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Samuel Widmer: Neuer Film zeigt Freund von LSD und Ecstasy

Samuel Widmer mit einer seiner Frauen, Daniele Nicolet, an einem Kongress in Lüsslingen 2015.
Samuel Widmer mit einer seiner Frauen, Daniele Nicolet, an einem Kongress in Lüsslingen 2015.
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Geile Mischung! Verabreicht Drogen-Therapeut Widmer seinen Patienten weiter illegale Substanzen?

Der Lüsslinger Psychiater Samuel Widmer verabreicht in seinen Drogentherapien angeblich nur zugelassene Medikamente. Vieles spricht dafür, dass seine «Patienten» weiterhin verbotene Substanzen wie LSD, Meskalin und MDMA einnehmen.
30.04.2016, 08:1517.09.2019, 15:17
Hugo Stamm
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Der Lüsslinger Psychiater Samuel Widmer widmet sein ganzes Leben den Drogen und dem Tantra. Wahrlich eine geile Mischung, um stets und rundum high zu sein.

Abgerundet hat er das attraktive Lebens- und Business-Modell mit einer Rolle, die den Lustgewinn weiter toppt: Er sieht sich als spirituellen Weltenlehrer, der von seinen vielen Anhängern gern als Guru verehrt wird.

Etwa 200 von ihnen zogen in die Umgebung von Lüsslingen-Nennigkofen, also zu Widmer, und bilden die Kirschblütengemeinschaft. Eine Art Riesen-WG, die sich ganz der Liebe verschrieben hat. Und – offensichtlich – den Drogen LSD und Ecstasy (MDMA), die sie als Türöffner zur Seele verstehen. Und natürlich zu den Herzen.

Strafverfahren gegen Widmer läuft

Pech nur, dass die inkriminierten Substanzen illegal sind. Deshalb läuft zurzeit ein Strafverfahren gegen den 67-jährigen Psychiater, die Staatsanwaltschaft Solothurn ermittelt gegen ihn, seinen Sohn und zwei weitere Kirschblütler.

Widmer behauptet, es sei schon lange Schluss mit den Drogen-Therapien (Psycholyse) in Grossgruppen – Therapien, die für Aussenstehende wie Drogenpartys wirken. Er behauptet, für seine Sessionen keine illegalen Substanzen, sondern Ephedrin und Ketamin zu verwenden, also zwei legale Medikamente.

Film über Drogentherapien – auch Samuel Widmer kommt darin vor

Das Video über die Psycholyse verklärt die Drogentherapien.Video: YouTube/Liesenfeld Media
Bei der Drogensitzung des Berliner Arztes Garrik R. – ein Schüler Widmers – starben zwei Klienten an einer Überdosis.

Aber stimmt das wirklich? Verschiedene Indizien nähren die Vermutung, dass die Therapien im Umfeld der Kirschblütengemeinschaft weiterhin mit LSD und MDMA über die Bühne gehen.

Verräterisch ist in diesem Zusammenhang der neue einstündige Film über die psycholytische Therapie des deutschen Esoterikers Dirk Liesenfeld. Widmer hat den Film auf seine Homepage geladen und ruft dort dazu auf, den Streifen finanziell zu unterstützen.

Wo Psycholyse draufsteht, ist meist auch Widmer drin. Der Psychiater ist weltweit eine zentrale Figur, wenn es um Drogentherapien geht. Deshalb spielen er und seine Anhänger im Streifen eine wichtige Rolle. Nicht nur haben er und seine beiden Frauen prominente Auftritte im Film, gezeigt wird auch eine Psycholyse-Sitzung im Zentrum von Widmer in Lüsslingen. Und es kommen auch mehrere seiner Anhänger zu Wort.

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Und – wenig überraschend – die Kirschblütler loben die Drogentherapie über den grünen Klee. Kein Wort zu den Gefahren, kein Wort darüber, dass auch schon eine Drogensitzung bei Widmer aus dem Ruder gelaufen ist: Patienten gerieten in Panik und bekamen Angstzustände, wie Teilnehmer berichten.

Samuel Widmer hat mit zwei Frauen elf Kinder.
Samuel Widmer hat mit zwei Frauen elf Kinder.

Immerhin geht der Filmer Liesenfeld auf die Drogensitzung des Berliner Arztes Garrik R. ein – auch er ein Schüler Widmers –, bei der zwei Klienten an einer Überdosis gestorben sind, die ihnen der Arzt persönlich verabreicht hatte. Garrik R. stand selbst unter Drogen und hat sich bei der Dosierung vergriffen.

«Harmloses» MDMA und LSD

Ansonsten sagen alle, wie wunderbar und harmlos MDMA und LSD seien. Wie grossartig die Therapie wirke, vor allem bei der Behandlung von Traumata.

Das hohe Lied der Psycholyse singen auch die Anhänger von Widmer – und das besonders laut. Man mag kaum glauben, dass ausgerechnet sie sich mit dem wirkungsarmen Ketamin begnügen.

Widmer kaufte zwar jahrelang grosse Mengen von Ketamin, wie ehemalige Anhänger berichten. Sie erklären aber, dies sei lediglich ein Tarnkauf gewesen. Die Behörden sollten glauben, er verwende das Medikament tatsächlich.

Vor der Einnahme der Drogen mussten die Klienten einen Vertrag unterschreiben und sich verpflichten, während der Veranstaltung nicht zu sterben.

Ehemalige Schüler widersprechen. Ketamin sei in Wirklichkeit entsorgt worden, bestätigen sie. Sie müssen es wissen, haben sie doch während 20 Jahren bei den Drogentherapien in Grossgruppen mit bis zu 80 Personen die verbotenen Substanzen LSD, MDMA und andere eingenommen.

Den Beweis dafür lieferte ein Reporter der Sendung «Beckmann» des deutschen Fernsehsenders ARD im März 2015. Dieser nahm in einer spektakulären Undercover-Aktion an einer kollektiven Sitzung in Lüsslingen teil und schmuggelte die verwendeten Substanzen aus dem Gruppenraum von Widmer. Draussen wartete der Arzt und Apotheker Hannes Welcker.

Lebensgefährliche Mischung

Seine Laboruntersuchung vor Ort ergab, dass es sich um die verbotenen Substanzen MDMA und Meskalin handelte. Diese Mischung sei «Scharlatanerie und lebensgefährlich», sagte Welcker.

Der ARD-Reporter hat die Drogensitzung mit einer versteckten Kamera gefilmt. Geleitet wurde die «Therapie» von der Ehefrau Widmers, die keine anerkannte Ausbildung als Therapeutin besitzt.

Den rund 20 Teilnehmern – die Hälfte von ihnen Deutsche – wurde gesagt, dass die Einnahme von Ecstasy nicht legal sei. Das Risiko liege aber beim Leitungsteam. Wörtlich: «Wir kommen ins Gefängnis oder haben eine grosse Strafe am Hals, wenn herauskommt, dass wir das machen.»

Den Teilnehmern der «Therapie» wurde geraten, bei Anrufen oder in Mails die Drogen nicht zu erwähnen. Vor der Einnahme der Drogen mussten die Klienten einen kuriosen Vertrag unterschreiben und sich verpflichten, während der Veranstaltung nicht zu sterben.

Aus der Schatzkiste «ausgegraben»

Dann verkündete die Leiterin: «Wir haben gedacht, wir könnten mal Meskalin und MDMA zusammen machen.» Meskalin sei zwar nicht mehr erhältlich, doch «wir haben unsere geheime Schatzkiste, wo wir es ausgegraben haben».

Ein paar Tage später führte der ARD-Moderator Reinhold Beckmann ein Interview mit Widmer und seiner Ehefrau Daniele. Die beiden hatten keine Ahnung von der Undercover-Aktion und tappten prompt in die Falle.

«Wir haben gedacht, wir könnten mal Meskalin und MDMA zusammen machen.»
Leiterin einer Kirschblüten-Drogentherapie

Widmer sagte, bei den Sitzungen würden ausschliesslich Ephedrin und Ketamin eingesetzt. Seine Frau ergänzte, die Klienten brächten manchmal LSD oder Ecstasy mit. «Das vermuten wir», unterbrach Widmer sie rasch.

Sohn von Widmer in Untersuchungshaft

Kurz vor der Ausstrahlung des Films führte die Solothurner Polizei eine Razzia bei Widmer durch und setzte seinen Sohn vorübergehend in Untersuchungshaft. Er soll laut Aussteigern als Drogenkurier gewirkt haben.

Es überrascht deshalb nicht, dass es Widmer und seine Anhänger im Film von Liesenfeld vermeiden, LSD und MDMA zu erwähnen, schliesslich läuft gegen den Psychiater ein Strafverfahren. Deshalb sprechen sie von «Substanzen» und «Medikamenten».

Ehemalige Klienten bezweifeln aber, dass das System Widmer ohne LSD, MDMA und andere Drogen funktioniert. Sie sind sich deshalb ziemlich sicher, dass unter den Kirschblütlern weiterhin illegale Substanzen verwendet werden – trotz Strafverfahrens und voraussichtlichen Prozesses.

Kirschblütler verklären Halluzinogene

Ausserdem sagt Widmer im Film, die Psycholyse sei das beste Hilfsmittel, das sie gefunden hätten. Zur Psycholyse, wie sie Widmer versteht, gehören zwingend LSD und Ecstasy. Denn in den vielen Büchern und unzähligen Texten von Widmer ist im Zusammenhang mit der Psycholyse nirgends die Rede von Ketamin.

Widmer sieht im psycholytischen Weg ein religionsähnliches Ritual, das eine grundsätzliche Mutation im menschlichen Geist und Gehirn anstrebt.

Dieses Medikament interessiert ihn im Zusammenhang mit der Psycholyse schlicht nicht. Hingegen thematisiert er bei jeder Gelegenheit die heilende Wirkung illegaler Halluzinogene oder psychotroper Substanzen.

Ein Leben für die Psycholyse

Widmers Leben dreht sich seit Jahrzehnten um die Psycholyse. Früher konnte er seinen Kursteilnehmern legal Drogen abgeben. 1986 bekam er vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Bewilligung, LSD zu Forschungszwecken einzusetzen. 1993 entzog das BAG ihm die Zulassung wieder.

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Doch der Psychiater dachte offenbar nicht daran, auf LSD und Ecstasy zu verzichten, wie Aussteiger berichten und der ARD-Beitrag zeigt. Zu sehr war er von den Drogen begeistert und bezeichnete sie als Sakramente, mit denen sich ein Raum öffne, «der über das Menschliche hinausgeht».

Dies führe zu «einer Verbundenheit mit dem ganzen Universum», man stehe «vor dem ganzen Mysterium des Seins», das Weltall stürze in einen hinein. Widmer sieht im psycholytischen Weg ein religionsähnliches Ritual, das «eine grundsätzliche Mutation im menschlichen Geist und Gehirn» anstrebe und zu einem unausweichlichen Evolutionsschritt führe, «von dessen Gelingen unser Überleben auf diesem Planeten abhängig ist».

Widmers Therapien ohne LSD sind nicht denkbar

Der Psychiater hat in den letzten 30 Jahren mehrere 100 Psycholyse-Therapeuten ausgebildet und mehrere 1000 Klienten auf ihren Psycholyse-Therapien begleitet. Dafür haben sie ihn geliebt. Dass er ihnen in den letzten 20 Jahren ausschliesslich Ephedrin und Ketamin abgegeben hat, glaubt wirklich niemand. Deshalb: Widmer ohne LSD ist nicht denkbar.

Ketamin ist für Psycholyse-Therapeuten wie Sirup mit einem Tropfen Cognac für einen Alkoholiker – praktisch wirkungslos. Und Sirup mögen die Widmer-Anhänger wirklich nicht.

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei. Neu befasst er sich mit dem Thema wöchentlich auf watson.

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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kunubu
30.04.2016 09:07registriert August 2015
Wäre interessant zu wissen wie es den tausenden von "Patienten" heute geht. Es könnte ja auch sein, dass die Mehrheit der Leute etwas positives daraus mitgenommen haben. Ob die Substanzen legal oder illegal sind ist aus meiner Sicht zweitrangig.
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Thanatos
30.04.2016 09:25registriert Dezember 2014
Ich sehe das Problem nicht ganz. Ausser, dass es nicht gesetzeskonform ist.
Diese Substanzen können Türen öffnen, die wir gar nicht kennen. Und der Staat erkennt die Möglichkeiten und Chancen nicht, die sich bieten. Ausserdem wird auch bei den legalen Psychopharmaka nicht gerade gespart. Nur sind die legal und damit bei vielen Leuten akzeptiert.
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alternativdenker
30.04.2016 16:39registriert April 2016
Es brauch auch solche Menschen, klar ist da vieles was man kritisieren kann. Unsere Welt ist schwierig und viele Menschen sind extrem von der Liebe abgeschnitten. Mdma oder andere substanzen (legal oder nicht legal ist eher eine politische frage) kann öffnen was verschlossen war. Natürlich sind Drogen keine Lösung für Probleme. Aber sie können helfen mal wieder zu fühlen. Danach muss, das erfahrene verarbeitet werden. So wie man immer dafür arbeiten muss sich zu entwickeln.
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