LSD und Ecstasy. Denn in den vielen Büchern und unzähligen Texten von Widmer ist im Zusammenhang mit der Psycholyse nirgends die Rede von Ketamin.
Dieses Medikament interessiert ihn im Zusammenhang mit der Psycholyse schlicht nicht. Hingegen thematisiert er bei jeder Gelegenheit die heilende Wirkung illegaler Halluzinogene oder psychotroper Substanzen.
Widmers Leben dreht sich seit Jahrzehnten um die Psycholyse. Früher konnte er seinen Kursteilnehmern legal Drogen abgeben. 1986 bekam er vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Bewilligung, LSD zu Forschungszwecken einzusetzen. 1993 entzog das BAG ihm die Zulassung wieder.
Doch der Psychiater dachte offenbar nicht daran, auf LSD und Ecstasy zu verzichten, wie Aussteiger berichten und der ARD-Beitrag zeigt. Zu sehr war er von den Drogen begeistert und bezeichnete sie als Sakramente, mit denen sich ein Raum öffne, «der über das Menschliche hinausgeht».
Dies führe zu «einer Verbundenheit mit dem ganzen Universum», man stehe «vor dem ganzen Mysterium des Seins», das Weltall stürze in einen hinein. Widmer sieht im psycholytischen Weg ein religionsähnliches Ritual, das «eine grundsätzliche Mutation im menschlichen Geist und Gehirn» anstrebe und zu einem unausweichlichen Evolutionsschritt führe, «von dessen Gelingen unser Überleben auf diesem Planeten abhängig ist».
Der Psychiater hat in den letzten 30 Jahren mehrere 100 Psycholyse-Therapeuten ausgebildet und mehrere 1000 Klienten auf ihren Psycholyse-Therapien begleitet. Dafür haben sie ihn geliebt. Dass er ihnen in den letzten 20 Jahren ausschliesslich Ephedrin und Ketamin abgegeben hat, glaubt wirklich niemand. Deshalb: Widmer ohne LSD ist nicht denkbar.
Ketamin ist für Psycholyse-Therapeuten wie Sirup mit einem Tropfen Cognac für einen Alkoholiker – praktisch wirkungslos. Und Sirup mögen die Widmer-Anhänger wirklich nicht.