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Die Bergler jubeln: Airbnb wird zum grössten Hotel der Schweizer Alpen

A woman surfs on the the airbnb website, pictured in Zurich, Switzerland, on September 4, 2014. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
Das Matterhorn lockt: In Zermatt ist fast jede dritte Wohnung über Airbnb buchbar Bild: KEYSTONE

Die Bergler jubeln: Airbnb wird zum grössten Hotel der Schweizer Alpen

In Top-Destinationen bietet die Online-Plattform inzwischen die meisten Betten an. Airbnb wächst in den Bergen schneller als in den Städten. Die Bergler freuen sich über den Boom, während die Städter über Airbnb schnöden.
12.10.2017, 04:4912.10.2017, 07:29
Andreas Maurer und Samuel Hufschmid / Nordwestschweiz
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Es begann mit einer Luftmatratze und einem Frühstück: Airbedandbreakfast. So hiess die US-Firma Airbnb bei ihrer Gründung. Sie ging 2008 als Couchsurfing-Plattform online: Studenten konnten sich eine Übernachtung auf einem Sofa oder eben auf einer Luftmatratze organisieren. Inzwischen wurde sie zum globalen Marktplatz für Wohnungsvermietungen. In Basel und Zürich kritisieren Hoteliers, Mieterverbände und Politiker, Airbnb verdränge einheimische Mieter und konkurrenziere Hotels. New York hat deshalb die Kurzzeitvermietung von Wohnungen für weniger als dreissig Tage verboten und Airbnb damit theoretisch verunmöglicht. Das Gesetz wird allerdings kaum eingehalten.

Massive Zunahme seit 2016: Airbnb macht sich in den Alpen breit.
Massive Zunahme seit 2016: Airbnb macht sich in den Alpen breit.grafik:az

Leise hat sich Airbnb gleichzeitig in den Alpen ausgebreitet. Eine Datenrecherche zeigt: Die Plattform wächst in den Schweizer Bergen schneller als in den Städten. In Städten erschaudern die Hoteliers, wenn sie erfahren, dass Airbnb in einem Jahr um fünfzig Prozent zugelegt hat. In sechs der Top-Alpendestinationen hat sich die Bettenzahl in der gleichen Zeit jedoch mehr als verdoppelt (siehe Grafik oben). So sind die Zahlen entstanden: Diese Zeitung hat die Entwicklung des Airbnb-Angebots in den teuersten Ferienwohnungsmärkten der Alpen ausgewertet und die Bettenzahl sowie die Preise von 2016 und 2017 verglichen. Berücksichtigt wurden jene Gemeinden, in denen ein Quadratmeter mehr als 8000 Franken kostet.

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Airbnb überholt Hotels

Die Airbnb-Hochburg der Schweizer Alpen ist gemäss der Auswertung die Walliser Gemeinde Bagnes mit dem Wintersportgebiet Verbier. Hier kann man 3500 Betten mieten, während nur 1500 in Hotels verfügbar sind. Am zweitmeisten Airbnb-Betten gibt es in Zermatt: 2000. Ein Jahr zuvor waren es weniger als halb so viele. Bereits jede dritte Zermatter Wohnung, die an Touristen vermietet wird, ist auf Airbnb buchbar. Auf dem dritten Platz liegt Anniviers mit 1500 Airbnb-Betten, auch hier übertrifft die Zahl die Schlafmöglichkeiten in Hotels. Dass auch diese Gemeinde im Wallis liegt, ist kein Zufall. Der Kanton hat mehr Airbnb-Betten als Basel-Stadt, Zürich und Bern zusammen.

Stark am Aufholen ist der Kanton Graubünden. Hier liegt die Gemeinde mit dem grössten prozentualen Wachstun: In Vaz Obervaz, zu der die Lenzerheide gehört, hat sich die Zahl der Airbnb-Betten in einem Jahr fast verdreifacht von 111 auf 316. Inmitten dieser Airbnb-Wohnungen der Lenzerheide liegt das Hotel von Andreas Züllig. Er ist Verbandspräsident von Hotellerie Suisse und sagt: «Es kommen immer mehr Wohnungen auf die Plattform, die bis jetzt unter der Hand oder über Kleininserate angeboten wurden.»

Hast du schon mal mit Airbnb in den Alpen übernachtet?

Züllig hat sich im Bundeshaus einen Namen gemacht als Lobbyist der «Lex Booking», mit der die von der Plattform vorgeschriebene Tiefstpreisgarantie verboten wird. Bei Airbnb hingegen verlangt der oberste Hotelier keine Einschränkungen. Es genügt ihm, wenn die bestehenden Regeln eingehalten werden und die neuen Marktteilnehmer dieselben Kurtaxen, Abgaben und Steuern bezahlen. Er hofft, dass dies künftig durch eine digitale Innovation erleichtert werde: elektronische Gästekarten, mit denen Airbnb-Mieter den Sportbus oder das Hallenbad gratis oder vergünstigt nutzen könnten. So entstünde ein Anreiz, die Kurtaxen zu zahlen. Heute geben Hoteliers ihren Gästen dafür Kartonkärtchen ab. Im Airbnb-Zeitalter wäre eine App-Lösung naheliegend.

Die Gemeinde Vaz Obervaz kontrollierte kürzlich eine Stichprobe von Airbnb-Wohnungen. Für die Tourismusregion fällt das Resultat erfreulich aus: Nur einige wenige zahlten die Taxen nicht, wie Gemeindepräsident Aron Moser sagt. Er kündigt nun grössere Kontrollen an. Unabhängig von deren Ausgang heisst er die US-Firma in den Bergen willkommen: «Jedes Bett, das warm statt kalt ist, ist für uns positiv.»

«Jedes Bett, das warm statt kalt ist, ist für uns positiv.»
Gemeindepräsident Vaz Obervaz

Berliner Manager in den Alpen

Airbnb hat die Sympathie der Bergler auch dank einer Marketingoffensive gewonnen. Manager der Berliner Zentrale tourten durch die Alpen und stellten in Gemeindesälen und Tourismusbüros die Kooperationsmöglichkeiten vor. Die Firma bietet Schnittstellen zwischen den Websites von Airbnb und lokalen Tourismusorganisation an sowie Vereinbarungen mit Gemeinden für die Bezahlung der Kurtaxen. In die Lenzerheide reiste eine «Business Development Managerin». Nach dem Referat entschieden sich mehrere Vermieter, der Plattform beizutreten. Sie schätzten es, einen direkten Zugang zum Internetriesen erhalten zu haben.

Tourismusprofessor Roland Schegg erforscht die Airbnb-Entwicklung am Walliser Tourismus-Observatorium. Er sagt: «In den Städten hat Airbnb nur noch wenig Wachstumspotenzial, da der Druck vom primären Wohnungsmarkt gross ist. In den Bergen hingegen wird der Boom weitergehen, da es noch viele weitere Ferienwohnungen gibt.» Er erklärt, weshalb Airbnb in den Bergen eher als Chance und weniger als Konkurrenz gesehen wird: «In jenen Städten, in denen die Nachfrage nach Hotelbetten stagniert, können die Auswirkungen für die Hoteliers negativ sein. In den Bergen hingegen ist die Parahotellerie nichts Neues.» Nur die Verkaufskanäle würden sich verschieben: Die gleichen Objekte werden auf neuen Kanälen angeboten. Auch das Problem mit den Tourismustaxen ist nicht neu. «Es gab schon immer Ferienhausbesitzer, die keine Kurtaxen zahlten», sagt Schegg.

Das übelste Airbnb der Schweiz

Video: watson

Maciej Skoczek, Immobilienanalyst der UBS, hat die Preise für Eigentumswohnungen in den Alpen untersucht. Er sagt: «Airbnb erlaubt, noch flexibler Ferien zu machen.» Früher habe man oft Jahr für Jahr die gleiche Wohnung oder dasselbe Hotel gewählt. Heute entscheide man sich kurzfristig für ein neues Skigebiet. Als Folge davon seien Ferienwohnungen im Eigentum weniger gefragt. Airbnb könne zusätzliche Touristen in die Berge locken, da die Flexibilität und das Angebot an Unterkünften erhöht werde.

Auf das grosse Geld könnten die Wohnungsvermieter jedoch nicht hoffen. «Als Toprenditequelle eignet sich die Wohnungsvermietung in den Bergen nicht», sagt UBS-Analyst Skoczek. Die Nachfrage sei nur in der Hauptsaison gross. Wer im Immobiliengeschäft reich werden will, hat mit Apartments in Städten bessere Chancen.

Freut sich über den Erfolg von Airbnb: Aron Moser, Gemeindepräsident Vaz Obervaz. 
Freut sich über den Erfolg von Airbnb: Aron Moser, Gemeindepräsident Vaz Obervaz. 

Die Auswertung der Airbnb-Daten zeigt zudem: In den untersuchten Alpendestinationen sind die Durchschnittspreise pro Bett fast überall leicht gesunken. Die Preisspanne ist allerdings gross. Die günstigsten Betten gibt es in Anniviers mit 26 Franken pro Nacht, die teuersten in Saanen (Gstaad) mit 120 Franken. Der hohe Preis hat einen einfachen Grund: Im Berner Nobelferienort gehören diverse Luxuschalets zum Angebot. Die Preise bewegen sich aber im gleichen Rahmen wie jene der Ferienwohnungen auf der offiziellen Vermietungsplattform der lokalen Tourismusorganisation.

Reiseprogramme von Airbnb?

In ein paar Jahren könnte Airbnb aber auch in den Bergen als Gefahr gesehen werden. Andreas Zoppas, Vizedirektor von Gstaad Saanenland Tourismus, prophezeit: «Airbnb wird in Zukunft ganze Reiseprogramme anbieten, inklusive Flug, Transfer etc.» Zu den Verlierern würden dann die lokalen Taxibüros oder Autovermieter gehören. Airbnb hat allerdings erst Überlegungen in diese Richtung in Fachmagazinen angekündigt. Gut möglich aber, dass die Alpengemeinden auch damit einen unkomplizierten Umgang finden werden.

Heute jedenfalls gilt: Die Profiteure der Digitalisierung sind für einmal nicht die vermeintlich progressiven Städter, sondern die vermeintlich konservativen Bergbewohner.

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